Bäcker vs. Diskonter: Kampf ums beste Stück vom Kuchen

Vom Korn zum Brot
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Bedroht von 15-Cent-Semmeln von Diskontern wie Aldi und Hofer streiten Bäcker in Deutschland vor Gericht darüber, was als Backen bezeichnet werden kann. Doch auch die Bäcker machen längst nicht mehr alles selbst.

Eine Semmel für 15 Cent. Eine frisch gebackene, wohlgemerkt. Mit diesem Kampfpreis hat der Diskonter Hofer, der bis Ende 2015 einen Großteil seiner Filialen mit der sogenannten Backbox ausstatten will, die Bäcker in helle Aufregung versetzt.

Die Supermärkte haben bereits reagiert. Neuerdings führt auch Spar mit seiner Billigmarke S-Budget eine frisch gebackene Semmel um 15 Cent im Angebot. Billa versucht es mit der Qualitätsschiene und wirbt mit der Herkunft seiner Backwaren. Nur Gebäck von Meisterhand komme in die Filialen, so die Message, und keine No-name-Semmerln. Bei den meisten Bäckern kostet eine Semmel um die 80Cent, in den Supermärkten 30.

In Deutschland, wo Aldi Süd schon seit 2009 mit frischen Backwaren wirbt, wehren sich die Bäcker gegen die Dumpingpreise. Der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks prozessiert seit mittlerweile fünf Jahren gegen den Diskonter. Die Forderung: Aldi dürfe nicht von sich behaupten zu backen. Wo de facto doch nur bereits von industriellen Großbäckereien hergestellte, vorgebackene Teiglinge in einen programmierten Backautomaten geschoben würden, der in 30 Sekunden eine „frisch gebackene“ Billigsemmel ausspuckt. So ein Automat dürfe keinesfalls Backofen genannt werden, echauffieren sich die Bäcker. Das sei kein Backen, sondern bestenfalls ein Aufwärmen. Den Kunden ist das relativ egal, die Backshops erfreuen sich großer Beliebtheit.

In Österreich wird nicht prozessiert. Die Lage ist auch ein bisschen diffiziler. Denn Hofer verwendet zum Aufbacken der Teiglinge nicht die Backautomaten, die in Deutschland so verpönt sind, sondern richtige Backöfen. Und tut damit nichts anderes als die überwiegende Mehrheit der österreichischen Bäcker auch: Die meisten produzieren ihren Teig schon lang nicht mehr selbst, sondern kaufen ihn zu und backen ihn dann fertig.

Ein Antrag auf Eintragung des freien Gewerbes „Fertigbacken vorgebackener Teiglinge“ wurde von der Bundesinnung der Lebensmittelgewerbe deshalb auch entrüstet abgelehnt: „Dieses Ansinnen ist auf das Schärfste abzulehnen. Das Backen als typische Kerntätigkeit des Bäckergewerbes kann unter keinen Umständen als freies Gewerbe eingestuft werden“, schrieb die Innung in einem Bäckerrundschreiben im Mai. Das heißt: Jeder, der vorgebackene Teiglinge in den Ofen schiebt, muss eine Gewerbeberechtigung haben und zumindest unter Aufsicht eines Meisterbäckers stehen, wie Innungsmeister Josef Schrott bestätigt. Wer aufbäckt, ist also ein Bäcker. Nur wer einen Backautomaten verwendet, offenbar nicht.


Qualität gleicht sich an. „Das Hauptproblem der Bäcker ist, dass sich die Qualitäten massiv angeglichen haben. Für den Kunden ist kein Unterschied mehr erkennbar, ob sie bei Lidl, Billa, Hofer oder beim Bäcker ums Eck kaufen“, sagt der Bäcker Helmut Gragger. Weil alle bei denselben Großbäckern ihre Ware bestellen würden. Was nicht heiße, dass die Qualität prinzipiell schlecht sei. Das Sortiment sei vielfältiger geworden und nicht zuletzt deshalb von den kleinen, niedergelassenen Bäckern schwerer zu managen.

Gragger gehört zu der Handvoll österreichischer Bäcker, die versuchen, sich von der Masse abzuheben, indem sie das traditionelle Bäckerhandwerk wieder aufleben lassen. Bei Gragger, der mit Filialen in Wien und Linz präsent ist, wird ausschließlich in speziell angefertigten Holzöfen gebacken, der Teig wird in traditioneller Handarbeit hergestellt. „Wenn du mit der Hand arbeitest, kannst du weichere Teige machen, du brauchst keine Emulgatoren wie für einen maschinentauglichen Teig. Das macht geschmacklich einen Riesenunterschied“, sagt Gragger.

Das bedeutet freilich auch, mit dem Preis deutlich nach oben zu gehen, sich also zu trauen, genau das Gegenteil vom Handel zu machen. Dass eine bestimmte Kundenschicht bereit ist, für besonderes Brot mehr zu zahlen, zeigen Bäcker wie Gragger oder Joseph (bei Letzterem kann ein Laib schon einmal sieben Euro kosten, bei Gragger 5,50 Euro). Dass die Rückkehr zum traditionellen Handwerk ein für die Mehrheit gangbarer Weg ist, glaubt Ewald Müller, Chef des Backmittelherstellers Lesaffre, nicht: „Wenn ein Bäcker heute so wie früher bäckt, hat er schon verloren“, sagt Müller. Auch Bäcker wie Gragger oder Joseph würden sich moderner Technik bedienen, damit aber eben innovativer arbeiten, mit mehr Wissen um das Produkt. Auch die Großbäcker auf dem österreichischen Markt – neben Ströck in Wien Anker, Der Mann und Felber – suchen nach Wegen, sich von der Masse abzusetzen und sich – trotz automatisierter Prozesse – den Anstrich des Handwerklichen zu geben.

Ströck zum Beispiel. In der Unternehmenszentrale im 22. Bezirk, nahe dem Strandbad Gänsehäufel, gibt es keine langen Produktionsstraßen, bei denen von der Teigproduktion bis zum fertig gebackenen Teil alles maschinell passiert. „Da wir statt eines großen Ofens 100 kleine haben, sind wir flexibler, können mehr auf die verschiedenen Produkte eingehen. Das bedeutet auch, dass mehr manuell gemacht werden muss“, sagt Geschäftsführer Philipp Ströck.

Backen für Billa. Andererseits nutzen die Großbäcker den Backtrend im Lebensmittelhandel, indem sie für diesen produzieren. So bäckt Ströck unter anderem für Rewe (Ja! Natürlich) und andere Handelsketten. 20Prozent des Umsatzes kommt dadurch herein. Die Produktion für den Handel findet räumlich getrennt statt (und war nicht Teil des Rundgangs für die „Presse“).

Für den Diskont produziert Ströck aber nicht: „Wenn eine Semmel nur 15Cent kosten darf, verdient niemand daran. Das Gebäck dient nur dazu, die Kundenfrequenz anzukurbeln“, ist Philipp Ströck überzeugt. Bei der Eigenproduktion nimmt man sich bei Ströck Zeit für Experimente, die dann im eigenen Restaurant, Ströck Feierabend, getestet werden – ein beidseitig gebackenes Ciabatta gehört zu den neuesten Errungenschaften. Den Spielraum für solche Experimente haben die meisten kleineren Bäckereien nicht. „Die Anforderungen sind mittlerweile einfach zu hoch. Du musst Gastronom sein, Sandwichlieferant und Bäcker. Die Betriebszeiten sind mittlerweile fast 20 Stunden“, sagt Gragger.

Da sei es kein Wunder, dass die meisten schon in den Neunzigerjahren dazu übergegangen seien, Teiglinge aufzubacken, statt selbst Teig zuzubereiten. Noch dazu, da der Kunde ja zu jeder Tageszeit ofenfrisches Gebäck erwartet. Ein unerfreulicher Nebeneffekt dieses Multitaskings: „Das Ausbildungsniveau und das fachliche Können nehmen ab“, sagt Gragger.


Aldi rüstet um. Bleibt die Frage aus Kundensicht, ob die Qualität des Gebäcks durch das Aufbacken von vorproduzierten Teiglingen eigentlich leidet. „Das Fertigbacken ist kein Qualitätsnachteil“, sagt Philipp Ströck. „Wenn das Gebäck doppelt gebacken wird, wird die Kruste sogar rescher.“ Nicht bei allen Produkten funktioniere das Halbbackprinzip aber gleich gut. Bei Teig mit einem hohen Korn- und Wasseranteil sei das kein Problem. Bei Semmeln sei es aber zum Beispiel ein Nachteil. Der Schlüssel zur Qualität liege in der Teigzubereitung, und hier seien Zeit und Können wichtige Faktoren. Je länger ein Teig zwischen den Verarbeitungsschritten rasten kann, desto besser wird er.

Die Besinnung auf Qualität scheint tatsächlich eines der wenigen Rezepte zu sein, um das Überleben der kleinen Bäcker zu sichern. Gerichtliche Urteile über Backöfen werden da wenig ausrichten. Ohnehin wird gemunkelt, dass Aldi in Deutschland vorhat, die Backautomaten durch „echte“ Backöfen zu ersetzen. Damit hätte der Diskont den Bäckern wieder einmal ein Schnippchen geschlagen.

Fakten

Bäckeranzahl. Die Zahl der bei der Fachgruppe registrierten Bäcker ist in Österreich laut KMU-Forschung Austria zwischen 2005 und 2014 von 1920 auf 1526 geschrumpft. Die Zahl der Beschäftigten ist in Summe von 21.842 auf 20.343 zurückgegangen.

Unternehmensgröße.Die verbleibenden Unternehmen werden größer. Die Zahl der Beschäftigten in den Einzelbetrieben ist in den vergangenen neun Jahren von 13,7 auf 16,4 gestiegen.

Verkaufspreise. Bei 54 Prozent der Betriebe blieben die Preise 2014 konstant, 46 Prozent der Betriebe konnten die Verkaufspreise 2014 verglichen mit 2013 erhöhen, kein Betrieb
hat sie reduziert.

Umsatzentwicklung.Preisbereinigt ist der Umsatz der Branche 2014 um 0,3 Prozent gesunken, womit sich die Abwärtsentwicklung der vergangenen Jahre fortsetzt.

Investitionen. Seit zwei Jahren investieren die Bäcker wieder mehr. Im Jahr 2014 waren es 4600Euro je Beschäftigten. Die Hälfte davon fließt in bauliche Maßnahmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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