Industrie will Jobs für Asylwerber

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Bewerbung(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung verlangen einen Zugang von Asylwerbern zum Arbeitsmarkt. Die Regierung legt sich quer – aus Angst vor der FPÖ, so die Kritik.

Wien. Deutschland macht es vor: Asylwerber dürfen nach drei Monaten Aufenthalt einen Job annehmen. Dabei gibt es allerdings eine wichtige Einschränkung: Der Asylwerber kommt nur dann zum Zug, wenn für die offene Stelle kein Deutscher, kein EU-Ausländer und kein anerkannter Flüchtling zur Verfügung steht.

Die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung verlangen eine ähnliche Regelung für Österreich. „Trotz der steigenden Arbeitslosigkeit werden in Österreich nach wie vor Fachkräfte gesucht. Viele Asylwerber sind ausgebildete Fachkräfte. Warum sollen sie in Österreich nicht arbeiten dürfen?“, fragt Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich.

Brisante Wifo-Studie

Doch Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) will davon nichts wissen. Er verweist auf die hohe Arbeitslosigkeit. Den am Mittwoch veröffentlichten Zahlen zufolge gab es im Juni in Österreich 381.898 Menschen, die einen Job suchten. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 7,7 Prozent. Gleichzeitig gab es aber 29.865 offene Stellen (plus drei Prozent). Am gestrigen Mittwoch präsentierte Hundstorfer auch die lange Zeit unter Verschluss gehaltene Asyl-Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Demnach würde eine Öffnung des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerber kurzfristig zu einer leichten Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen – und zwar um 0,23 Prozentpunkte.

Doch die Studie wurde zu einem Zeitpunkt erstellt, als man für 2015 in Österreich mit 33.000 Asylanträgen gerechnet hat. Inzwischen werden für heuer 70.000 Asylanträge erwartet. Vor diesem Hintergrund „ist für mich eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber nicht vertretbar“, so Hundstorfer. Die FPÖ jubelt und spricht von einer „späten Einsicht“ des Sozialministers.

Die Wirtschaft und andere Oppositionsparteien (wie die Neos und die Grünen) sind über diese Entwicklung unglücklich. Sie vermuten, dass die SPÖ hier aus Angst vor den Freiheitlichen einen härteren Kurs fährt.

Noch im November 2014 hatten Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) erklärt, dass sie den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber unter bestimmten Umständen ausweiten wollen. Doch nun schließt die SPÖ angesichts der Wien-Wahl im Oktober 2015 einen solchen Schritt kategorisch aus. Die Wirtschaft, die Neos und die Grünen kritisieren auch die an Hundstorfer in Auftrag gegebenen Wifo-Expertise. „Die Studie ist in der vorliegenden Form völlig nutzlos“, sagt Gerald Loacker, Sozialsprecher der Neos. Denn es werde nur auf eine völlige Liberalisierung des Arbeitsmarktes eingegangen. Doch weder die Wirtschaftskammer noch die Industriellenvereinigung verlangen eine vollständige Freigabe des Arbeitsmarktes für Asylwerber. Sie sind dafür, dass in Österreich – ähnlich wie in Deutschland – das sogenannte Ersatzkraftverfahren zum Zug kommt. Das heißt: Eine Firma darf einen Asylwerber nur dann nehmen, wenn für die freie Stelle kein Österreicher und kein EU-Bürger zur Verfügung steht.

Keine vollständige Freigabe

„Kein Österreicher muss daher Angst haben, dass er beim Kampf um einen Arbeitsplatz von einem Asylwerber verdrängt wird“, betont Gleitsmann von der Wirtschaftskammer. Weiters soll sich der Asylwerber vor Annahme eines Jobs mindestens sechs Monate in Österreich aufgehalten haben. Die Industriellenvereinigung betont, dass Asylwerbern „aus gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen“ ein realistischer Zugang zum Arbeitsmarkt eingeräumt werden soll. Denn Erwerbstätigkeit sei für Asylwerber ein „wichtiger Beitrag zur Integration und verhindert zudem Kompetenzverlust“.

Derzeit dürfen Asylwerber nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Österreich nur einer befristeten Saisonbeschäftigung im Tourismus oder in der Landwirtschaft nachgehen. Interessant ist noch ein anderer Punkt: Bis 20. Juli müssen alle EU-Länder eine Richtlinie aus Brüssel umsetzen. Darin wird vorgeschrieben, dass Asylwerbern spätestens nach neun Monaten Aufenthalt der Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlauben ist. Die EU erlaubt auch Einschränkungen wie das von der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung geforderte Ersatzkraftverfahren. Flüchtlingshilfsorganisationen sind der Ansicht, dass Österreich mit den jetzigen Restriktionen gegen die EU-Richtlinie verstößt. Hundstorfer bestreitet das.

AUF EINEN BLICK

Die Arbeitslosigkeit ist wieder gestiegen. Im Juni waren 381.898 Personen auf Jobsuche, das ist ein Plus von 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dramatischer ist die Lage für Langzeitarbeitslose. Knapp 33.000 Menschen sind bereits länger als ein Jahr ohne Arbeit – ein Plus von 181,9 Prozent. Die Arbeitslosenquote stieg um 0,9 Punkte auf 8,3 Prozent. Trotzdem gab es im Juni 29.865 offene Stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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