Urteil: Semmeringtunnel darf gebaut werden

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"Presse"-Exklusiv. Das öffentliche Interesse am umstrittenen Bau überwiege alle Einwände, sagt das Bundesverwaltungsgericht. Ein Einspruch ist möglich, hat aber keine aufschiebende Wirkung.

Wien. Knalleffekt im langwierigen Streit um den geplanten Bau des Semmeringbasistunnels. Deutlich früher als erwartet, gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Wien am späten Dienstagnachmittag grünes Licht für das umstrittene Tunnelprojekt, wie die ÖBB auf Anfrage bestätigten. Das öffentliche Interesse an der 3,3?Mrd. Euro (ohne Finanzierungskosten) teuren Röhre in Richtung Süden überwiege alle vorgebrachten Einwände, hat ein Richtersenat unter dem Vorsitz von Richter Werner Andrä entschieden. Das Urteil war erst für den Herbst erwartet worden.

„Materialschlacht“ der Anwälte

Der Senat wies jedoch nicht nur alle bisherigen Beschwerden gegen das Milliardenprojekt im Eiltempo zurück, sondern erklärte zudem die ordentliche Revision gegen dieses Urteil für unzulässig. Den Tunnelgegnern (vorwiegend Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen) bleibt damit nur noch der Gang vor den Verwaltungs- beziehungsweise den Verfassungsgerichtshof. Dieser hat jedoch keine aufschiebende Wirkung mehr. Da alle Vorarbeiten längst abgeschlossen sind, heißt das: Theoretisch kann ab morgen wieder am Semmeringbasistunnel gebaut werden.

Mit dem Spruch endet auch ein jahrzehntelanges Gezerre um den Ausbau der Südstrecke, in dem sich die beteiligten Anwälte „eine regelrechte Materialschlacht“ geliefert hätten, so ein Insider. Kaum ein Bescheid von Bund oder den beiden betroffenen Bundesländern Niederösterreich und Steiermark, der nicht angefochten wurde, um den Bau zu verhindern. Vom Lärm- und Wasserschutz über den angeblich mangelnden gesamtwirtschaftlichen Nutzen bis zum drohenden Verlust des Weltkulturerbe-Status der ersten Gebirgsbahn der Welt (Ghegabahn) brachten die Kritiker alle erdenklichen Argumente gegen das Projekt der ÖBB vor.

Tatsächlich war es bis zuletzt nicht ganz einfach, die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Tunnelprojekts zu beweisen. Denn die ursprünglich vom Ministerium angesetzten Verkehrsprognosen, auf denen die Wirtschaftlichkeitsrechnung basiert, erwiesen sich im Nachhinein betrachtet als zu optimistisch. Vor allem der Güterverkehr stagniert in der betroffenen Region bereits seit Längerem, was nicht zuletzt auf die schwächere Wirtschaftsentwicklung zurückzuführen ist.

Wien – Graz in zwei Stunden

„Wir freuen uns über die Geburt, auch wenn sie schwierig war“, so ÖBB-Chef Christian Kern zur „Presse“. Ein Jahr Bauzeit hätten die Verfahren gekostet, nun würden die Arbeiten so rasch wie möglich wieder aufgenommen werden, um das Projekt wie geplant 2025 zu beenden.
Für die Staatsbahn stand die Sinnhaftigkeit des Semmeringbasistunnels nie infrage. Nach Angaben der ÖBB gibt es auf der Südstrecke ein ebenso großes Passagierpotenzial wie auf der Weststrecke. Derzeit würde jedoch nur jeder vierte potenzielle Bahnkunde im Süden auch tatsächlich mit der Bahn fahren. Neben dem Semmeringbasistunnel soll auch der Bau des Koralmtunnels (zwischen Graz und Klagenfurt) die Südstrecke in Zukunft aufwerten. Allein durch den Semmeringtunnel soll die Fahrtzeit von Wien nach Graz von derzeit zwei Stunden 40 Minuten auf zwei Stunden verkürzt werden.

Hauptarbeiten vor Vergabe

Nun könne die Vergabe erfolgen, da die Hauptarbeiten nach seinen Informationen ja bereits ausgeschrieben worden seien, sagte Verkehrsplaner Friedrich Zibuschka vom Amt der NÖ Landesregierung am Mittwoch. Sämtliche Vorarbeiten auf niederösterreichischer Seite seien im rechtskonformen Bereich passiert, so Zibuschka. Diese Arbeiten, u.a. Portalvoreinschnitt, Brücken und Hochwasserschutz, hatten in Gloggnitz (Bezirk Neunkirchen) im April 2012 begonnen und wurden im vergangenen Herbst beendet. Der Tunnelvortrieb soll, wie die ÖBB zum Abschluss der Vorarbeiten mitteilten, von Gloggnitz aus erfolgen.

Der zweiröhrig geplante, 27,3 Kilometer lange Semmering-Basistunnel, dem als Teil des Baltisch-Adriatischen Korridors eine Schlüsselfunktion im europäischen Schienennetz zukommt, soll für den Güterverkehr eine Effizienzsteigerung bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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