Der Aufschwung im Euroraum wird auch in Österreich ankommen, erwarten Wifo und IHS. An eine echte Erholung glauben die Unternehmen aber offenbar nicht.
Wien. Zwei Drittel des heimischen Wirtschaftswachstums wird jenseits der Grenzen entschieden. Und da große Euroländer wie Italien, Frankreich oder Spanien wieder zum Wachstum zurückfinden und Österreich vom Schwächeln der Schwellenländer nur wenig betroffen ist, rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS für 2016 wieder mit einem kräftigeren Anstieg der Konjunktur. Spätestens ab 2017 soll auch die Steuerreform ihr Scherflein zur Konjunkturbelebung beitragen. Heuer bleibt die wirtschaftliche Dynamik in Österreich mit einem prognostizierten BIP-Plus von 0,5 bis 0,7 Prozent noch sehr schwach. Damit wächst die heimische Wirtschaft das zweite Jahr in Folge langsamer als der Euroraum.
„Unsere Prognose ist nicht pessimistisch, sondern realistisch“, betonte Wifo-Chef Karl Aiginger. Einen Grund für die schwächere Entwicklung Österreichs im Vergleich zur Eurozone sehen die Ökonomen auch darin, dass das Land am Aufschwung beim wichtigsten Handelspartner Deutschland nicht partizipieren kann wie gewohnt. Denn die deutsche Erholung ist stark konsumgetrieben, Österreichs Exportunternehmen hingegen vor allem im industriellen Bereich stark.
Aber auch Soft Facts hemmen das heimische Wachstum, allen voran die düstere Stimmung, in der sich die österreichischen Unternehmer derzeit befinden.
Zurückhaltung bei Investitionen
Obwohl die konjunkturellen Signale aus vielen Industrieländern gut seien, stünden diese bei Investitionen weiter fest auf der Bremse. Das IHS erwartet im Jahresschnitt heuer eine Stagnation (–0,1 Prozent) der Anlageinvestitionen. Das Wifo hat seine Prognosen für die Bruttoanlage- und die Ausrüstungsinvestitionen für heuer auf je 0,5 Prozent plus reduziert.
„Das ist deutlich weniger als bei früheren Aufschwüngen“, sagt IHS-Ökonom Helmut Hofer. Die heimischen Unternehmen rechnen offenbar nicht damit, dass das Wirtschaftswachstum mittelfristig wieder über zwei Prozent steigen wird, erläutert sein Wifo-Kollege Aiginger. Erst ab dieser Schwelle würden nämlich Kapazitäten in den Fabriken üblicherweise zu knapp und Investitionen in die Erweiterung von Anlagen notwendig. Und: „Es ist gut möglich, dass die Unternehmen hier recht behalten“, sagt Aiginger zur „Presse“.
Neue Märkte in Osteuropa lassen aus
Der Grund dafür: Österreich habe es die längste Zeit verabsäumt, eine wirklich konkurrenzfähige Zukunftsindustrie aufzubauen. Der „Wachstumsbonus“, den Österreich lange Zeit gegenüber Ländern wie Deutschland genossen habe, sei ihm „immer suspekt“ gewesen.
Die Erklärung für das früher stärkere Wachstum sieht er einzig in der geschickten Erschließung neuer Märkte. Die Ostöffnung und später die EU-Osterweiterungen hätten die heimische Wirtschaft stark belebt. Nun seien mit Russland, der Ukraine und dem gesamten Balkan jedoch drei der einstigen Hoffnungsmärkte in wirtschaftlichen Turbulenzen. Die Flexibilität, sich nun einfach umzudrehen und die Waren eben in eine chinesische Provinz zu liefern, fehle der heimischen Wirtschaft noch. (auer)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)