Finanzminister Schelling: "Wir können uns nicht erpressen lassen"

MINISTERRAT: SCHELLING
MINISTERRAT: SCHELLINGAPA/HERBERT NEUBAUER
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Finanzminister Hans Jörg Schelling sprach mit der »Presse am Sonntag« vor dem dramatischen Treffen der Euro-Gruppe am Samstag. Er sieht Griechenland in eine Katastrophe schlittern.

Die Presse: Herr Schelling, der gute alte Sisyphos kann froh sein, dass er nicht EU-Finanzminister ist. Sie diskutieren innerhalb einer Woche viermal über eine Lösung der griechischen Schuldenmisere. Und jedesmal warten die Griechen mit einer neuen Überraschung auf.

Hans Jörg Schelling: Ja, ich glaube, wir machen schon Sisyphos-Arbeit zur Potenz.

Wieder spielt Griechenland auf Zeit, will kommenden Sonntag ein Referendum abhalten. Wie interpretieren Sie diesen Schachzug?

Schelling: Griechenland hat jetzt einmal den Verhandlungstisch verlassen.

Wie kann es nun weitergehen?

Schelling: Es wurde klar ausgesprochen, dass dies die letzte Chance auf eine Einigung ist. Es geht vor allem darum, dass am Dienstag eine absolute Deadline ist. Die nicht erfolgten Rückzahlungen der Griechen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) können nur bis 30. Juni aufgeschoben werden. Dann sind die 1,6 Milliarden Euro fällig.

Es waren schon so viele Kredite fällig. Warum ist eine Verlängerung des Hilfsprogramms nun nicht möglich?

Schelling: Nach den Regeln des IWF ist das nicht denkbar. Dann müsste die Forderung fällig gestellt werden.

Auf Deutsch Staatsbankrott.

Schelling: Das war spätestens seit Donnerstag allen klar und bewusst. Man muss auch den ganzen Prozess kennen: Die Verhandlungen führte ja nicht die Euro-Gruppe mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, sondern die Institutionen, also EZB, Währungsfonds und EU-Kommission. Diese legen den Finanzministern ein Papier vor. Und darüber wird dann diskutiert und abgestimmt.

Und jedesmal kommen die Griechen mit einer neuerlichen Überraschung. Vergangenen Mittwoch legte Varoufakis ein neues Papier vor, nun kommt Alexis Tsipras mit seiner Volksabstimmung.

Schelling: Wir fragen uns schon seit sechs Monaten, wann die Griechen endlich begreifen, wie das funktioniert. Das war ja auch immer meine Kritik. Nämlich, dass wir immer nur politische Grundsatzreden hören, aber keine Fakten vorgelegt bekommen. Wir haben durch das Verhalten der griechischen Regierung viel Zeit verloren.

Jetzt steuert alles auf den sogenannten Plan B zu.

Schelling: Das heißt, dass alle Szenerien durchgespielt werden müssen. Bisher wurde dieser berühmte Plan B in der Euro-Gruppe nie diskutiert. Weil wir eben gesagt haben: Wir wollen Griechenland helfen und etwas weiterbringen.

Jetzt scheint der Grexit fast schon unausweichlich.

Schelling: Wobei es den Grexit gar nicht gibt. Denn aus der Währungsunion kann man gar nicht austreten. Man kann aus der Europäischen Union austreten. Dazu müsste Griechenland einen Antrag stellen. Die anderen EU-Länder müssten diesem Austritts-Antrag zustimmen. Erst dann könnte Griechenland vermutlich auch die Eurozone verlassen.

Und was wird dann aus Griechenland?

Schelling: Die griechischen Staatsschulden würden mit einer neuen Währung von 200 auf 400 Prozent des BIP steigen. Jeder Import wäre doppelt so teuer. Das wäre eine Katastrophe.

Andererseits wissen auch die Griechen, dass ein Grexit für die anderen Euro-Länder schwerwiegend finanzielle Folgen hat.

Schelling: Die Folgen sind für die Euro-Länder nicht annähernd so schlimm wie für Griechenland. Klar ist: Die EU-Kommission und die Euro-Länder können sich auf keinen Fall von einem Land erpressen lassen.

Auch der griechische Premier Tsipras spricht von einer Erpressung.

Schelling: Für ein Scheitern der Verhandlungen hat allein die griechische Regierung die Verantwortung zu übernehmen. Auch dafür, dass sie mit ihrem Land und ihrer Bevölkerung sorglos umgegangen ist.

Woran spießten sich die Verhandlungen? Können Sie zumindest exemplarisch einen konkreten Punkt nennen?

Schelling: Nur ein kleines Beispiel: Die Institutionen haben etwa vorgeschlagen, die niedrigeren Mehrwertsteuersätze für griechische Inseln abzuschaffen. Varoufakis hat diese Ausnahmeregelung aber wieder in seinem Papier festgeschrieben. Und somit fehlten plötzlich 700 Millionen Euro.

Es ist immer von Austerität die Rede, davon dass Griechenland „kaputt gespart“ werde - ein Ausdruck, der übrigens mitunter auch hierzulande zu hören ist. Geht es wirklich nur um Schulden?

Schelling: Genau das ist der entscheidende Punkt. Die Griechen müssten endlich zeigen, dass sie reformwillig sind. Es geht ja nicht um ein Sparprogramm, sondern um ein Reformprogramm. Aber die griechische Regierung ist derzeit nicht einmal im Stande, Steuern einzuheben.

Das können Sie besser. Trotzdem: Welche finanziellen Probleme würden im Falles einer griechischen Staatspleite auf Österreich zukommen?

Schelling: Österreich hat einen bilateralen Vertrag mit Griechenland über 1,6 Milliarden Euro. Die Griechen haben die Zinsen dafür bisher pünktlich bezahlt, das muss ich der guten Ordnung halber festhalten. In Folge einer griechischen Insolvenz müsste dieser Betrag wertberichtigt werden. Wir können noch nicht abschätzen, in welcher Größenordnung. Der größere Betrag ist allerdings unsere Garantie für den EFSF (Europäische Finanzstabilitätsfazilität, Anm.). Diese Garantien werden aber nicht schlagend, weil der Fonds hoch dotiert ist und nicht insolvent wird.

Was passiert in den kommenden Tagen, wenn die Verhandlungen scheitern?

Schelling: Dann gehe ich davon aus, dass relativ rasch ein EU-Gipfel mit den Regierungschefs einberufen wird. Das hat dann mittlerweile längst nicht nur eine ökonomische, sondern eine enorme politische Tragweite.

Erratum

Das Interview der "Presse am Sonntag" war in der Online-Version zunächst falsch formatiert, wodurch eine Frage des Interviewers als Antwort von Hans Jörg Schelling erschien. Wir bedauern den Fehler.

("Die Presse am Sonntag", Printausgabe vom 28.6.2015)

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