Hartz IV kommt in Österreich an

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Für ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling ist das Arbeitslosengeld in Österreich zu hoch. Er sieht das deutsche Sozialmodell als Vorbild.

Deutschland ist nicht nur unser größter Nachbar, es musste in den vergangenen Jahren auch vielfach als Vorbild für Österreich herhalten. Etwa, wenn es darum ging, eine Schuldenbremse einzuführen, das Minderheitenrecht für Untersuchungsausschüsse oder ein Lehramtsstudium für Türkisch (was nicht geschah).

Am Samstag machte ein neuer, an Deutschland angelehnter Vorschlag, die Runde. Einer, der quer durch die Parteienlandschaft für große Empörung sorgte. Den Unmut zog diesmal Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) auf sich. In einem Interview mit dem „Standard“ beurteilte der Politiker das deutsche Hartz-IV-Modell als nachahmenswert. „Es ist auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu finden, weil das Arbeitsloseneinkommen fast genauso hoch ist wie das Arbeitseinkommen. In Deutschland gibt es mit HartzIV ein Modell, das offenbar besser funktioniert“, sagte Schelling.

Kritik ließ nicht lang auf sich warten: Die Grünen warfen dem Minister „Sozial-Bashing“ vor und zeigten sich „fassungslos über so viel arrogante Unwissenheit“. ÖGB-Chef Erich Foglar bezichtigte Schelling, eine Demontage des Sozialstaats anzustreben. Und FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl lehnte in einer Stellungnahme die grundsätzliche Senkung des Arbeitslosengelds ebenfalls ab.

Diskussionen über den Bezug und die Höhe von Arbeitslosengeld werden seit jeher geführt. In den Debatten geht es etwa um strengere Auflagen für Bezieher von Arbeitslosengeld oder eben auch darum, ob die Arbeitsanreize für Menschen ohne Job zu gering sind. De facto hat Österreich im internationalen Vergleich ein niedriges Arbeitslosengeld. Das sagte schon Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice, in der „Presse“ im Jahr 2014. Die Anreize, sich nach einer neuen Arbeit umzusehen, seien aber durchaus vorhanden– wenngleich es Sonderfälle gebe.

Wer in Österreich arbeitslos wird, erhält als Grundbetrag eine sogenannte Nettoersatzrate (die Bezüge als Anteil am letzten Nettogehalt) von 55 Prozent. In den vergangen Jahrzehnten wurde dieser Wert sukzessive gesenkt. Daten der OECD zufolge liegt das EU-Mittel mit 65 Prozent darüber. Staaten wie Frankreich, Dänemark und auch Deutschland zahlen Arbeitslosen also mehr (die Daten stammen aus dem Vorjahr).

Für einen kinderlosen Österreicher mit einem Bruttomonatseinkommen von 2500 Euro bedeutet das: 36,12 Euro netto täglich oder rund 1084 Euro im Monat. Personen mit Kindern oder einem schlecht verdienenden Lebensgefährten steigen besser aus.

Kurzzeitarbeitslose sind hierzulande also eher schlechter gestellt als in anderen Ländern, Langzeitarbeitslose (jene, die ein Jahr ohne Arbeit sind) dafür besser. Denn sie bekommen Notstandshilfe – und das zeitlich unbegrenzt. Diese Unterstützung beläuft sich auf 92 Prozent des vorher bezogenen Arbeitslosengelds. In anderen Ländern geht die Unterstützung des Staates indes gegen null.

Hohe Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit kostet den heimischen Staat also Geld. In Zeiten wie diesen umso mehr. Denn die Zahl der Jobsuchenden steigt in Österreich kontinuierlich an. Im Juni waren 381.898 Menschen ohne Beschäftigung – ein Plus von 7,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Bei Langzeitarbeitslosen betrug der Zuwachs 181,9 Prozent.

Anders die Situation in Deutschland: Am 30. Juni vermeldete die Bundesrepublik einen Rekord. Die Zahl der Arbeitslosen sank dort auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 1991. In der Eurozone belegt Deutschland damit den ersten Rang. Auch Deutsche erhalten, wenn sie ihren Job verlieren, in der Regel ein Jahr lang Arbeitslosengeld. Erst danach können sie Hartz IV beziehen. Das Modell, benannt nach dem ehemaligen Volkswagen-Personalvorstand Peter Hartz, trat am 1.Jänner 2005 in Kraft. Kern der Reform war die Zusammenlegung von Arbeitslosen-und Sozialhilfe. Hierzulande sind Notstandshilfe und Mindestsicherung hingegen zwei getrennte paar Schuhe. Für Letztere darf man kein Vermögen besitzen.


„Angemessene“ Wohnung. In Deutschland beträgt der aktuelle Hartz-IV-Regelsatz 399 Euro pro Monat. 142Euro sind für Nahrung veranschlagt, 33,5 Euro für Bekleidung und Schuhe. Für Kinder bis zum Alter von sechs Jahren kommen noch einmal 234 Euro hinzu. Zusätzlich übernimmt der Staat die Kosten für Heizung und Miete, unter der Voraussetzung, dass die Wohnsituation als „angemessen“ betrachtet wird. Für zwei Personen gilt eine Wohnung von 60 Quadratmetern als geeignet. Für jede weitere Person kommen 15 Quadratmeter hinzu.

Doch Hartz IV, so prangert es FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian an, habe dazu geführt, dass die Zahl der Menschen, die unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten, gestiegen sei. Den Weg heraus aus diesem System scheinen laut Katzian ebenfalls nur wenige zu finden: Denn zwei Drittel aller Hartz-IV-Bezieher erhalten diese Leistungen seit zwei Jahren oder länger.

Hartz IV ist für viele aber auch einer der Gründe des deutschen Jobwunders. Doch eines, so schreibt die „Zeit“, sei damit nach wie vor ungelöst: die hartnäckige Langzeitarbeitslosigkeit.

Fakten

Arbeitslosengeld wird in Österreich für die Dauer von 20 Wochen ausbezahlt. Der Bezugszeitraum kann sich, je nach Voraussetzung, erhöhen. Die Nettoersatzrate (die Bezüge als Anteil am letzten Nettogehalt) erreicht 55 Prozent. Der Wert kann auf 60 bzw. 80 Prozent steigen.

Notstandshilfe wird zeitlich unbegrenzt ausbezahlt. Die Bewilligung erfolgt jährlich.

Arbeitslos waren im Juni 381.494 Menschen. Ein Zuwachs von 7,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Langzeitsarbeitslosen erhöhte sich um 182 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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