„Lex Lokführer“: Berlin entmachtet die Dauerstreiker

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Warum sind kampflustige Minigewerkschaften in Österreich kein Thema?

Wien/Berlin. Fünf Jahre hat die deutsche Politik darum gerungen, nun hat der Bundestag das umstrittene Gesetz zur Tarifeinheit mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen. Es soll den Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, den das oberste Arbeitsgericht 2010 gekippt hat, neu verankern. Wozu sein Fehlen führt, zeigen die Lokführer vor: In einer beispiellosen Streikwelle legte ihre Gewerkschaft GDL neunmal hintereinander das halbe Land lahm. Solchen kleinen Gewerkschaften, deren Mitglieder an wichtigen Schaltstellen arbeiten, will die Politik Zügel anlegen.

Was nicht so einfach ist. Denn die Arbeitnehmer haben das Recht zu wählen, wer ihre Löhne verhandeln soll. Als unzumutbar für das Unternehmen gilt aber, wenn dadurch für eine Berufsgruppe mehrere Tarifverträge gelten. Dann könnten etwa zwei Zugschaffner, die genau die gleiche Arbeit verrichten, aber konkurrierenden Gewerkschaften angehören, verschieden viel verdienen und unterschiedliche Arbeitszeiten haben. Das erschwert nicht nur die Erstellung von Einsatzplänen, sondern gefährdet auch den Frieden in der Firma. Für solche Tarifkollisionen schreibt der Gesetzgeber künftig vor, dass nur der Tarifvertrag jener Gewerkschaft gilt, die im Betrieb mehr Mitglieder hat.

Das Gesetz scheint wie auf die Bahn zugeschnitten. Denn hier tobt ein Machtkampf zwischen der großen Eisenbahnergewerkschaft EVG und der kleinen GDL. Beim ähnlich streikfreudigen Personal der Lufthansa greift es nicht. Denn dort haben die Berufsgruppen – wie Piloten, Flugbegleiter und Lotsen – ihre Einflusssphären sauber abgesteckt. Dennoch ist das Gesetz keine reine „Lex Lokführer“. Es soll auch vorbeugend wirken. So zittert man in der Autobranche schon seit Jahren, die Arbeitnehmer könnten aus der IG Metall ausscheren und in einer eigenen Gewerkschaft ihre Muskeln spielen lassen.

Der ÖGB als Monopolist

Auch wenn die Politik manche Kleinen entmachtet: Das Streiken darf sie ihnen nicht verbieten. Dafür sorgt das Streikrecht. Diese Hürde umschifft das Gesetz, indem es die heiße Kartoffel den Arbeitsgerichten weiterreicht. Sie müssen künftig entscheiden, ob ein Streik einer aktuell einflusslosen Minigewerkschaft verhältnismäßig ist. Halten sich die Richter an Formulierung und Intention des Gesetzes, muss ihre Antwort Nein lauten. Mehrere kleinere Gewerkschaften klagen gegen das Gesetz vor dem Verfassungsgericht.

Warum stellt sich das ganze Problem in Österreich nicht? Hier gibt es de facto nur eine Gewerkschaft: den ÖGB mit seinen sieben Teilorganisationen. Sie verhandeln nicht für Unternehmen, sondern immer für ganze Branchen. Theoretisch wäre es zwar denkbar, dass sich eine neue Gewerkschaft bildet und ausschert. „Aber praktisch ist das kaum möglich“, meint Arbeitsrechtsexperte Bernhard Hainz von der Anwaltskanzlei CMS zur „Presse“. Denn ob eine Gewerkschaft kollektivvertragstauglich ist, darüber entscheidet hierzulande eine wenig bekannte Behörde: das Bundeseinigungsamt im Sozialministerium. Das Gesetz gibt den Beamten dafür Regeln vor: Die Vereinigung muss eine „maßgebende wirtschaftliche Bedeutung“ und einen „größeren Wirkungsbereich“ haben – lauter Dinge, bei denen der fast lückenlos abdeckende ÖGB „schwer zu toppen ist“, erklärt Hainz. Zudem müsste die neue Gewerkschaft ja schon vorab Mitglieder abwerben. „Aber wie soll sie das tun, wenn sie von den Verhandlungen ausgeschlossen ist und keine Erfolge vorweisen kann?“ So hat der ÖGB eine Monopolstellung in Dauerpacht – eine Situation, die es „in kaum in einem anderen Land gibt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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