„Unfaire Sanktionen“, „europäische Freunde“ und sechs Demonstranten

A sign which reads 'Stop the Bomb' is seen as protesters gather outside the hotel where the Iran nuclear talks meetings are being held in Vienna, Austria
A sign which reads 'Stop the Bomb' is seen as protesters gather outside the hotel where the Iran nuclear talks meetings are being held in Vienna, AustriaREUTERS
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Am Donnerstag fand in Wien die erste große Wirtschaftskonferenz seit der Einigung im Atomstreit statt.

Wien. Groß ist es nicht, das Aufgebot der NGO Stop the bomb. Nur sechs Demonstranten der Organisation, die bereits seit Jahren gegen geschäftliche Aktivitäten mit dem Iran protestiert, haben sich am Donnerstagmorgen vor der Zentrale der Wirtschaftskammer eingefunden. Sie beklagen Geschäfte mit einem „antisemitischen Regime nur 70 Jahre nach dem Holocaust“, wie es auf ihren Flugblättern heißt.

Anders die Situation in der WKO-Zentrale. Der große Veranstaltungssaal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Kein Wunder, handle es sich doch um ein „historisches Ereignis“, wie ein Teilnehmer zur „Presse“ sagt – um die erste Wirtschaftskonferenz von iranischen und westlichen Unternehmen seit der Einigung im Atomstreit vor etwas mehr als einer Woche. Der gebürtige Iraner, der für die japanische Bank Nomura in London arbeitet, ist daher sogar auf eigene Kosten nach Wien gekommen. Er erhofft sich einen Informationsvorsprung, wenn die Finanzsanktionen gegen den Iran aufgehoben werden.

Auch sonst ist das Publikum sehr stark durchmischt. Vertreter von 250 Unternehmen aus 15 Ländern haben sich bei der Iran-EU Conference in der Wirtschaftskammer eingefunden. Darunter auch Angehörige von US-Firmen oder Vertreter der britischen sowie der chinesischen Botschaft. Die meisten Unternehmen stammen jedoch klarerweise aus Österreich. Und diesen will Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl auch einen entscheidenden Startvorteil im Wettrennen mit Firmen aus anderen Ländern verschaffen. „Es ist heuer bereits das achte Treffen zwischen der österreichischen und der iranischen Business-Community. Wir brauchen uns nicht in ein Flugzeug zu setzen, um als Erste dort zu sein. Wir arbeiten schon ständig zusammen“, so Leitl.

„Geschäft bringt Menschen zusammen“

Es habe sich ausgezahlt, dem Iran die Treue zu halten, auch während er international geächtet war, zieht Leitl über die von den USA oder Großbritannien immer wieder kritisierte Politik Österreichs der vergangenen Jahre Bilanz. Und er könne auch den Vorwurf nicht nachvollziehen, dass man nur am Geschäft interessiert sei. „Ja, wir sind am Geschäft interessiert. Denn Geschäfte bringen die Menschen zusammen und machen sie so auch friedfertiger“, sagt Leitl, um sich auch an die – nicht anwesenden – Demonstranten zu wenden. „Auf die Aussage ,Stop the bomb‘ kann ich eine Antwort geben: Die Bombe ist gestoppt.“

Dass sich die Stimmung gegenüber dem Iran auch weiter westlich geändert hat, zeigt die Rede von Lord Norman Lamont, dem Vorsitzenden der britisch-iranischen Handelskammer. Zwar findet er anders als die österreichischen Wirtschaftsvertreter auch kritische Worte gegenüber dem Iran. So sei das Abkommen kein „perfekter Deal“ gewesen. Aber immer noch besser als „gar kein Deal“. Dann wendet sich aber auch Lamont vor allem den Chancen für die europäische Wirtschaft zu. „Das ist der letzte große Schwellenmarkt, der sich öffnet. Und der Iran hat trotz langjähriger Sanktionen das zweitgrößte BIP der Region, das um acht Prozent per anno steigen soll.“

Von der iranischen Delegation wird der Ball dankend aufgenommen. In ihren Reden fallen zwar noch Verweise auf die „unfairen Sanktionen“. Grundsätzlich will man aber lieber die Möglichkeiten für die „europäischen Freunde“ aufzeigen. Wobei der Iran auch hier über großes Selbstbewusstsein verfügt. „Die Sanktionen hatten auch Vorteile. Sie haben dazu geführt, dass wir viele Teile selbst herstellen können. Wir sind daher auch nicht mehr an einem einfachen Import von Gütern interessiert. Wir wollen Kooperationen, in denen es auch einen Technologietransfer gibt“, sagt der iranische Industrieminister, Mohammed Reza Nematzadeh.

Chancen für Autozulieferer

Vor allem in der Öl- und Gasindustrie, aber auch in der Stahlproduktion oder der Autoindustrie habe das Land großen Bedarf. Hier könne er sich Joint Ventures mit österreichischen Firmen gut vorstellen. Diese würden dafür nicht nur den Markt von 80 Millionen Iranern bekommen, sondern eine „Plattform für 300 Millionen Menschen in der gesamten Region“. Der Iran habe nämlich immer noch funktionierende Vertriebskanäle in die mitunter schwierigen Nachbarländer.

Doch wie sehr können die politischen Spannungen diese neuen Geschäftsaussichten noch trüben? US-Außenminister John Kerry zeigte sich zuletzt ja „sehr besorgt“ über die Aussage des religiösen Führers Ayatollah Khamenei, wonach der Iran seine Politik gegen die „arroganten USA“ nicht ändern werde und weiterhin „unterdrückte Völker“ in der Region unterstütze – etwa die Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon. „Wir werden die Prinzipien der iranischen Politik nicht ändern. Wir werden die Palästinenser weiter verteidigen. Wem das nicht gefällt, dem gefällt das halt nicht“, meint dazu der stellvertretende iranische Wirtschaftsminister, Mohammed Khazaei, zur „Presse“. Leitl interpretiert das wohlwollender: „Das ist nur die notwendige Begleitmusik. Auch im Iran sind ja nicht alle einer Meinung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2015)

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