Gesundheitsökonomie: Wann fällt das Apotheken-Monopol?

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Mit der Freigabe des Apothekenmarktes können im Gesundheitssystem jährlich 180 Millionen Euro eingespart werden. Die Studie dazu liegt der „Presse“ exklusiv vor.

Wien. Seit Jahren wird im österreichischen Gesundheitssystem über Reformen diskutiert, doch die Erfolge halten sich bislang in Grenzen. Dabei geht es hier um einen Milliardenmarkt. Laut Statistik Austria lagen die Gesundheitsausgaben 2013 bei 34,8 Milliarden Euro – die Zahlen für 2014 liegen noch nicht vor. Jedes Jahr klettern die Ausgaben um hunderte Millionen Euro. Allein im Jahr 2013 gab es einen Anstieg von 582 Millionen Euro. „Weitgehend ungeschoren kamen bisher die öffentlichen Apotheken davon, dabei gibt es speziell hier noch einiges zu heben“, sagt Marktforscher Andreas Kreutzer von Kreutzer Fischer & Partner.

In einer Studie, die der „Presse“ exklusiv vorliegt, hat Kreutzer errechnet, dass eine Freigabe des Apothekenmarktes jährliche Einsparungen von 180 Millionen Euro bringen kann. Neben den Rauchfangkehrern zählen Apotheken zu den wenigen „geschützten Branchen“ in Österreich. „Dementsprechend üppig sind auch nach wie vor die Erträge“, sagt Kreutzer.

Umsatz in Milliardenhöhe

Im Vorjahr gab es in Österreich 1328 Apotheken. Diese setzten zuletzt rund 3,6 Milliarden Euro um. Somit liegt der durchschnittliche Umsatz pro Apotheke bei etwas mehr als 2,7 Millionen Euro.

Laut Kreutzer haben sich die Umsätze in den vergangenen fünf Jahren pro Jahr um 2,4 Prozent erhöht. Der Anstieg war höher als das Bruttoinlandsprodukt. Der Vorsteuergewinn einer Apotheke liegt laut Kreutzer durchschnittlich bei knapp 220.000 Euro. Das ergibt eine Umsatzrendite von knapp acht Prozent. Zum Vergleich: Im Lebensmittelhandel werden rund drei Prozent verdient.

Neben den 1328 öffentlichen Apotheken gibt es in Österreich auch 870 ärztliche Hausapotheken, die vor allem in ländlichen Regionen die Versorgung mit Medikamenten gewährleisten. Um Einsparungen zu erzielen, schlägt Kreutzer vor, die ärztlichen Hausapotheken auszubauen. Denn Medikamente werden in den überwiegenden Fällen vom Arzt verschrieben und von den Apotheken nur ausgegeben. Kreutzer versteht nicht, warum ärztliche Hausapotheken nicht in die neuen Primärversorgungszentren (PHC) integriert werden. Um Spitalsambulanzen zu entlasten und Patienten lange Wartezeiten zu ersparen, entstehen in ganz Österreich solche Versorgungszentren. Dort arbeiten mehrere Ärzte mit Krankenschwestern, Therapeuten und weiteren Gesundheitsberufen zusammen. Das Besondere sind unter anderem die langen Öffnungszeiten. Die Versorgungszentren haben oft bis 19 Uhr geöffnet. Medikamente werden dort aber nicht verkauft. „Dabei brächten Arzt-Apotheken für die Patienten enorme Vorteile, müssten diese doch für die Beschaffung der Medikamente nicht einen extra Weg auf sich nehmen“, so Kreutzer.

Großes Einsparungspotenzial

Wird die Hälfte der öffentlichen Apotheken in den Wirkungsbereich der niedergelassenen Ärzte integriert, könnte das Gesundheitssystem jährlich um die bereits genannten 180 Millionen Euro entlastet werden.

Dieser Betrag setzt sich im Wesentlichen aus zwei Positionen zusammen: zum einen aus der Sozialisierung der Apothekengewinne, da die niedergelassenen Ärzte nicht die vollen Gewinnmargen der Apotheker benötigen. Bei einer Reduktion der Nettowertschöpfungsquote um die Hälfte ergeben sich jährliche Einsparungen von knapp 80 Millionen Euro, so Kreutzer. Hinzu kommen Synergieeffekte im Personal- und Sachaufwand, die sich mit weiteren 100 Millionen Euro zu Buche schlagen.

Öffnungszeiten anpassen

Mit einer weiteren Liberalisierung können zusätzliche Einsparungen erzielt werden. Neben der Abschaffung der Bedarfsprüfung und der Aufhebung des Verbots für Apothekenketten sollten laut Kreutzer die Öffnungszeiten von Apotheken jenen des Einzelhandels angepasst werden.

Darüber hinaus könnte der Verkauf von rezeptfreien Medikamenten auch für den Drogeriehandel freigegeben werden. In anderen Ländern wie in Ungarn und in Kroatien ist das schon der Fall.

Die Ärztekammer begrüßt den Vorschlag, dass Medikamente in allen Ordinationen verkauft werden sollen. So soll jeder niedergelassene Mediziner – ob Kassen- oder Wahlarzt – das Recht bekommen, eine begrenzte Anzahl an Arzneimitteln direkt an seine Patienten zu verkaufen. Die Apothekerkammer spricht hingegen von einer „Kriegserklärung“. Damit wären die Existenzen vieler Apotheken gefährdet. Laut früheren Angaben der Apothekerkammer macht knapp ein Drittel der Apotheken Verluste. [ iStockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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