Analyse: Ist Aus für kalte Progression leistbar?

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2017 sei es vorbei mit der kalten Progression, versprach die Regierung im Sommer. Die Frage ist, ob man sich das Ende der schleichenden Steuererhöhung jetzt noch leisten kann.

Wien. Der Jubel über „die größte Steuerreform aller Zeiten“ hatte sich heuer im Frühjahr in Grenzen gehalten. Die Österreicher fielen vor Dankbarkeit nicht auf die Knie, und Wiens SPÖ schätzte die Stimmung nicht positiv genug ein, um vorzeitig wählen zu lassen (was sie jetzt wohl aus ganz anderen Gründen bereut).

Es musste also noch ein anderes Zuckerl her – und das fand man in der kalten Progression. Die schleichende Steuererhöhung (die dadurch entsteht, dass die Tarifstufen nicht an die Inflation angepasst werden) würde nämlich die Entlastungen durch die Steuerreform bald wieder auffressen (siehe Grafik). Schafft man die kalte Progression ab, ist die Entlastung eine dauerhafte. Und das versprachen SPÖ und ÖVP heuer im Juli.

Nur: Die Welt im Herbst 2015 ist nicht die gleiche wie im Sommer. Die Konjunkturprognosen wollen nicht besser werden, dazu kommen jetzt noch zehntausende Flüchtlinge, die aus dem Budget finanziert werden müssen. Ein strukturelles Nulldefitzit, wie der EU für 2016 versprochen, ist damit dahin (und selbst dann noch sehr schwer zu erreichen, wenn man die Ausgaben für Asylwerber, wie diskutiert, aus den Defizitberechnungen herausnimmt). Die 400 Millionen Euro, auf die der Staat allein im ersten Jahr nach Abschaffung der kalten Progression verzichten muss (kumuliert sich in den Folgejahren), kann man dringend gebrauchen.

Schelling bremst vorsichtig

Das scheint auch Finanzminister Hans Jörg Schelling zu denken zu geben. Er tritt vorsichtig auf die Bremse. Hatte er im Sommer noch davon gesprochen, dass das Ende der kalten Progression 2016 beschlossen werden und ab 2017 gelten soll, so war er in einem „Presse“-Interview im September schon vorsichtiger: „Wir haben damit (Ende der kalten Progression, Anm.) bis 2018 Zeit, weil bis dahin die Entlastung der Steuerreform ausreicht.“

Eine Sprecherin des Finanzministeriums nannte gestern zuerst als Termin auch 2018. Angesprochen auf die ursprüngliche Schelling-Aussage, korrigierte sie auf 2017. Budgetexperten sehen das Thema zwiespältig. Margit Schratzenstaller vom Wifo bezeichnet das Ende der kalten Progression als „sinnvoll“, meint aber: „Es wird nicht einfach, das gegenzufinanzieren.“ Helmut Hofer vom Institut für höhere Studien (IHS) meint, Österreich sei beim Nulldefizit „auf nicht so einem guten Kurs“, der Finanzminister mache sich mit der kalten Progression „ein schönes Körberlgeld“. Ob er darauf verzichten könne? Hofer: „Leisten kann man sich alles, man muss es nur irgendwo einsparen.“ Außerdem habe es gewisse Vorteile, wenn man alle paar Jahre das Geld, das man durch die schleichende Steuererhöhung einnimmt, wieder verteilen könne. Damit könne man auch finanziell gestalterisch arbeiten.

Schratzenstaller meint, dass man die Abschaffung nützen könnte, um mit einem Teil der Gegenfinanzierung „positive Lenkungseffekte“ zu erzielen – etwa durch Umweltsteuern. Der Finanzminister hätte mit einer aufkommensneutralen Umstrukturierung die Möglichkeit, das Abgabensystem „einfacher, ökologischer und wachstumsverträglicher zu machen“.

Drei Modelle in Diskussion

Was der Finanzminister tatsächlich wann machen wird, ist noch nicht klar. Einen durchgerechneten Vorschlag zur Abschaffung der kalten Progression, den man mit der SPÖ diskutieren könnte, gibt es noch nicht.

Derzeit prüft man drei Modelle: Eine automatische Anpassung der Steuerstufen, die sich am Verbraucherpreisindex orientiert; ein Anpassungsvorschlag der Regierung ab einer bestimmten Höhe, der vom Parlament abgesegnet werden muss; eine Überprüfung, aber keine bindende Regel für eine Anpassung der Steuerstufen.

Letzteres Modell gibt es in mehreren Staaten, und es gibt den Regierungen die Möglichkeit einer Anpassung je nach Budgetsituation. Großbritannien verwendet dieses System. Das Land hat in den vergangenen Jahren teils keine Anpassung vorgenommen und so an der kalten Progression verdient.

Eine Mehrheit der OECD-Staaten hat die kalte Progression in ihrem Steuersystem abgeschafft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

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