Wien driftet sozial auseinander

Bettler
Bettler (c) AP (Mikhail Metzel)
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Der Abstand zwischen den reichen und den ärmeren Bezirken der Stadt hat sich dramatisch vergrößert. Die Gründe sind Zu- und Abwanderung sowie steigende Gebühren.

Wien(awe). Die angeblich ausgewogene Durchmischung von Arm und Reich, Alt und Jung sowie Ausländern und Inländern ist eines der sozialpolitischen Aushängeschilder des SP-regierten Wien. Ghettos? Soziale Probleme? Eine Schere zwischen Arm und Reich? Nicht hier, der soziale Friede ist gesichert, tönt es bis auf Nachfrage dazu aus dem Rathaus. Nach den jüngsten Entwicklungen muss diese Theorie jedoch geändert werden.

Eine aktuelle OGM-Studie zur Entwicklung der realen Kaufkraft zeigt nämlich, dass die Kluft zwischen Bezirken mit tendenziell einkommensschwacher Bevölkerung und jenen Stadtteilen, in denen die wohlhabenderen Bürger wohnen, nirgendwo in Österreich größer ist als im roten Wien. Während sich das durchschnittliche (Jahres-)Nettoeinkommen im Bundesländervergleich innerhalb der schmalen Bandbreite von 13.942 (Kärnten) und 15.808 Euro (Wien) bewegt, pendelt es innerhalb der Hauptstadt zwischen 34.587 (Innere Stadt) und 13.295Euro (Brigittenau). Oder in anderen Worten: Diesseits des Donaukanals verdienen die Bewohner im erwerbsfähigen Alter (15 Jahre und älter) mehr als zweieinhalbmal so viel wie auf der anderen Seite. Somit befinden sich der reichste und der ärmste Bezirk Österreichs in unmittelbarer Nachbarschaft.

Der erste Bezirk legt stark zu

Ein auffälliges Detail zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2005 ist, dass sich die Einkommen von Arm und Reich auch weiter auseinanderbewegen. Während die Innere Stadt gegenüber dem Wien-Schnitt um 40,1 Prozent, die Josefstadt um 9,1, Währing um 3,3, Neubau um 2,9 und Hietzing um 2,7 Prozent zulegten, verloren die einkommensschwachen Bezirke.

Das Pro-Kopf-Einkommen in Fünfhaus ging um 4,9 Prozent zurück, jenes in der Brigittenau um 4,6, in Favoriten um 1,6 und jenes in Meidling um 1,4 Prozent. Einziger Verlierer unter den Reichen ist Döbling, das sich um 2,1 Prozentpunkte dem durchschnittlichen Wiener Einkommen annäherte, mit 19.308 Euro jährlich aber noch immer in der obersten Liga spielt. Verdeutlicht werden diese Zahlen laut OGM durch den Vergleich der realen Kaufkraft.

Für diese Berechnung stellten die Marktforscher das durchschnittliche Einkommen den Lebenserhaltungskosten innerhalb der jeweiligen Region gegenüber. Weil das Preisniveau (Wohnen, Leben, Freizeit etc.) in der vergleichsweise armen Brigittenau nur um zwölf Prozent niedriger ist als in der Inneren Stadt, fällt der Unterschied zwischen den Bezirken auch bei dieser Berechnungsmethode deutlich aus. Setzt man den durchschnittlichen realen Kaufkraft-Index bei 100 an, kommt die Innere Stadt auf einen Wert von 181,6, die Brigittenau auf bescheidene 79,8 Punkte.

Um die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich darzustellen, ist es übrigens gar nicht nötig, den Sonderfall 1. Bezirk zu bemühen. Selbst die für Wiener Verhältnisse als mittelständische Regionen zu bezeichnenden Bezirke Wieden und Josefstadt (je 117), Währing (114,6) und Liesing (113,8) lassen die an Kaufkraft schwachen Bezirke wie die Leopoldstadt (86,6), Simmering (91,4) oder Rudolfsheim-Fünfhaus (80,4) deutlich hinter sich. Finanzielle Unterschiede, wie sie laut OGM sonst nirgendwo in Österreich so deutlich sind.

Zuzug von Migranten

Als Hauptgrund für die zunehmende örtliche Ausdifferenzierung der Einkommensschichten nennt die Studie einerseits den Wegzug kaufkräftiger Personen in das Umland („Speckgürtel“), wovon vor allem Niederösterreich profitiert. Anderseits, so die OGM-Forscher, sei das Studienergebnis auf den Zuzug einkommensschwacher Schichten, überwiegend Migranten, zurückzuführen. Die Steigerung der Kosten hingegen, die sich negativ auf die Gesamtkaufkraft auswirkt, sei zum Teil sogar hausgemacht. Die Autoren machen dafür vor allem die Preise für Wohnen, (öffentlichen) Verkehr sowie Abgaben und Gebühren verantwortlich, die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind. Laut Studie sogar am stärksten in ganz Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2009)

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