Das Smartphone als Medizinprodukt

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Themenbild(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Professor David Matusiewicz erklärt im „Presse“-Gespräch, warum in Österreich bei der Gesundheitsreform so wenig weitergeht und wie Start-ups die Branche verändern werden.

Die Presse: Wohin wird sich das Gesundheitssystem in den nächsten Jahren entwickeln?

David Matusiewicz: Wir stehen vor einer digitalen Revolution. Wir haben viele Start-ups und junge Unternehmer, die das Gesundheitswesen verändern wollen. Diese werden das System nach und nach „von unten“ verändern. Im Moment sind die klassischen Akteure im Gesundheitswesen noch skeptisch. Aber die Blockaden weichen langsam. Die erste Gesundheits-App gibt es in Deutschland bereits auf Kassenrezept. Somit wird das Smartphone zum Medizinprodukt.

Was sind konkret die Vorteile der digitalen Revolution?

Es gibt Apps, die schnell Termine bei einem Arzt besorgen können. Das kann gerade bei Fachärzten interessant sein. Oder es gibt Internet-Start-ups, mit denen man mit dem Arzt skypen kann. Damit kann man bei kleineren Wehwehchen lange Wartezeiten in der Ordination vermeiden. In Deutschland haben wir ein Internetportal, auf das jeder seinen Befund hinschicken kann. Dort bekommen Patienten eine Übersetzung ihres Befunds in leicht verständlicher Sprache. Dahinter stecken Medizinstudenten, die dabei auch noch lernen, wie man es besser machen kann. Der Ökonom sagt: Win-win-Situation.

Doch was mache ich, wenn sich in meinem Befund eine Krebsdiagnose befindet?

Das Arztgespräch wird dadurch nicht ersetzt. Derzeit hat ein Arzt oft nur zehn Minuten Zeit. Das reicht nicht aus, um einen zehnseitigen Befund mit vielen lateinischen Worten zu erklären. Über Internetportale kann man noch einmal nachfragen – und der Befund wird in einfachen Worten erklärt. Damit erspart man sich vielleicht den Zweit- oder Drittbesuch beim Arzt.

Was sagen Sie, wenn Versicherungen über Apps persönliche Gesundheitsdaten abfragen?

Solange ich dem zustimme, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Wenn Krankenkassen den Menschen ein iPhone schenken würden, damit sie Gesundheitsdaten sammeln können, würde sich ein Großteil der Versicherten auf den Deal einlassen. Mit einer App kann gesundheitsbewusstes Verhalten gemessen und etwa mit einem kleinen Bonus belohnt werden.

Warum schaffen Krankenkassen keine Innovationen?

Pauschal lässt sich das nicht sagen, auch Kassen haben gute Ansätze. Je länger ich mich mit dem Gesundheitssystem beschäftige, desto deutlicher schärft sich das Bild, dass wir nicht auf Innovationen vom Staat oder der Krankenkassen warten sollten, sondern diese durch das Unternehmertum kommen werden.

Gibt es zu viele Krankenkassen? In Österreich haben wir 22 Sozialversicherungsträger. Kann nicht eine Kasse alles abdecken?

Machbar ist es schon. In Deutschland haben wir die TK-Krankenkasse, die mehr Versicherte betreut als Österreich Einwohner hat. Aus politischen Gründen sind Fusionen aber schwierig, da das einen Machtverlust für viele Akteure bedeuten würde, die das blockieren. Eine Fusionswelle führt zudem nicht immer automatisch zu Einsparungen. Eine Machtkonzentration hat auch Probleme, weil kein Anreiz für Verbesserungen besteht. Ich bin grundsätzlich für mehr Wettbewerb.

Wie fördert man Wettbewerb?

Wahlmöglichkeiten fördern den Wettbewerb. Anders als in Österreich haben in Deutschland die Versicherten seit 1996 die Möglichkeit, ihre Krankenkasse zu wechseln.

Funktioniert der Wettbewerb in Deutschland?

Wir haben einen starken Preiswettbewerb in Deutschland. Die Versicherten wechseln am liebsten zu den günstigen Kassen. Die Qualitätsunterschiede zwischen den Kassen sind schwierig zu überblicken, sodass der Preis den wesentlichen Vergleichsparameter darstellt. Zusammenfassend haben wir in Deutschland „ein bisschen Wettbewerb“ – der unter den Erwartungen der Befürworter deutlich zurückgeblieben ist.

Wie sieht das ideale System aus?

Das ideale System gibt es nicht. Jede Kultur hat andere Systeme. In Großbritannien gibt es keine freie Arztwahl und die Engländer vermissen sie auch nicht, weil sie das nicht anders kennen. In Deutschland und in Österreich wäre dies ein größerer Einschnitt in die Souveränität der Menschen.

Trotzdem: Kennen Sie ein Land mit einem innovativen System?

Ein System, das ich für innovativ halte, sind die Gesundheitssparkonten in Singapur. Dort hat jeder ein Gesundheitskonto und zahlt wie bei einem Bausparvertrag Geld ein. Die Krankenhäuser veröffentlichen im Internet ihre Preise beispielsweise für eine Operation sowie die Verweildauer. Jeder Patient kann dann sein Krankenhaus wählen. Ein solches System ist sehr transparent. Ich weiß genau, welche Leistung ich für mein Geld bekomme. Und ich muss mir gut überlegen, wie ich mit meinem Geld umgehe.

Was passiert aber mit armen Menschen oder mit Patienten, die oft krank sind?

Für solche Patientengruppen gibt es eigene Pools. Es gibt zum Beispiel Pools für Hochrisikopatienten. Jeder Bürger in Singapur muss neben seinem individuellen Gesundheitssparkonto auch einen finanziellen Beitrag für diese Pools leisten, damit auch Hochrisikopatienten gesundheitlich versorgt werden können.

Warum verläuft in Österreich die Reform des Gesundheitssystems so schleppend?

Österreich hat eines der teuersten Systeme, aber auch eines der besten. Und solange das System funktioniert, besteht kein großes Druckpotenzial, das Ganze zu ändern.

Wo sehen Sie Reformbedarf?

Wir haben in Deutschland und in Österreich einen ziemlich aufgeblähten Bauch. Die Sozialversicherungsträger verwalten sich selbst. Hier geht es um Macht und Geld. Es gibt in Deutschland Stimmen, dass die Selbstverwaltung gescheitert sei. Denn die Selbstverwaltung ist sehr träge. Und so muss der Staat immer wieder durch Gesundheitsreformen in immer kürzeren Intervallen eingreifen.

AUF EINEN BLICK

David Matusiewicz ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Gesundheitsmanagement, an der FOM Hochschule, der größten Privathochschule in Deutschland. Matusiewicz ist wissenschaftlicher Beirat der Denkfabrik „Die Weis[s]e Wirtschaft“ in Österreich und nahm Donnerstagabend an einer von dieser veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema „Wettbewerb in der Krankenversicherung?“ teil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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