Steuerreform-Studie: Kaum Arbeitsanreize

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Die Steuerreform bringt den Menschen mehr Geld, sie schafft aber kaum Arbeitsanreize. Laut einer Studie hat sie nur Beschäftigungseffekte im Umfang von etwa 10.000 Angestellten.

Wien. Die Steuerreform bringt jedem Österreicher durchschnittlich 900 Euro. Was die Steuerreform allerdings nicht bringt, ist die Motivation, mehr zu arbeiten oder überhaupt zu arbeiten. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) und des Berliner Wirtschaftsprofessors Viktor Steiner.

„Die Arbeitsanreize verbessern sich durch die neuen Tarifstufen nur leicht“, erklärt Steiner im Gespräch mit der „Presse“. „Menschen sind zwar bereit, mehr zu arbeiten oder überhaupt eine Arbeit anzunehmen – das ist aber eine vernachlässigbare Größenordnung.“

Konkret: Die Steuerreform schafft laut der Studie Beschäftigungseffekte von etwa 10.000 vollzeitäquivalenten Angestellten – in erster Linie aber deshalb, weil in bestehenden Jobs länger und mehr gearbeitet wird. Steiner: „10.000 ist für eine Reform mit einem Umfang von fünf Milliarden Euro eine vernachlässigbare Größenordnung.“

Das Hauptproblem sehen GAW und Steiner darin, dass zu wenig auf Geringverdiener oder Arbeitslose eingegangen wurde. Es gebe weiter eine hohe „Transferentzugsrate“. Steiner: „Finanziell sind Arbeitsanreize durch die Steuerreform gering, weil Transferleistungen wegfallen, wenn man ein höheres Einkommen bezieht.“

Das ändere sich auch nicht mit der deutlichen Reduktion des Eingangssteuersatzes von 36,5 auf 25 Prozent. „Für Arbeitslose, Bezieher von Sozialtransfers oder Menschen mit geringem Einkommen wirkt das nicht“, erklärt Steiner.
Das Institut für höhere Studien (IHS) kam freilich bei einer Untersuchung im Auftrag des Finanzministeriums zu einem anderen Schluss. Demnach schaffe die Steuerreform durch die Entlastung des Faktors Arbeit „spürbar höhere Arbeitsanreize. Erwerbsarbeit lohnt sich mehr“. Das sei auch bei Personen mit geringem Einkommen der Fall, die künftig eine Negativsteuer erhielten, weil die Entlastung laut IHS bei einem höheren Einkommen größer sei. Sie würden also mehr arbeiten wollen, weil ihnen auch mehr Geld bleibe.

Darin sehen GAW und Steiner einen Denkfehler. In ihrer Studie erklären die Wissenschaftler, dass Arbeitsanreize „weder von der durchschnittlichen Steuerbelastung noch alleine von den Grenzsteuersätzen“ abhängen würden. Vielmehr gehe es um die Grenzbelastung. „Gemeint ist damit die zusätzliche Belastung, die in Summe auf einem zusätzlich verdienten Euro liegt. Diese zusätzliche Belastung hängt naturgemäß vom jeweiligen Grenzsteuersatz ab, aber eben auch von den zusätzlich anfallenden Sozialbeiträgen und der Transferentzugsrate.“

Ausgleich für kalte Progression

Diese Grenzbelastung sei es, die letztlich für die Aufnahme einer Arbeit und die Ausweitung der Arbeitsstunden entscheidend sei. „Eine Betrachtung des Steuertarifs alleine – also einer einzigen Komponente des Abgaben- und Transfersystems – greift jedenfalls zu kurz.“ Denn der erwähnte Entzug von Transferleistungen mache viele Arbeitsanreize zunichte.

Als Beispiel wird in der Untersuchung die Ausweitung der Negativsteuer erwähnt. Wörtlich heißt es dazu: „So bringt beispielsweise Mindestsicherungsempfängern, die zusätzlich ein Erwerbseinkommen erzielen, die geplante Ausweitung der Negativsteuer nichts, da die Mindestsicherung reduziert wird, wenn nach der Steuerreform netto mehr vom Erwerbseinkommen übrig bleibt.“ Die Senkung des Steuersatzes schaffe eigentlich „erst ab einem Einkommen, bei dem der Transfer bereits vollständig entzogen ist“, Arbeitsanreize.

Auf den Einwurf, dass Sinn der Steuerreform gewesen sei, Menschen mehr Geld zu lassen, um durch höhere Ausgaben die Wirtschaft anzukurbeln, sagt Steiner: „Man soll die Reform nicht kleinreden, sie ist grundsätzlich positiv. Sie ist aber eigentlich nur ein nachträglicher Ausgleich für die kalte Progression (Steuermehrbelastung, die eintritt, wenn die Einkommensteuersätze nicht an die Inflation angepasst werden, Anm.).“

Um Arbeitsanreize zu schaffen, schlagen GAW und Steiner einen anderen Weg vor: Eine Reform dürfe sich dann nicht auf eine Tarifreform beschränken, sondern müsse auch die Mindestsicherung sowie die Notstandshilfe integrieren. So könne man zumindest für geringe Einkommen die Arbeitsanreize via reduzierter Transferentzugsraten erhöhen. Realisierbar wäre Letzteres etwa durch eine höher dimensionierte Negativsteuer.

Auf einen Blick

Die Steuerreform der Bundesregierung schafft laut einer Studie der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung und des Berliner Wirtschaftsprofessors Viktor Steiner kaum Anreize, mehr oder überhaupt zu arbeiten. Dies vor allem deshalb, weil Transferleistungen des Staates
wegfallen würden, wenn den Menschen mehr Geld bleibt. Daher fielen die zu erwartenden Beschäftigungseffekte der Steuerreform mit etwa 10.000 vollzeitäquivalent Beschäftigten relativ gering aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

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