Wie auf einer Zeitreise

Buchbinderin Ira Laber stellt in ihrer Werkstatt Kreatives rund um das Papier her, macht Workshops und gibt ihr Wissen auch an Kinder weiter.
Buchbinderin Ira Laber stellt in ihrer Werkstatt Kreatives rund um das Papier her, macht Workshops und gibt ihr Wissen auch an Kinder weiter. Die Presse
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Ira Laber hat in Liesing eine Buchbinderei aufgemacht und damit ein altes Handwerk wiederentdeckt. In ihrer Werkstatt bietet sie Workshops und Produkte für Individualisten an.

Dass sie einmal Buchbinderin werden sollte, war für Ira Laber lang nicht klar. Die Wienerin war zuerst Kindergartenpädagogin, dachte aber mehr und mehr daran, „etwas mit den eigenen Händen zu produzieren“. Goldschmiedin, das war die erste Präferenz – aber da gab es keine Lehrstellen. Ganz zufällig kam sie dann bei einer alten Buchbinderei im siebenten Bezirk vorbei, und die suchte Lehrlinge. So startete sie mit 19 die Buchbinderlehre, machte nach drei Jahren die Gesellenprüfung und avancierte schließlich zum Meister. Seit 2008 ist die Mutter dreier Mädchen Buchbindermeisterin und hat ihre Entscheidung nicht im Geringsten bereut.

„Als Kind haben mich schon immer Papier und Bücher interessiert, auch wenn ich nicht so gern gelesen habe. Aber das Haptische war mir immer schon wichtig“, erzählt Laber der „Presse am Sonntag“. Heute ist sie selbstständig, führt eine kleine Buchbindereiwerkstatt in der Klostermanngasse in Atzgersdorf in Wien-Liesing und widmet sich alten Handwerkstechniken, die vom Aussterben bedroht sind.


Die Kreativität der anderen. Ein mutiges Vorhaben in einer Zeit, in der angesichts von Digitalisierung und allgegenwärtiger elektronischer Texte das Papier und das Gedruckte nicht mehr so wichtig scheinen. Es habe lang gedauert, vier Jahre, bis sie sich etabliert und eine Nische gefunden habe, in der sie bekannt wurde, so Laber. Heute ist das Interesse an ihrer Arbeit, an ihren Produkten und ihren Workshops groß. „Eigentlich lebe ich von der Kreativität der anderen – denn die haben die Ideen und ich verpacke und verarbeite sie.“

Laber zählt ein paar Produkte auf, die in ihrer Buchbinderei hergestellt werden: Das könnten eigene Bücher sein, die mit einem speziellen Einband gedruckt werden; das könne ein individuell gebundenes Fotoalbum mit Familienfotos sein; das können Mappen für Dokumente genauso gut sein wie selbst entworfene Schachteln. Ein Auftrag kam etwa von einer älteren Dame, die die wichtigsten Kochrezepte ihres Lebens in einem Kochbuch aus Leder zusammenfassen wollte.

Ungewöhnlich war auch die Idee eines Kunden, seine Familienchronik zusammenzutragen und in Leder einzubinden. „Das war ein besonders beeindruckendes Produkt, die Chronik war sehr detailliert und ist bis ins Jahr 1643 zurückgegangen“, erinnert sich Laber. Vieles, was Kunden beauftragen, sind Erinnerungen für sie selbst oder auch als Geschenke gedacht. Wichtig ist jedenfalls immer, dass es sich um individuelle Werke handle. Damit grenze man sich von der Massenware ab.

Daneben legt Laber auch einen Schwerpunkt auf vielfältige Angebote für die Jüngsten. Etwa Kindergeburtstagsfeiern, die hier in der Buchbinderei angeboten und organisiert werden und bei denen Kinder vieles über die manuelle Produktion von Büchern sehen und hören. Als Geschenk gibt es dann ein selbst gebundenes Buch mit leeren Seiten, verwendbar zum Beispiel als Tagebuch, mit dem eigenen Namen eingeprägt. Auch Schulen zeigen zunehmend Interesse an Führungen und Workshops: Für nächstes Jahr sieht es mit den Terminen schon ziemlich eng aus.

Für die junge Buchbinderin ist es interessant zu beobachten, wenn die üblicherweise in digitaler Umgebung aufwachsenden Kinder mit einem alten Kunsthandwerk konfrontiert werden. „Ja, oft kommen sie zu uns mit einem faden Gesicht, und stellen die heimliche Frage: Was soll ich hier? Doch sobald es ans Werken geht, tauen sie auf. Manche beschweren sich über den Geruch des Leims, manche lachen über den Geruch des Papiers, andere gatschen mit dem Leim herum“, Berührungsängste mit dem Handwerk und den Materialien habe keiner.

Ältere Kinder interessieren sich oft dafür, wo man diesen Lehrberuf ergreifen könne oder fragen, ob man dazu auch Mathematik können muss. „Ja, muss man. Da muss man viel rechnen, das ist eine sehr genaue Arbeit“, erzählt Laber. „Zum Beispiel muss man Buchschuber oder Schachteln auf den Millimeter genau berechnen.“

Jedenfalls sind Lehrer oft ganz verblüfft, wie interessiert ihre Schüler sich in der Buchbinderwerkstatt denn zeigen können. „Das liegt daran, dass sie ein fertiges Produkt mitnehmen können, das sie selbst gemacht haben. Und sie sind auch deshalb interessiert, weil man das sehr individualisiert machen kann.“ So könne man das Buch auch in anderen Sprachen bedrucken, was zum Beispiel türkische Kinder gern nützten.


Ein Buchumschlag für den Kindle. Auch die Ideen der Erwachsenen sind oft sehr individuelle. Laber erzählt von einem Besucher, der zwar durch und durch ein Fan von elektronischen Gadgets sei, aber dann die Idee hatte, für seinen E-Reader einen Schutz zu kreieren, der wie ein Buchumschlag aussieht und auch Platz hat, um etwas zu notieren. „Er hat mir erzählt, dass er seinen Kindle liebe, aber dass ihm auch das Haptische fehle.“

Besonders begeistert ist die Atzgersdorfer Handwerkerin, wenn alte Bücher repariert werden müssen. „Das ist wie eine Zeitreise. Es ist besonders interessant, wie damals gearbeitet wurde, welchen Leim sie verwendet haben, welche Technik.“ Viele Menschen fänden noch alte Bücher auf dem Dachboden oder entdecken alte Kinderbücher wieder, die sie gern herrichten wollen. „Wir können das alles machen, alles, was zwischen zwei Deckeln Platz hat“, sagt Laber, die derzeit von einer Praktikantin unterstützt wird.

Auch die kleine Werkstatt gleich bei der Liesing strahlt alte Handwerkskunst aus: Auf den Arbeitstischen stapeln sich Spezialschachteln, liegen spezielle Scheren und Falzbeine herum, die früher aus Knochen waren und heute aus Plastik sind, es stehen Leimkübel herum – und dann findet man noch besondere Buchbindergeräte, etwa Prägemaschinen und Pressen. Besonders beeindruckend ist eine riesige Deckelschere, die ca. 300 Jahre alt ist und aus Gusseisen gemacht wurde. Elektronik gibt es dafür wenig.

CHRONIK

Im Jahr 2008 wurde Ira Laber Meisterin der Buchbinderei, einem alten, aussterbenden Kunsthandwerk. Ein Jahr später eröffnete sie ihre Werkstatt in Atzgersdorf im 23. Bezirk.

Heute bietet sie Workshops für Schüler und Erwachsene und Führungen in der Werkstatt an. Auf Wunsch von Kunden stellt sie kreative und personalisierte Produkte rund ums Papier her.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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