Erpressen Pharmakonzerne die Staaten?

Auf einem Loeffel liegen Tabletten
Auf einem Loeffel liegen TablettenErwin Wodicka - BilderBox.com
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Mit neuen Medikamenten können auch bislang unheilbare Krankheiten geheilt werden. Doch die Arzneimittel sind exorbitant teuer. Daher bekommen die staatlichen Gesundheitssysteme ein gravierendes Problem.

Wer Aktien des US-Pharmakonzerns Gilead Sciences hält, hat allen Grund zum Jubeln. Vor drei Jahren, Anfang Mai 2012, kostete eine Aktie rund 25 US-Dollar. Mittlerweile ist der Kurs auf über 100 US-Dollar gestiegen.

Gilead gehört zu den gewinnträchtigsten Pharmakonzernen der Welt. Im Vorjahr stieg der Umsatz von 11,2 auf 24,9 Milliarden US-Dollar (22,8 Milliarden Euro). Der Nettogewinn kletterte von 3,1 auf 12,1 Milliarden US-Dollar. Denn Gilead hat ein Wunderheilmittel zur Bekämpfung von Hepatitis C entwickelt. Die Heilungschancen liegen bei über 90 Prozent. Das Medikament ist allerdings besonders teuer.

Laut Angaben des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger belaufen sich die Therapiekosten für die Behandlung eines einzelnen Patienten mit dem Medikament Sovaldi und einer Kombination mit anderen Medikamenten auf 46.000 bis 87.000 Euro. Bei speziellen Kombinationen können es sogar bis zu 150.000 Euro sein. Wer kann sich das leisten?

Weltweit leiden etwa 130 bis 180 Millionen Menschen an Hepatitis C, in Österreich wurde die Krankheit bei 34.000 Patienten diagnostiziert. Unter Einbeziehung der Dunkelziffer geht man von 70.000 bis 80.000 Erkrankten aus. Würde man alle Betroffenen mit Sovaldi heilen, kostete das Milliarden. Das wäre für die Krankenkassen eine enorme finanzielle Belastung.

Sovaldi ist mittlerweile auch in Österreich erhältlich – aber nur für wenige Patienten. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nur, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist und andere Mittel wirkungslos sind. Laut „Presse“-Informationen läuft die Vereinbarung zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und Gilead über den Erstattungsbeitrag für Sovaldi Ende Juli aus. Bis dahin muss der Hauptverband mit Gilead über einen neuen Preis verhandeln. Das wird nicht einfach werden. Die deutschen Krankenkassen haben ein halbes Jahr mit Gilead über den Preis gestritten. Schließlich konnten sie sich im Februar 2015 auf einen signifikanten Rabatt einigen.


Pharmabranche im Umbruch. Sovaldi gilt weltweit als erster großer Testfall, wie Pharmakonzerne mit exorbitant hohen Preisen die Finanzkraft der staatlichen Gesundheitssysteme auf die Probe stellen. Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) sprach im Zusammenhang mit Sovaldi von einer „globalen Erpressung durch ein Pharmaunternehmen“. Und bei der Hepatitis Hilfe Österreich heißt es: „Medikamente dürfen nicht zu einem Hedgefonds werden, bei dem man möglichst schnell viel Geld verdient.“

Von österreichischer Seite kommt nun der Vorschlag, dass die Krankenkassen in mehreren EU-Ländern eine Einkaufsgemeinschaft bilden sollen. Es sei „sinnvoll, wenn innerhalb der EU bei den Medikamenten die Einkaufsmacht gebündelt wird“, sagt Peter McDonald, der Vorstandsvorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, im „Presse“-Interview.

Bislang gab es in Österreich und in anderen Ländern ein gut funktionierendes Zusammenspiel zwischen der Pharmawirtschaft und den Krankenkassen. Die Pharmafirmen brachten neue Arzneimittel zu halbwegs vernünftigen Preisen auf den Markt. Doch mittlerweile steht kaum ein anderer Wirtschaftszweig vor so großen Veränderungen wie die Pharmaindustrie. Durch den steigenden Kostendruck kommt es international zu einer Milliardenfusion nach der anderen. Kritiker befürchten, dass immer weniger Konzerne übrig bleiben. Gleichzeitig kürzen die Staaten ihre Forschungsausgaben. „Die Folgen sind fatal“, heißt es bei der Hepatitis Hilfe Österreich.


Droht die Zweiklassenmedizin? In Deutschland schlug Karl Max Einhäupl, Chef der Berliner Charité, der größten Universitätsklinik Europas, Alarm. „Wir werden künftig nicht mehr das ganze Gesundheitssystem solidarisch finanzieren können“, sagte Einhäupl dem „HandelsBlatt“. Verlangen die Pharmafirmen für bestimmte Medikamente immer höhere Preise, müssen die gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge anheben. Oder es droht eine Zweiklassenmedizin.

Im schlimmsten Fall können sich nur die reichen Patienten die teuersten Tabletten leisten. In Deutschland überlegt die Regierung sogar gesetzliche Eingriffe zur Begrenzung von Arzneimittelpreisen. Denn es ist zu befürchten, dass Sovaldi kein Einzelfall bleibt. Schließlich entwickeln die Pharmafirmen immer bessere Medikamente – beispielsweise zur Therapie von Krebs. Das teuerste Medikament weltweit ist Glybera von der holländischen Biotechfirma UniQure. Es hilft Patienten, die an einer speziellen und seltenen Stoffwechselstörung leiden. Eine Behandlung kostet 1,1 Millionen Euro. In Österreich ist Glybera nicht erhältlich.

Wegen der hohen Medikamentenpreise geraten die gesetzlichen Krankenkassen unter Druck. In Deutschland haben diese im Vorjahr ein Defizit von 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die Ausgaben für Arzneimittel sind um neun Prozent gestiegen. Laut Angaben des Gesundheitsministeriums in Berlin mussten die Krankenkassen allein 2014 rund 2,9 Milliarden Euro mehr für Medikamente ausgeben. Das Ministerium verweist hier ausdrücklich auf die hohen Kosten für neue Wirkstoffe zur Behandlung von Hepatitis C.


Krankenkassen rutschen ins Minus. Ähnlich ist die Situation in Österreich. Nach mehreren positiven Jahren werden die Krankenkassen heuer ein Defizit verbuchen. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger erwartet ein Minus von 128,9 Millionen Euro. Wie in Deutschland sind zuletzt die Kosten für teure Medikamente überdurchschnittlich stark gestiegen.

Interessant ist hier ein langfristiger Vergleich. Von 2009 bis 2013 stiegen laut Angaben des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger die Ausgaben für Heilmittel um 6,15 Prozent. Viel schlimmer war die Entwicklung allerdings bei den hochpreisigen Medikamenten – darunter versteht man Heilmittelpackungen mit einem Kassenverkaufspreis von über 700 Euro. Diese haben sich im gleichen Zeitraum um 68,74 Prozent verteuert (siehe Grafik).

Im Jahr 2009 lag der Anteil der hochpreisigen Medikamente an den gesamten Ausgaben für Heilmittel bei 14,11 Prozent. Vier Jahre später waren es bereits 22,42 Prozent. Zumindest für Hepatitis-C-Kranke gibt es Grund zum Aufatmen. Denn neben Sovaldi hat Gilead auch ein günstigeres Präparat auf den Markt gebracht. Auch der Konkurrent Abbvie bietet seit Kurzem ein wirkungsvolles Medikament an. Doch die Preise sind immer noch viel zu hoch, um alle betroffene Patienten heilen zu können.


Pharmafirmen wehren sich. Die Pharmafirmen begründen ihre Preise mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten. „Die Arzneimittelentwicklung ist ein Hochrisikogeschäft, verbunden mit durchschnittlichen Investitionen von bis zu zwei Milliarden Euro pro Medikament“, sagt Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig, des Interessenverbands der Pharmaindustrie. Man müsse bedenken, dass Patienten nun mit neuen Medikamenten für Hepatitis C vollständig geheilt werden können. Damit erspare man dem Gesundheitssystem weitere Folgekosten.

Denn bei fortschreitender Erkrankung bekommen die Betroffenen in vielen Fällen Leberkrebs, der eine Lebertransplantation notwendig macht. Dabei entstehen Kosten von bis zu 250.000 Euro und jährlich hohe Folgekosten. Außerdem betont Huber, dass Österreich laut OECD-Studie über das fünftteuerste Gesundheitssystem der Welt verfügt.

Nur 12,2 Prozent der Ausgaben für das Gesundheitssystem entfallen auf Medikamente. Nach Ansicht der Pharmig gibt es viele andere Bereiche – etwa in den Spitälern – bei denen man leichter und effizienter Einsparungen vornehmen könnte.

Big Pharma

24,9Milliarden US-Dollar
– so hoch war im Vorjahr der Umsatz des Pharmakonzerns Gilead.

12,1Milliarden US-Dollar
Gewinn machte Gilead – vor allem mit dem neuen Heilmittel Sovaldi.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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