Strabag-Chef Birtel: "Einen Tod muss man sterben"

Thomas Birtel
Thomas Birtel Die Presse
  • Drucken

Seit zwei Jahren leitet Thomas Birtel den Baukonzern Strabag. Wie er als Deutscher Österreich sieht, was kreative Zerstörung kann, und woher Fantasien kommen, erklärt er im Interview.

Die BIP-Prognose für Deutschland liegt bei 1,8 Prozent, die für Österreich bei 0,5 bis 0,8 Prozent. Sagen Sie uns als Deutscher, was machen die Deutschen besser?

Thomas Birtel: Wenn Sie mir die Frage vor fünf Jahren gestellt hätten, hätten Sie sie umgekehrt gestellt.

Die Zeiten haben sich nun mal geändert, und Österreich fällt zurück.

Ich denke, so fundamentale Unterschiede werden Sie nicht finden. Deutschland hat genauso einen Reformstau – besonders im Steuerrecht. Aber die stark exportorientierte Wirtschaft profitiert vom schwachen Euro.

Sie werden ja sicher auch darüber nachdenken, wie man Österreichs Wirtschaft ankurbeln könnte. Wo würden Sie ansetzen?

Wir sind in einer günstigen Situation: Das extrem niedrige Zinsumfeld erleichtert eine relativ konservative Finanzierung von Bauwerken. Außerdem fehlt es an Anlagealternativen. So kommen etwa Versicherungsgesellschaften vermehrt auf uns zu und kaufen Objekte. Immobiliengesellschaften haben sich übrigens von Wien nach Deutschland bewegt, weil der Markt größer ist.

Zudem ist die Kultur anders. Wäre es in Deutschland denkbar, dass einem U-Ausschuss Akten vorgelegt werden, die vor lauter Schwärzungen unleserlich sind?

Geschwärzte Akten gibt es in Deutschland auch. Freilich: An solche Extreme, wie ich sie hier in der Presse abgebildet gesehen habe, kann ich mich in Deutschland nicht erinnern.

Aber auch in Deutschland läuft nicht alles rund. Ihr vor Österreich wichtigster Markt schwächelt im Infrastrukturbau. Sie schreiben es dem Mangel an Ingenieurskapazitäten zu. Dessen Behebung kann Jahre dauern, oder?

Ja, zwei Jahre würde ich auch veranschlagen. Es mangelt nicht am Geld, denn die deutsche Regierung hat ja ein Paket von fünf Mrd. Euro bereitgestellt. Um den Engpass bei den Planungskapazitäten schneller zu beheben, müsste man die Planung auslagern. Entweder an unabhängige Planer oder an die bauenden Unternehmen in Form von Design-and-Build-Konzepten, wie sie bei PPP-Modellen (öffentlich-privaten Partnerschaften) üblich sind. Aber da bremst man in Deutschland momentan aus ideologischen Gründen, weil man irrtümlicherweise glaubt, man verscherble staatliches Eigentum.

Ist da Polen, Ihr drittstärkster Markt, vorn?

Ja, die Polen schreiben nur Design-and-Build-Verträge aus. Sie sind im Moment erfolgreich und entschlossen, wieder an die Zeit vor 2012 anzuknüpfen, was die Infrastruktur betrifft.

Können wir festhalten, dass eine Deutschland-Fantasie derzeit nicht erstehen kann?

Zumindest im öffentlichen Sektor. Deutschland ist aber trotzdem ein starkes Standbein, im Privatbereich haben wir eine sehr positive Situation.

Sie haben immer bemängelt, dass es in Österreich nach der Alpine-Pleite keine Marktbereinigung gegeben hat. Ist das Thema durch, oder könnte sie noch kommen?

Sie kann nur kommen, wenn Kapazitäten aus dem Markt gehen. Das sehe ich zurzeit nicht. Denn es würde bedeuten, dass Marktteilnehmer entweder erklären, ihre Kapazitäten zu reduzieren. Oder dass sie erkennbar in Schieflage geraten. Aber dann wäre wieder nicht ausgeschlossen, dass nach dem Alpine-Phänomen Kapazitäten von anderen Spielern übernommen werden.

Aber wie erklären Sie einem von einer Pleite betroffenen Bauarbeiter, dass eine „schöpferische Zerstörung“ (Ökonom Joseph Schumpeter) notwendig sein kann?

Nun, sozial ist es ja erfreulich, dass die Alpine-Pleite zu keinen nennenswerten Arbeitslosenzahlen geführt hat. Das ist die Kehrseite der Medaille. Aber ich sage immer: Einen Tod muss man sterben. Entweder wir haben Kapazitätsbereinigung oder keine Entlassungen. Als Unternehmer würde man sich weniger Wettbewerb wünschen.

Wie sehr ist dieser in Österreich größer als in Deutschland?

Wir haben in Österreich große Marktteilnehmer, die etwas größere Marktanteile haben. In Deutschland sind die wenigen Großen, die es gibt, im Verhältnis viel kleiner. Und im Unterschied zu Deutschland haben wir in Österreich gerade in den Regionen sehr leistungsfähige kleine Player.

Hierzulande wird seit Langem diskutiert, vom Billigstbieter- zum Bestbieterprinzip bei Auftragsvergaben zu wechseln. Wird die Neuregelung– wie angepeilt– noch vor dem Sommer kommen?

Der Sommer ist ja schon fast da. Insofern bin ich ein wenig skeptisch. Aber für dieses Jahr rechne ich damit. Es ist ja gar nicht so ein Zauberwerk. Es wäre in den vergangenen Jahren schon umsetzbar gewesen – hätte man gewollt.

Wer bremst denn?

Ich sehe keinen konkreten Kopf, der das tut. Es ist die Konservativität. Wir sind eben über viele Jahrzehnte im Preis als dem alleinigen Kriterium für einen Zuschlag gefangen.

Für welche Kriterien plädieren denn Sie?

Ich denke, bauqualitative Kriterien wären das Richtige, auch wenn der Preis weiter ein Majoritätskriterium bleiben wird. Bonität und technische Kompetenz sind für mich No-na-Themen.

Die Aktie Ihres Konkurrenten Porr hat sich seit dem Vorjahr verdreifacht. Die Strabag-Aktie pendelt seit Jahren zwischen 16 und 23 Euro. Warum?

Bei der Strabag gibt es nicht so einschneidende Änderungen wie einen Spin-off einer Geschäftssparte. Von 2000 bis 2010 haben wir die Konzernleistung vervierfacht. Ab 2010 folgte eine Seitwärtsbewegung, seit 2012 nun eine stetige Verbesserung der Ergebnisse. Das Geschäftsmodell ist stabil.

Aber Ihre lange Russland-Fantasie ist passé. Was könnte eine neue Fantasie werden? Deutschland ist es vorerst nicht. Der Effekt des Juncker-Investitionspakets in Polen?

Sie haben schon recht. Mittelfristig machen mich drei Momente optimistisch: Unsere extrem starke Position in Deutschland und der Umstand, dass Investitionen in die Infrastruktur dort zwangsläufig steigen werden. Dann das teils zweistellige Wachstum in Mittel- und Osteuropa, wo der Bedarf an Neubauten gigantisch ist. Und drittens das Ziel, mit technischen Sonderprojekten außerhalb Europas die Leistung dort bis 2016 auf über zehn Prozent der Konzernleistung zu verdoppeln.

Es scheint, als wüssten Sie nach dem Russland-Hype nicht recht, was Sie regional außerhalb Europas fokussieren sollen.

Da liegt man falsch. Wir fokussieren, wo wir eine gewisse Ausgangsbasis haben. In Chile etwa, oder Kanada. Aber alles auf Projektbasis. Nicht im Visier haben wir China, Indien und Brasilien. Die haben eine relativ gute Bauindustrie und hohe Bürokratiehürden.

Auch Europa hat seine Problemzonen. Vor allem Ungarn, wo Ihr Bau der Autobahn M4 gestoppt wurde.

Wir sehen das gelassen. Wir haben einen Bauvertrag. Und sonst ein starkes Orderbuch dort.

Ist Ungarn nicht riskant geworden?

Es ist natürlich von der Berechenbarkeit her spannend.

Das klingt, als würde man in der Schule schlimme Kinder verhaltensoriginell nennen.

Das haben Sie gesagt, und ich würde nicht widersprechen. Die Transparenz ist beschränkt. Wenn ich für Polen zu sagen wage, dass es zumindest bis 2022 für uns ein interessanter Markt bleibt, wäre ich bei Ungarn über 2016 hinaus mit Prognosen zurückhaltend.

Steckbrief

Thomas Birtel
übernahm im Juni 2013 den Vorstandsvorsitz des Baukonzerns Strabag SE aus den Händen von Hans Peter Haselsteiner.

Zuvor
war der gebürtige Deutsche Mitglied des Strabag-Vorstands und Vorstand der Strabag AG, Köln.

Von 1989 bis 1996
leitete der heute 60-Jährige die Mitteleuropa-Geschäfte der schwedischen Frigoscandia-Gruppe.

Der Strabag-Konzern
beschäftigt 72.906 Mitarbeiter. Das Konzernergebnis 2014 betrug 127,97 Mio. Euro, ein Plus von 13 Prozent. Die Leistung blieb bei 13,6Mrd. Euro konstant.

45 Prozent
der Konzernleistung werden in Deutschland erbracht, 15 Prozent in Österreich.

Familie Haselsteiner
hält 25,5 Prozent, Uniqa/Raiffeisen 26,5Prozent der Anteile. Der russische Tycoon Oleg Deripaska besitzt 25Prozent plus eine Aktie. Strabag selbst hält zehn Prozent der Aktien, 13 Prozent sind im Streubesitz.

Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Österreich

Bau: Strabag baute Verluste kräftig ab

Der Verlust des Baukonzerns sank im ersten Halbjahr um 40 Prozent. Die Strabag ist auf dem Weg, die Durststrecke zu überwinden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.