Wo Wiener Tradition auf Zeitgeist trifft

Amir Hawelka röstet den Kaffee für den Familienbetrieb seit drei Jahren selbst.
Amir Hawelka röstet den Kaffee für den Familienbetrieb seit drei Jahren selbst.(c) Michaela Bruckberger
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Kulturerbe: Hawelka und Alt Wien – zwei Kaffeeröstereien mit klingenden Namen. Auf ihre ganz unterschiedliche Art schlagen sie Brücken zu früheren Zeiten und spielen beim aktuellen Kaffeeboom vorne mit.

Durch die Breitenfurter Straße weht seit drei Jahren ein Hauch Nostalgie. Den würde man im Liesinger Industriegebiet wohl eher nicht erwarten. Hätte sich hier nicht 2011 die hauseigene Rösterei der Wiener Kaffeehauslegende Hawelka angesiedelt. 70 Jahre servierte man in der von Georg Danzer besungenen und der Wiener Literatenszene frequentierten Ikone mit den heißen Buchteln und dem angeblichen Nudisten den gleichen Kaffee. Bis Amir Hawelka, Enkel der Gründer Josefine und Leopold, nach dem Tod seiner Großmutter den Posten hinter der Bar bezog und zu einer Erkenntnis kam: „Der Kaffee war untrinkbar. Ich habe mich wirklich gefragt, wie das Kaffeehaus damit so gut bestehen konnte.“

Der 43-Jährige, der den Familienbetrieb gemeinsam mit seinem zehn Jahre jüngeren Bruder Michael seit 2005 leitet, sah dringenden Handlungsbedarf. 2006 fand er einen kleinen Hobby-Röster, der ihn von da an mit frischen Bohnen versorgte. Dabei wollte er ganz vorsichtig vorgehen, bloß nicht das behutsam aufgebaute Familienerbe mit neuem Kaffee an die Wand fahren, und setzte zuerst nur Stammgästen die Alternativmischung vor. Nach einer schleppenden Startphase ging sein Plan auf. „Nur aufgrund der Qualität verzeichneten wir ein leichtes Umsatzplus“, erinnert sich Hawelka. „Einfach weil die Leute bei gutem Kaffee sitzen bleiben und noch einen bestellen.“

Doch dann bekam sein hobbymäßiger Haus- und Hofröster ein Stellenangebot im Ausland. Da Hawelka nicht wieder zur Industriebohne zurück wollte, brachte er sich das Handwerk selbst bei. Studierte anhand alter Bücher Röstdauern, Kaffeesorten, Anbieter. 2011 fand er die kleine Fabrikhalle auf der Breitenfurter Straße, die genug Platz für eine kleine und zwei große gusseiserne Trommelröstmaschinen, Verkaufs- und Lagerräume bot. Als die letzte Trommel in Eigenregie abgeschliffen und renoviert, die letzte Gewerbelizenz eingeholt und das letzte Andenken aus dem Stammhaus in der Dorotheergasse platziert war, war es 2012. Seitdem ist Hawelka abwechselnd in der Rösterei und im Kaffeehaus im Einsatz.

Alles begann mit „Leopold“, dem starken Mokka, und „Josefine“, der klassischen Wiener Melange. So hießen die ersten zwei Sorten, die Amir Hawelka, auf die Vorlieben seiner Großeltern abgestimmt, taufte und verkaufte. Heute röstet er alle zwei Wochen 400 Kilo Nachschub in Liesing. Der Großteil wandert direkt in die Tassen der Hawelka-Gäste, daneben beliefert die Rösterei mittlerweile eine Handvoll Privatkunden und bietet ihre sieben Sorten im Gassenverkauf in Liesing an.

„Heutzutage ist Kaffee eine Wissenschaft geworden“, sagt Hawelka und zieht dabei eine Augenbraue leicht hoch. Man merkt, dass er als Spross einer alteingesessenen Kaffeehausfamilie die Third Wave der Kaffeekultur, die das Getränk zum obersten Genussmittel und Lifestyle-Attribut erklärt und allerorts die nächste individualistische Kleinströsterei aus dem Boden sprießen lässt, mit etwas Skepsis betrachtet. Dennoch ist er froh über den Trend: „Gerade in Wien, dem weltweiten Kaffeemonopol, gibt es zu viel schlechten Kaffee. Gut, dass sich Leute damit auseinandersetzen.“

Oliver Goetz von der Wiedner Kafferösterei Alt Wien sieht den Trend mit ähnlich gemischten Gefühlen. Seit 2008 steht er dem 46-jährigen Gründer und Inhaber Christian Schrödl in dem kleinen Laden in der Schleifmühlgasse zur Seite. Dabei legt er großen Wert auf die Betonung ihrer Vorreiterstellung: „Wir waren 2000 die Ersten der Third-Wave-Bewegung in Wien.“ Damals, um die Jahrtausendwende, gab es noch keine Kaffeeszene, keine Kaffeeafficionados, die sich stundenlang über Röstdauern und den perfekten Milchschaum austauschen konnten – oder wenn, musste man sie verstreut über Wien aufspüren. Das habe sich komplett gewandelt: „Heute gibt es nicht mehr diesen homogenen Begriff, der Kaffee. Stattdessen gibt es Kenner, die angeben, die Mikrolage der Ernte herausschmecken zu können.“ Goetz erinnert der Boom an einen Asterix-Band aus den 70er-Jahren, in dem sich eine römische Stadt nahe dem unbezwingbaren gallischen Dorf ansiedelt und die römischen Kunden die dortigen Preise in die Höhe und neue Anbieter aus dem Boden schießen lassen. „Die Gallier eröffnen nacheinander Fisch- und Antiquitätenläden – in Wien passiert dasselbe zurzeit mit Craft Beer, veganem Essen und Kaffee.“

Dabei war der Name Alt Wien den Wiednern schon ein Begriff, da waren die jungen Träger des aktuellen Kaffeehypes noch nie mit Koffein in Berührung gekommen. 25 Jahre lang führte Vorbesitzer Alfons eine der wenigen Kleinröstereien Wiens. Zuerst am Elisabethplatz, später in der Belvederegasse, immer auf der Wieden. Schrödl ging dort als Stammkunde ein und aus, verliebte sich in den Kaffee und führte das Geschäft nach Alfons' Pensionierung an anderer Adresse unter demselben Namen ab 2000 weiter. Ähnlich ging es Oliver Goetz acht Jahre später. „Das war der typische Kaufmannsladen“, schwärmt der 43-Jährige. Doch er musste bald erkennen, dass es mit dem Handwerklichen allein nicht getan war. „Schön wäre es, nur zu rösten und mich mit meinem Produkt zu umgeben.“ Doch mit mittlerweile rund 300 Gastrokunden, von der Motto-Gruppe über das Sofitel bis hin zur Szenebar Europa, von denen rund 50 auch Maschinen und Mühlen von Alt Wien beziehen, ist die Ruhe vorbei. Da wollen beständig neue Kellner eingeschult und Espressomaschinen gewartet werden. Denn auf dem heiß umkämpften, engen Kaffeehausmarkt seien Apparat und Zubereitungsart, so Goetz, mindestens genauso wichtig geworden wie die verwendeten Bohnen. Alt Wien kann mittlerweile mit 42 verschiedenen Sorten aufwarten. Rechnet man die Spezialröstungen für Privatkunden hinzu, sind es 60. Damit sei aber auch irgendwann die natürliche Grenze erreicht. Goetz: „Wir wollen klein, exklusiv und hochqualitativ bleiben.“

Angesichts dieser selbst auferlegten Gütekriterien sind die mittlerweile jährlich verarbeiteten Mengen beachtlich. Allein dieses Jahr verarbeitete Alt Wien 85 Tonnen Rohkaffee. Zehn bis 20 Mal pro Tag drehen sich die Trommeln der neuen amerikanischen „Loring Kestrel“. „Ein Tophersteller aus den USA, 80 Prozent weniger Energieverbrauch, und sie schickt mir nach jeder Röstung ein E-Mail − das ist der Ferrari mit goldenen Felgen unter den Röstmaschinen“, freut sich Goetz über sein High-Tech-Spielzeug. Die E-Mailfunktion erweist sich als praktisch, da die gesamte Rösterei Anfang vergangenen Jahres nach Anrainerbeschwerden in die Liesinger Nachbarschaft von Amir Hawelka übersiedeln musste. Über den Laden in der Schleifmühlgasse war damals ein Röstverbot verhängt worden. Seitdem fährt täglich ein Bohnen-Shuttle zwischen Liesing und Wieden – dort wird seitdem nur mehr Kaffee verpackt, verkauft und getrunken. Natürlich sind die Produktionsmengen bei Alt Wien noch immer weit entfernt von jenen großer Ketten wie Meinl oder Eduscho. Doch neben Kleinbetrieben wie dem von Amir Hawelka zählt das Geschäft in der Schleifmühlgasse definitiv zu den Platzhirschen in der Wiener Szene. Dabei merkt man Betreiber Goetz an, dass sich angesichts der zunehmenden Marktkonkurrenz zwei Seelen in seiner Brust streiten. „Als Privatperson gefällt es mir extrem“, sagt er – und man kann das mitschwingende Aber beinahe greifen. Sorgen um das Überleben der Rösterei mache er sich jedoch dank ihrer breiten Angebotspalette, ihrer Doppelzertifizierung für Bio- und Fairtradebohnen sowie ihrer „in Wien einzigartigen“, besonders strengen Demeter-Biozertifizierung bei Weitem nicht.

Auch was bei Hawelka 2011 aus einer Not heraus begann, als der Röster ging und der Wunsch nach trinkbarem Kaffee blieb, betreibt er heute angesichts zunehmender Konkurrenz mit Seelenruhe weiter. Für den 43-Jährigen ist die Arbeit mit seinen alten Röstmaschinen aus den Sechzigern ebenso auf dem Prinzip Trial and Error aufgebaut wie seine gesamte Laufbahn im großelterlichen Betrieb, in den er bereits mit 24 Jahren einstieg. „Man muss es miterleben, Fehler zu machen.“ Die nötige Ausdauer bringt Hawelka mit. Ein halbes Jahr lang habe er nichts anderes als Buchteln gebacken, da er sie zur Perfektion bringen wollte. Jetzt sei eben das Rösten sein neues Projekt. „Als junge Generation muss man etwas Neues tun“, ist er überzeugt. Und fügt lachend hinzu: „Kaffee war naheliegend.“

Er ist sich sicher: „Bei gutem Kaffee hat man automatisch Stammkunden, die sich freuen, dass es etwas Echtes, Handgemachtes gibt.“ Diese Art der Kundenbeziehung suche er, die persönliche, auf Vertrauen basierende. Und das brauche eben Zeit. In seiner Branche kein Manko, denn: „Alles mit Kaffee ist sowieso gemütlich.“ Das sagt nur ein wahrer Kaffeehausspross.

hinter der Röstmaschine

Alt Wien Kaffee Christian Schrödl (46) übernahm im Jahr 2000 die alteingesessene Wiedner Rösterei. Seit mittlerweile 15 Jahren, davon sieben gemeinsam mit Geschäftspartner Oliver Goetz (43), führt er sie an ihrem neuen Standort in der Wiener Schleifmühlgasse und in Liesing fort.

Kaffee & Rösterei HawelkaAmir Hawelka (43) leitet gemeinsam mit seinem Bruder Michael (33) seit 2005 die gleichnamige Kaffeehauslegende in der Wiener Innenstadt, die er seit 2012 auch mit selbst gerösteten Bohnen versorgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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