Bekämpfung der Realität für Fortgeschrittene

Analyse. China ist heute genauso „halbkapitalistisch“ wie der Westen: fallende Kurse? Krachende Banken? Das darf nicht sein. Sobald Blasen zu platzen drohen, greift der Staat mit allen Mitteln ein. Aber wird es diesmal wieder klappen?

Wien.Außen Kommunismus, innen Kapitalismus. Das moderne China ist aus ideologischer Sicht ziemlich bizarr: Offiziell ist China ein kommunistischer Einparteienstaat mit roter Fahne, sozialistischer Folklore und allem Drum und Dran. Inoffiziell gilt China heute oft als ein „kapitalistisches“ Land. Aber auch dieser Schein trügt.

Die Führung Chinas hat nach den katastrophalen ökonomischen Experimenten unter Mao langsam gelernt, dass die Bevölkerung des Riesenreiches die zentrale Führung aus Peking nur dann akzeptieren wird, wenn diese Führung auch Ergebnisse liefert – und zwar in Form von konkretem wirtschaftlichem Aufschwung und einer stetigen Verbesserung der Lebensqualität für die Menschen. Das kann nur ein marktwirtschaftliches System bewerkstelligen, nicht die kruden Ideen des Sozialismus.

Also hat man einfach weiter von Kommunismus geredet, aber den Markt Zug um Zug liberalisiert und Mao durch den Dollar ersetzt, ja sogar die Bürger zu Kreditaufnahme und Aktienkauf ermutigt. Das hat funktioniert, aber Peking hat sich ganz neue Probleme ins Haus geholt. Jetzt, nach dem Aufschwung, ist die chinesische Führung mehr denn je abhängig von einer positiven Entwicklung der Wirtschaft. Heißt: Sobald es kritisch wird, kommen die Eingriffe.

Deswegen ist China höchstens „halbkapitalistisch“. Aber damit unterscheidet es sich kaum von den anderen Staaten Anfang des 21. Jahrhunderts, egal, ob man nach Amerika oder Europa sieht. Platzende Blasen? Fallende Kurse? Krachende Banken? Das darf nicht sein, schon allein, weil die Macht der Mächtigen gefährdet wäre.

Nach monatelangen Kursgewinnen hat der chinesische Aktienmarkt seit Mitte Juni rund 30Prozent verloren. „Unzureichend“, urteilt die für die Wirtschaftssteuerung zuständige Behörde. Also setzt Peking zur Steuerung der Kurse an und zieht in den aussichtslosen Kampf gegen die Realität.

Erster Schritt: „Schuldige“ suchen. Ganz im Stile des Übersozialisten Hugo Chávez („die Spekulanten sind schuld“) und der EU-Nomenklatura („die Ratingagenturen sind schuld“) hat Peking die wahren Übeltäter bereits ausgemacht und droht „kriminellen Verkäufern“ mit Verfolgung und Verhaftung. Zweiter Schritt: neue Regeln. Inzwischen dürfen Firmen die eigenen Papiere selbst vom Handel aussetzen. Bis zu 50Prozent aller im Land gehandelten Titel waren kurzfristig eingefroren.

Weitere 14Prozent nach unten?

Dritter Schritt: Geld. Viel Geld. Statt die Korrektur der Aktienkurse zu akzeptieren, geht der chinesische Staat auf Einkaufstour und kauft um hunderte Milliarden Dollar Aktien, was einer heftigen Marktverzerrung gleichkommt – deren positive Wirkung erst bewiesen werden muss. Markteingriffe führen oft zu unerwünschten Nebenwirkungen und neuen Krisen in der Zukunft.

Dass der Abverkauf dennoch weiterging, ist ein schlechtes Zeichen – die Anleger scheinen noch nicht einmal der Zentralbank zu trauen. Die hat zwar mehr als zwei Billionen Dollar an Reserven – aber wenn der Markt nicht anspringt, ist sie trotzdem machtlos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

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