Mahrer: "Der Staat zockt uns alle ab"

Staatssekretär Harald Mahrer
Staatssekretär Harald MahrerDie Presse
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ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer lehnt Bargeldverbot und Überwachung ab. Er wünscht sich einen schlanken Staat – mit mehr (wirtschaftlicher) Freiheit für die Menschen.

Sind Sie eher ein Bargeld- oder Plastiktyp?

Harald Mahrer: Bargeld. Das ist schon ein Stück geprägte und gedruckte Freiheit. Wenn zu viel vollelektronisch bezahlt wird, dann verliert der Bezahlvorgang einen notwendigen Grad an Anonymität. Das kann auch die bürgerlichen Freiheiten gefährden.

Sie zahlen aber nicht ausschließlich in bar?

Nein. Das ist eine Frage der Praktikabilität, aber zum Teil bezahle ich schon bewusst mit Bargeld. Etwa beim Essengehen oder im Supermarkt. Wenn ich einen Urlaub buche, dann werde ich eher nicht bar bezahlen. Aber entscheidend ist, dass man die Wahlfreiheit hat.

Sie reklamierten auch das Bekenntnis zum Bargeld ins ÖVP-Programm – kurz nachdem die Regierung das Bankgeheimnis demontiert hatte. War das eine Alibiaktion?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Teilöffnung des Bankgeheimnisses muss man als Maßnahme zur Bekämpfung des Steuerbetrugs verstehen. Beim Bargeld geht es um die Gefahr, dass diejenigen, die über diese Daten verfügen, Ihr gesamtes Handeln und Verhalten analysieren können – wenn Sie nur bargeldlos bezahlen. Aber das ist Teil der Privatsphäre. Und diese muss geschützt werden – wir haben sie uns auch mühsam erkämpft!

Gibt es überhaupt ernsthafte Überlegungen für ein Bargeldverbot?

In einigen Ländern der Eurozone wird der Bargeldverkehr bereits eingeschränkt – mit dem scheinheiligen Argument, hier Kriminalitätsbekämpfung betreiben zu wollen. Wir wissen aber, dass man organisierte Kriminalität nicht bekämpfen kann, indem man Bargeldobergrenzen von 1000 Euro einführt. Aber so gewöhnt man die Menschen daran, weniger mit Bargeld zu bezahlen. Ganz konkret gibt es vor allem in Skandinavien Bestrebungen, das Bargeld wirklich abzuschaffen.

Ist das eine klare Ansage? Keine Bargeldgrenzen, wenn die ÖVP in der Regierung ist?

Mit Sicherheit. Das ist eine Einschränkung der Freiheit.

Solche Freiheitseinschränkungen gibt es vom Staat in Hülle und Fülle.

Und in Österreich zu viele. Überall dort, wo der Staat aus paternalistischen Überlegungen versucht, jemandem vorzuschreiben, wie er leben soll. Ein liberaler Ansatz sagt eher: Der Staat soll sich auf die ordnungspolitischen Funktionen zurückziehen, indem er einen vernünftigen Rechtsrahmen setzt, der jedem individuelle Freiheit gewährt – solange sie nicht die Freiheit eines anderen beschneidet. Aber der Wert von individueller Freiheit ist anscheinend verloren gegangen und durch scheinbar „höhere Werte“ ersetzt worden.

Zum Beispiel?

Sicherheit ist für uns alle natürlich ein wichtiges Gut. Es gibt aber keine absolute Sicherheit. Trotzdem könnte ich mit dem Totschlagargument der „absoluten Sicherheit“ versuchen, sämtliche bürgerliche Freiheiten einzuschränken. Über Jahre immer wieder kleine Stücke abschneiden, wie von einer Salami. Freiheiten, die zuvor über Jahrhunderte monarchistischen und diktatorischen Strukturen abgerungen wurden. Stichwort Vorratsdatenspeicherung: Ich bin dafür, dass der Sicherheitsapparat Zugang zu relevanten Daten hat. Aber man darf Bürger nicht unter Generalverdacht stellen – und sie nicht grundsätzlich überwachen. Ich bin eher für den transparenten Staat als für den transparenten Bürger.

Die Opposition fürchtet das neue Staatsschutzgesetz und warnt vor einem Inlandsgeheimdienst – wo stehen Sie da?

Wir haben ganz klar eine Bedrohungslage durch den Terror, und das zeigt, dass wir hier unsere Möglichkeiten als Staat stärken müssen. Entscheidend ist aber immer die politische Kontrolle.

Was passiert, wenn in Österreich wirklich einmal ein Anschlag verübt wird und alle nach „Big Brother“ schreien?

Man kann sich Norwegen zum Vorbild nehmen. Dort ist ein furchtbarer Anschlag verübt worden, und sie sind auch nicht hergegangen und haben Kameras auf jede Straßenlaterne montiert. Norwegen ist der Kultur des Hasses und der Aggression auf eine Art und Weise begegnet, wie das eines modernen Rechtsstaats westlicher Prägung würdig ist – mit öffentlichen Debatten. Am Ende braucht man ein staatliches Instrumentarium und eine selbstbewusste Zivilgesellschaft.

Die heimische Wirtschaft stagniert seit Jahren. Wie soll das weitergehen?

Es gibt heute überall eine Angst vor Statusverlust. Wenn man mit den Menschen redet, glaubt kaum jemand, dass es in den nächsten Jahren bergauf geht. Aber wozu führt das? Das ist ein Teufelskreis, eine kontraproduktive Narration. Wir sollten keine Reformen machen, weil wir kurz vor dem Untergang stehen, sondern weil wir positiv in die Zukunft blicken und Bereiche und Märkte sehen, wo man etwas besser machen kann. Aber dafür braucht es ein anderes Denken.

Aber ein neues Denken kann der Staat ja nicht vorschreiben.

Nein. Da muss man alle in die Verantwortung nehmen. Inklusive der Medien– wo sind die guten, die konstruktiven Nachrichten? Sie werden von einem unfassbaren Berg an Bad News vergraben. Zuerst war es der Terror, dann waren es die Kriege in Afghanistan, im Irak. Seit Lehman haben wir auch noch täglich negative Wirtschaftsmeldungen. Hier wird eine Firma geschlossen, da wird eine Produktion verlagert. Jeder kennt irgendjemanden, der arbeitslos geworden ist. Die Jugend hat es schwieriger. Dann kommt noch die Frage der Zuwanderung und der kulturellen Überfremdung dazu. Das ist ein Giftcocktail an Bad News – der uns alle prägt.

Ich bin 32. Die Generation unserer Großeltern konnte von einem Einkommen leben. Unsere Eltern mussten meist schon beide arbeiten gehen. Wie sollen wir das machen? Zu dritt Familien gründen?

Da sehen Sie, welche Freiheiten Ihnen fehlen. Einen Job zu finden, der genug abwirft. Eine eigene Firma zu gründen, die Ihnen auch etwas bringt. Einkommen zu schaffen, Vermögen aufzubauen. Auch das sind Freiheiten. Das ist das Fundament jeder freien Wirtschaft. Das haben wir aber in dieser Form nicht mehr, weil der Staat uns alle in einer unfassbar räuberischen Art und Weise mit Steuern und Abgaben abzockt. Das liegt an den aufgeblähten öffentlichen Systemen. Sie haben in der Vergangenheit vielen Leuten eine angenehme Situation garantiert und sind so immer weiter gewachsen. Das hat jetzt auf der anderen Seite für mindestens genauso viele Leute eine unangenehme Situation zur Folge. Für alle, die so alt sind wie ich oder wie Sie, oder noch viel jünger. Ist das fair? Gibt es den Generationenvertrag noch?

Der österreichische Staat wendet im Jahr 80 Mrd. Euro für Soziales auf – der Sozialstaat gilt als einer der besten der Welt. Wie kann es sein, dass wir immer noch Armut haben?

Das wundert mich auch. Dass wir bei diesen großen Aufwendungen für Soziales immer noch zulassen, dass es Armut gibt in Österreich. Und es gibt leider noch immer viel zu viel Armut.

Wie kann das weitergehen?

Wir stehen unweigerlich vor dem größten Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft seit der Erfindung der Dampfmaschine. Das bringt die Digitalisierung. Jeder, der glaubt, das Land wird in zehn bis 15 Jahren noch ähnlich funktionieren wie heute, der schläft in der Pendeluhr. Das wird auch unsere staatlichen Systeme weiter unter Druck setzen. Wir werden Arbeit neu organisieren müssen. Wir werden andere Formen von Qualifikationen für die Beschäftigung der Zukunft brauchen. Wir werden mehr Medien- und Technologiekompetenz brauchen. Nicht in allen Bereichen, aber in vielen. Noch haben wir viele Nischenplayer in vielen Bereichen, die global arbeiten und trotz hoher Abgaben und überbordender Bürokratie wettbewerbsfähig bleiben können. Aber die Konkurrenz schläft nicht.

Wie steht es um den Euro?

Man muss sich fragen: Hat die Währung ein Problem? Hat die Eurozone ein Problem? Oder haben einzelne Staaten Probleme? Ich glaube, der Euro an sich hat kein Problem – außer dass offenbar gewisse Gruppen einen Feldzug gegen ihn führen. Von gewissen führenden Ökonomen und Medien wird der Euro ständig schlechtgeredet. Ist das das Ende des Euro? Da muss man schon vermuten, dass die Mitglieder der Dollarsekte den Euro schlechtmachen wollen, weil sie es offenbar nicht vertragen, dass es eine zweite starke Währung auf der Welt gibt.

Es sitzen keine europäischen „Topökonomen“ im US-Fernsehen und schimpfen auf den Dollar.

Genau. Aber bei uns geschieht das. Wir verteidigen unsere Währung nicht in der Debatte. Dabei ist der Euro ein mächtiges Symbol für Europa. Er wird lang brauchen, um sich zu perfektionieren. Europa hat viele Kinderkrankheiten, aber es ist ein Langzeitprojekt, und der Euro ist ein wichtiges Standbein. Man darf sich ihn als selbstbewusster Europäer nicht schlechtreden lassen.

Aber was machen wir mit Griechenland?

Wir sind für Griechenland schon mitverantwortlich. Da die EU-Organisationen entschieden haben, Hellas in die Eurozone aufzunehmen. Diese Verantwortung kann man nicht leugnen.

Und wenn alles schiefgeht?

Ich sehe das entspannt. Die Griechen waren schon auf einem sehr guten Weg. Entgegen der Meinung der Hobbyökonomen und Traumtänzer, die denken, das Land werde kaputtgespart, weil sie glauben, dass wir überall im Keller Geldpressen haben. Das sind dieselben Leute, die ohne mit der Wimper zu zucken die Staatsschulden um 30 Mrd. erhöhen würden – weil ihnen egal ist, wer die Rechnung zahlt. Aber natürlich gibt es keine eindeutige Weisheit – es ist ohne Frage ein extrem schmerzhafter Kurs. Aber gewisse Teile der Debatte bleiben uns auch nicht erspart. Den Griechen haben wir auferlegt, ihr Pensionsalter anzuheben. Aber selbst drücken wir uns um das Thema.

Aber warum eigentlich, wenn es doch auf der Hand liegt?

Wir leben in einer Welt der Abkürzungen – aber vor jedem Gipfelsieg muss ein mühsamer Aufstieg stehen. Shortcuts gehen immer zulasten anderer – das ist die Trittbrettfahrermentalität. Aber es braucht Leistung, um ein Ergebnis zu erhalten. Wir brauchen da fast eine neue Aufklärung – um uns von diesem Anspruchsdenken zu entfernen.

Steckbrief

Harald Mahrer wurde am 27. März 1973 in Wien geboren. Der ÖVP-Politiker ist seit September 2014 als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium tätig. Er ist mit der Unternehmerin Andrea Elisabeth Samonigg-Mahrer verheiratet.

Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Uni Wien arbeitete Mahrer als Assistent des Rektors. An der WU war Mahrer bereits in der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft engagiert.

Im Jahr 2000gründete Mahrer die Beratungsfirma Legend Consulting. Von 2006 bis 2010 war er Gesellschafter der PR-Agentur Pleon Publico. Seit 2011 ist er Präsident der Julius-Raab-Stiftung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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