OECD: Teilzeit ist kein Erfolgsmodell

(c) Clemens Fabry
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In Österreich kehren besonders viele junge Mütter nicht in einen Vollzeitjob zurück. Dadurch entgehen der Volkswirtschaft große Wachstumschancen, rechnet die OECD vor.

Wien. Vorbei die Zeiten, als der Mann bei der Arbeit und die Frau am Herd als die allein seligmachende Form der Familie galt. Heute sind junge Österreicherinnen gleich gut ausgebildet wie ihre männlichen Altersgenossen. Wenn sie ins Berufsleben starten, verdienen sie nicht weniger. Freilich: Wenn sie dann ein Kind bekommen, sind in aller Regel sie es, die sich zumindest zwei Jahre um das Baby kümmern. Dann nehmen sie meist einen Teilzeitjob an, und dabei bleibt es in der Regel, solange die Kleinen schulpflichtig sind. An eine Karriere ist später nicht mehr zu denken. Aber Umfragen zeigen: Die Frauen wollen das so. So wie Mädchen eben Friseurin oder Sekretärin werden wollen, was bestens auch halbtags möglich ist. Die Chancen sind gleich verteilt, darüber hinaus sollte der Staat nicht versuchen zu steuern. Oder?

Produktiver bei Vollzeit

Einspruch, sagt nun die OECD. Der Pariser Thinktank argumentiert dabei vor allem ökonomisch – in seinem Wirtschaftsbericht für Österreich, den er am Dienstag in Wien präsentiert hat. Die Alpenrepublik bietet sich für die Analyse an. Denn in keinem Industriestaat, von den Niederlanden abgesehen, ist die Mutter in Teilzeit so verbreitet wie hier. Nur in wenigen jungen Familien arbeiten beide Elternteile in Vollzeit. Und dadurch gehe der Volkswirtschaft viel verloren: Um 13 Prozentpunkte könnte das Potenzialwachstum bis 2060 steigen – in einem Szenario, bei dem Erwerbsarbeit und Haushalt gleichmäßiger auf Geschlechter verteilt sind. Das rechnet die OECD anhand ihres Prognosemodells vor.

Wie erklärt sich das schlummernde Potenzial? Zunächst durch mehr Arbeitsstunden bei Vollzeit: Es wachsen Beschäftigung, Einkommen, Konsum – und damit die Wirtschaft. Zudem würde die Produktivität steigen. Denn Mütter, die nur in Teilzeit arbeiten, nutzen meist ihre Qualifikation nicht voll. Sie haben weniger Chancen, sich im Beruf weiterzubilden. Erst die Vollzeitstelle entfaltet also ihr Potenzial. Der dritte Effekt läuft über die Geburtenrate: Die OECD geht davon aus, dass durch bessere Wahlmöglichkeiten die Bereitschaft steigt, Kinder in die Welt zu setzen. Dafür sprechen die Daten von Finnland, Frankreich und Schweden (der Ausreißer ist Portugal, wo trotz hoher Erwerbsbeteiligung die Geburtenrate niedrig ist). Mehr Junge im erwerbsfähigen Alter steigern später die Wirtschaftskraft.

Soll deshalb die Politik tätig werden? Um der Wirtschaft willen? Und obwohl die Eltern offenbar zufrieden mit ihren eineinhalb Einkommen sind? In Sachen Gerechtigkeit argumentiert die OECD so: Längst habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nicht genügt, wenn die Politik für gleiche Chancen zwischen den Geschlechtern sorgt. Sie müsse, im Sinne einer „Gleichheit der Autonomie“, auch Rollenbilder aufbrechen, die Gleichstellung behindern. Dann würden auch mehr Mütter Vollzeit arbeiten wollen und mehr Mädchen technische Berufe wählen – und damit nicht nur wohlhabender, sondern auch zufriedener sein.

Mängel bei Kinderbetreuung

Dafür habe die Politik handfeste Werkzeuge. Denn verkrustete Wertvorstellungen wittert die OECD schon im Steuersystem, etwa beim Alleinverdienerabsetzbetrag. Er mache zwar nur 200 Mio. Euro aus, erklärt OECD-Vizegeneralsekretär Stefan Kapferer, sei aber ein schlechtes „psychologisches Signal“, weil er ein „nicht zukunftsfähiges Erwerbsmodell propagiert“. Oder die steuerliche Begünstigung der Überstunden, die zu drei Vierteln Männer leisten – typischerweise „Familienerhalter“. Konkrete Defizite sieht die OECD auch in der Kinderbetreuung. Nicht nur bei der Zahl der Krippen und Kindergärten liegt Österreich hinter Vergleichsländern zurück. Auch bei den Öffnungszeiten gebe es großen Nachholbedarf, vor allem im ländlichen Raum. In Summe gibt der Staat nur 0,65 Prozent des BIP für Kinderbetreuung aus, im Vergleich zu zwei Prozent in nordischen Ländern.

Bei der Babypause empfiehlt die OECD, die Männer stärker in die Pflicht zu nehmen: ein Drittel von Zeit und Geld soll für die Väter reserviert werden. Wenn sie es nicht nutzen, verfällt es. Genau diese Forderung verhandelt Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) gerade mit Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP), die einen niedrigeren Anteil will. Wohl kein Zufall. Denn das ist der Schönheitsfehler des OECD-Berichts: Nicht die Experten in Paris haben sich das Schwerpunktthema Gender gewählt, sondern Heinisch-Hosek hat es in Auftrag gegeben. Aber die Zahlen zeigen, dass Österreich für den ersten Länderbericht mit diesem Fokus keine schlechte Wahl war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2015)

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