Das Geschäft mit Haaresbreiten

AT&S WERK LEOBEN
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Der steirische Konzern AT&S hat sich als Spezialist für Hightech-Leiterplatten in die globale Topliga katapultiert. Ein Besuch bei dem Vorzeigeunternehmen.

My (μ) – das ist ein Tausendstelmillimeter. Mit dem freiem Auge ist diese Maßeinheit nicht wahrnehmbar, auch eine Lupe reicht nicht. Zum Vergleich: Ein Haar ist 100μ „dick“. Eine Bagatelle also? Nicht in der Elektronikindustrie. Um solche Haaresbreiten geht es bei Leiterplatten. Sie sind die Träger elektronischer Bauteile (Chips, Transistoren usw.) und bilden damit die „Nervenzentren“ elektronischer Geräte. „Von der hochkomplizierten Armprothese, dem Industrieroboter über Hörimplantate, Smartphones bis zum Föhn – es gibt praktisch kein Gerät, in dem nicht eine oder meist mehrere Leiterplatten stecken“, erzählt Heinz Moitzi, Technikvorstand der Firma AT&S.

Wir stehen in einer großen, lichtdurchfluteten Halle, in der Frauen und Männer in schneeweißen Anzügen die Produktion dieser Winzlinge überwachen und deren Qualität kontrollieren, bevor sie an rund 500 Industriekunden verschickt werden. Durch die großen Fenster sind grüne Hügel zu sehen. Die liegen aber nicht, wie man landläufig annehmen würde, im Silicon Valley. Wir befinden uns vielmehr im „Mur-Valley“, genauer gesagt im steirischen Leoben.

Dort befinden sich der Konzernsitz der AT&S und ein Teil der Produktion mit rund 900 der insgesamt 7600 Mitarbeiter. Dort wird vor allem auch in die Zukunft geschaut: Im Forschungs- und Entwicklungszentrum tüfteln Wissenschaftler und Ingenieure an jenen Produkten, die die AT&S auch in zehn, 20 Jahren an der Weltspitze halten sollen. Das lässt sich der Konzern einiges kosten: mit einer Forschungsquote (gemessen am Umsatz) von 8,7 Prozent liegt die AT&S weit über dem österreichischen Durchschnitt.

In die Topliga hat sich der Konzern, an dem die Industriellen Hannes Androsch und Willibald Dörflinger 16,3 bzw. 17,8 Prozent halten, mit Hightech-Leiterplatten katapultiert. Entweder werden mehrere Platten aufeinandergepackt, oder sie werden mit besonderen Eigenschaften versehen. Diese substratähnlichen Leiterplatten haben eine größere „Dichte“, wie der Fachmann sagt. Der Abstand zwischen den Leiterbahnen liegt bei 20 bis 30 Mikrometer. Noch komplexer sind die IC-Substrate. Für den Laien: Auf einer Leiterplatte von der Größe einer After-Eight-Tafel sitzen meist zwei Chips mit je 13.000 Anschlusspunkten. Diese Wunderwuzzis stecken etwa in Mikroprozessoren von Notebooks.

Miniaturisierung und Modularisierung. „Unsere Treiber sind die großen Trends der Gesellschaft – Mobilität, Energieeffizienz, höhere Lebenserwartung und neue Produktionssysteme. Alle Produkte und Abläufe verlangen Miniaturisierung und Modularisierung“, sagt AT&S-Chef Andreas Gerstenmayer. Wie rasant die Entwicklung ist, zeigt am besten das Mobiltelefon: Wer erinnert sich nicht an die Briketts, die man nur schwer ans Ohr klemmen konnte? Das ist erst 40 Jahre her. Dass Smartphones heutzutage wieder etwas größer werden, hat nichts mit Rückschritt zu tun: „Da kann man mehr Funktionen draufpacken und die Akkuleistung vergrößern.“ Stillstand heißt also Untergang – „die einzige Konstante in unserem Geschäft ist der Wandel“, sagt Gerstenmayer und veranschaulicht mit Beispielen die Rasanz in der Halbleiterindustrie: Ein Rolls-Royce würde heute nur 2,75 Dollar kosten und mehr als eine Million Kilometer mit einem Liter Treibstoff zurücklegen können. Und eine Boeing 767 wäre um 500 Dollar zu haben und würde die Erde in 20 Minuten umrunden – mit 20 Liter Treibstoffverbrauch.

57 Milliarden Dollar ist der Markt für Leiterplatten derzeit schwer, in nur drei Jahren sollen es 71 Milliarden sein. Produkte aus dem Hause AT&S stecken in Smartphones, Tablets und Computern genauso wie in Navi-Systemen und Sensoren für Autos, in Hörgeräten und Herzschrittmachern sowie in Industrierobotern. Je komplexer die Anwendung, desto höherwertiger müssen die Leiterplatten sein. Substratähnliche Leiterplatten stecken etwa in Smartwatches, während IC-Substrate in selbst fahrenden Autos „arbeiten“. Die gut gehütete Kundenliste liest sich wie das Who's who der Industrie: Apple, Samsung, Blackberry, Sony, Canon, LG, Intel und Huawei, ZTE und Xiaomi zählen ebenso dazu wie Osram, Siemens, General Electric und die EADS.

Zurück in die Halle: 150 Arbeitsschritte sind notwendig, um aus einem mit hauchdünner Kupferfolie beschichteten Glasfaservlies, das mit Epoxidharz getränkt ist, eine Hightech-Leiterplatte zu machen. Das dauert fünf bis zehn Tage. Stanzen, bohren, ätzen, fräsen – auf diese Vorgänge könnte man den komplexen Arbeitsablauf herunterbrechen. Wobei die Menschen eher die Supervisor sind. Die Arbeit verrichten die Maschinen – nur sie können so exakt und schnell im Mikrobereich agieren. Ein Laserbohrer schafft bis zu 1500 Bohrungen – pro Sekunde. Auch da lässt das freie Auge aus.

Gros aus China. 1,6 Quadratkilometer Leiterplatten wurden im Vorjahr hergestellt. Aus Leoben kommen nur 120.000 Quadratmeter – das Gros geht in China vom Band. In Shanghai hat die AT&S seit 2000 rund 630 Millionen Euro investiert. Weitere 480 Millionen fließen in die neue Fabrik in Chongqing. Dort startet Mitte 2016 die Produktion von IC-Substraten. Der Schritt nach China, wo die Lohnkosten gemessen am Produkt um etwa zwei Drittel unter jenen in Österreich liegen, hat die AT&S zum profitabelsten Unternehmen seiner Branche gemacht. Aber es geht Gerstenmayer nicht nur um Kosten: Es sei die Geschwindigkeit, mit der Projekte umgesetzt werden. Außerdem säßen in China die wichtigsten Kunden, mit denen gemeinsam neue Technologien entwickelt würden. Denn vom reinen Imitator hat sich das Land schon lang wegentwickelt.

Was kommt also als Nächstes? „All-in-one-Lösungen“, sagt Technikvorstand Moitzi. Das heißt, die verschiedenen Leiterplattenmodelle werden in ein Hochleistungsprodukt gepackt. In zwei, drei Jahren könnte es schon so weit sein. Wie dünn diese Leiterplatten sein werden? Das weiß Moitzi noch nicht. Aber eines weiß er: Die AT&S wird ganz vorn mit dabei sein.

In Zahlen

1987 entstand die AT&S aus drei Teilunternehmen: einem Werk der Körting-Elektronik, einem Zweigwerk von Eumig und einer Betriebsstätte der Voestalpine. Bis zur Privatisierung 1994 gehörte das Unternehmen der Staatsholding ÖIAG.

2014/15 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 667 Millionen Euro (plus 13,1 Prozent). Der Nettogewinn stieg um 81,5 Prozent auf 69,35 Millionen Euro.

480 Millionen Euro werden in das neue Werk in Chongqing investiert, wo ab 2016 Leiterplatten mit neuer Technologie produziert werden. 630 Millionen Euro flossen bisher in das erste Werk in China in Shanghai. vyhnalek.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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