Raiffeisen: Die Geschichte einer missglückten Spekulation

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The Raiffeisen logo is pictured at a regional branch office in Bockfliess(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien führten Währungsspekulationen eines Kunden zu einem Verlust von über einer Million Euro für die Bank. Ein exemplarischer Einzelfall.

Wien. Das ist die Geschichte einer Spekulation. Einer missglückten Spekulation. Es ist ein Fall, der einst mit einer Kundeneinlage von 100.000 Euro begonnen hat und Jahre später mit einem Totalverlust für den Kunden und einem Schaden von über einer Mio. Euro für die Bank endet. Es ist ein Einzelfall, der jedoch exemplarisch für viele solcher Fälle stehen dürfte, bei denen sich große, aber auch viele kleinere Banken in den Jahren der Finanzkrise und danach bitter die Finger verbrannten, weil sie sich zuvor leichtfertig auf die Kapitalmärkte von Frankfurt, New York und Tokio begeben hatten.

Die betroffene Bank ist die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien. Und auch die handelnden Personen sind der „Presse“ namentlich bekannt. Sie werden aus rechtlichen Gründen jedoch nicht genannt. Denn das entscheidende an diesem Fall ist, dass er eine Erklärung liefern kann, wie bei so vielen Banken riskante Finanzmarktgeschäfte zu großen Spekulationsverlusten und schlussendlich zu Abschreibungen in Millionen- und Milliardenhöhe geführt haben.

Am Anfang lief alles gut

Den Anfang nimmt die Geschichte in der Boomzeit der Börsen vor rund zehn Jahren. Damals kommt ein Kunde zur RLB und legt 100.000 Euro ein. Das Geld dient als Sicherheit für Währungsspekulationen, die der Kunde in der Folge in enger Zusammenarbeit mit einem Mitarbeiter der Bank durchführt.

Das Risiko dieser Spekulationen ist von Anfang an hoch. So gelten Währungen aufgrund ihrer schwer vorhersehbaren Volatilität allgemein als eher riskantes Thema. Hinzu kommt, dass nicht nur auf die sogenannten Majors – also US-Dollar, Euro, Yen oder Franken – spekuliert wird, sondern auch auf exotische Währungen wie die isländische Krone. Und zu guter Letzt werden die Spekulationen auch noch gehebelt. Um den potenziellen Ertrag, aber somit auch den möglichen Verlust, zu steigern. Das effektive Handelsvolumen beträgt in der Regel bis zu fünf Mio. Euro.

Zu Beginn laufen die Spekulationen gut. In der Boomphase werden ordentlich Gewinne gemacht. In einem Jahr kann sogar der gesamte Einsatz von 100.000 Euro als Gewinn erzielt werden. Doch dann werden die Spekulanten von der Finanzkrise kalt erwischt. Die allgemeinen Verwerfungen an den Kapitalmärkten in den Jahren 2008 und 2009 führen bei den hochriskanten Währungsgeschäften zu besonders hohen Verlusten. Nicht nur die einst erzielten Gewinne schmelzen dahin, auch die anfangs eingebrachte Einlage von 100.000 Euro ist im Sommer 2010 aufgebraucht.

Aufgrund eines Fehlers fällt dies jedoch erst mit mehrmonatiger Verspätung auf. Dem Kunden wurde nämlich irrtümlicherweise ein Rahmen von 200.000 Euro zugewiesen – obwohl er nur die Hälfte als Sicherheit hinterlegt hatte. Als dieser Fehler aufgedeckt wird, könnten die Bank-Mitarbeiter die Reißleine ziehen. Sie könnten die Spekulationen beenden und den Verlust beim Kunden einfordern. Doch das geschieht nicht. Stattdessen wird die Überziehung des 100.000-Euro-Rahmens in dreimonatigen Schritten verlängert – in der Hoffnung, dass mittels weiterer Spekulationen wieder eine Verbesserung der Situation möglich ist.

Doch diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Anfang August 2011 liegt das Minus bei fast 400.000 Euro – wie aus einer Aufstellung hervorgeht, die der „Presse“ vorliegt. Nur wenige Tage später sind es über 500.000 Euro. Man hatte auf eine Abschwächung des Euro gewettet, in der Erwartung, dass Italien unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen muss. Doch das geschieht nicht.

Aufgrund dieser massiven Verschlechterung innerhalb kurzer Zeit wird nun der zuständige RLB-Vorstand eingeschaltet. Auch der Vorstand beendet die Geschäfte nicht. Stattdessen genehmigt er eine „Reparaturlinie“ in Höhe von einer Million Euro. Es sollen also noch größere Spekulationen die Verluste wieder ausgleichen.

Entscheidende Wochen

Einige Zeit lang geht diese Taktik auf. Das größere Volumen scheint das Risiko der Geschäfte zu reduzieren. Das Minus schrumpft im kommenden Jahr bis zum Sommer 2012 auf knapp 280.000 Euro. Doch dann machen wieder nur wenige Wochen alles zunichte. Im September 2012 entscheidet das deutsche Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Griechenland-Hilfe, die Troika besucht wieder einmal Athen und die Wahrscheinlichkeit eines Grexit steigt von Tag zu Tag. Keine gute Zeit für Währungsspekulationen. Im Nu weist das Schuldenloch auf dem Kundenkonto bei der RLB wieder einen Betrag von fast 550.000 Euro auf.

Der Taktik, Spekulationsverluste durch neue Spekulationen wieder wettzumachen, bleibt man trotzdem treu. Die „Reparaturlinie“ wird „mangels Alternativen“ verlängert, wie es in einem internen Schriftsatz heißt. Am Ergebnis dieser Methode ändert das jedoch nichts. So bleibt der darauf folgende Herbst zwar weitgehend ruhig, das Frühjahr 2013 bringt jedoch eine Reihe unerwarteter Nachrichten für Währungsspekulanten. So kündigt etwa die Bank of Japan an, unlimitiert Staatsanleihen zu kaufen, um eine Inflation zu erzeugen. Die Folge: Sowohl Euro als auch US-Dollar werten massiv gegenüber dem Yen auf.

Und nachdem auch die Wahl in Italien für den Raiffeisen-Kunden nicht das erhoffte Ergebnis bringt und die Zypern-Krise ganz Europa erschüttert, steigt das Minus im Februar 2012 auf über 700.000. Und nur einen Monat später sind es fast 900.000. Erst dann – im Frühjahr 2013 wird die Notbremse gezogen und alle offenen Optionen geschlossen. Der in Summe angehäufte Verlust beläuft sich inzwischen auf rund 1,4 Mio. Euro.

Dieser Verlust wird in der Folge in die sogenannte Sondergestion verfrachtet, die sich um faule Kredite kümmert. Sie versucht beim Kunden Geld einzutreiben. Bis auf etwa 50.000 Euro ist jedoch nichts zu holen. Schlussendlich wird der Schaden in der Raiffeisen-Bilanz abgeschrieben. Angesichts eines Nettogewinns von fast 80 Mio. Euro in diesem Jahr ist es für das Institut ein verkraftbarer Betrag. Dennoch musste die RLB zu dieser Zeit wie andere Raiffeisen-Firmen gerade einen kräftigen Ergebnisrückgang hinnehmen und ein Sparprogramm durchführen.

Früheres Eingreifen möglich?

Daher stellt sich die Frage, ob der Schaden durch ein frühzeitigeres Eingreifen nicht verhindert werden hätte können. Und, ob es sich dabei um ein systematisches Kontroll-Versagen handelt. Nicht zuletzt da auch der OGH in einem – durchaus kontroversiell diskutierten – Urteil (Hypo-Kredit an Styrian Spirit) im Jahr 2012 feststellte: „Losgelöst von den gesetzlichen Vorgaben des BWG (Bankwesengesetz, Anm.) und bankinternen Richtlinien missbraucht ein Bankangestellter seine Befugnis, über das Vermögen des Bankinstituts durch Kreditvergabe zu verfügen, jedenfalls (vorsätzlich), wenn er trotz – erkannter – mangelnder Bonität und fehlender Sicherheiten zum Zeitpunkt der Kreditschuldentstehung – also wirtschaftlich unvertretbar – Kredit gewährt.“

Bei der RLB NÖ-Wien heißt es auf Anfrage der „Presse“: Aufgrund des Bankgeheimnisses könne man keine Auskünfte erteilen. Die Unternehmenssprecherin betont: „Beim Abschluss von Geschäften mit unseren Kunden werden alle rechtlichen und internen Anforderungen erfüllt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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