Zielpunkt: Acht Fragen und Antworten zur Pleite

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Die Großinsolvenz der Lebensmittelkette Zielpunkt knapp vor Weihnachten löst in der Öffentlichkeit Empörung aus. Fragen und Antworten zur Insolvenz mit 2700 Betroffenen.

Sie ist in der an Insolvenzen reichen Wirtschaftsgeschichte, gemessen an den 2700 betroffenen Mitarbeitern, die drittgrößte Pleite nach Alpine und Dayli. Am Montag hat die Handelskette Zielpunkt mit 214 Millionen Euro Schulden den Konkursantrag eingebracht. Das ist im Vergleich zu Negativrekordhalter Alpine mit 3,5 Milliarden Euro Schulden wenig. Es ist indes die große Zahl an Beschäftigten, die just vor Weihnachten ihre Existenzgrundlage verlieren, was den schwer angespannten Arbeitsmarkt belastet, eine Welle der Empörung auslöst und die Gewerkschaft auf die Barrikaden steigen lässt. „Die Presse“ beleuchtet den Hintergrund des Untergangs des „Herzensprojekts Zielpunkt“, wie es Eigentümer Georg Pfeiffer nennt.

1. Warum hatte Zielpunkt letztlich keine Überlebenschance?

Das Unternehmen schreibt seit Jahren Verluste, gleich mehrere Vorbesitzer haben sich vergebens an der Sanierung versucht. Österreichs Lebensmittelhandel wird von den zwei Branchenriesen Rewe (Billa, Merkur, Penny, Adeg, Bipa) und Spar dominiert. Da haben kleinere Anbieter wie Zielpunkt mit nur 2,5Prozent Marktanteil kaum eine Chance – außer sie finden ein Alleinstellungsmerkmal. Der Diskonter Hofer hat das geschafft – mit dem Geld der deutschen Aldi-Gruppe. Pfeiffer steckte zwar rund 50 Millionen in die Modernisierung der 229 Zielpunkt-Filialen – das war aber zu wenig.

2. Was war der unmittelbare Auslöser für die Insolvenz, die die Mitarbeiter voll überrascht?

Im Oktober und November fiel der Umsatz rapid – ohne Aussicht auf eine Trendwende. Pfeiffer musste daher die Planung neu bewerten. Da stellte sich heraus, dass Zielpunkt bis mindestens 2020 Verluste schreiben dürfte und sofort statt 40 gut 60 Millionen Euro benötigt. Außerdem sprangen zwei potenzielle Investoren ab. Da musste Pfeiffer „im Sinn einer sorgfältigen Geschäftsführung“, wie er selbst sagt, die Reißleine ziehen. Mit einem negativen Eigenkapital von 36,7 Millionen Euro war ohnedies ein Insolvenztatbestand gegeben.

3. Die Gewerkschaft ortet hinter der Vorgangsweise einen Masterplan. Warum?

Wolfgang Katzian, Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp), meint, Pfeiffer habe absichtlich die Insolvenz Ende November angesetzt – vor der Auszahlung des Weihnachtsgeldes. Faktum ist, dass Zielpunkt schon die Novembergehälter nicht mehr zahlt, geschweige denn das Weihnachtsgeld. Pfeiffer wehrt sich und sagt, dass man den Zeitpunkt einer Insolvenz nicht planen könne. „Wir haben alles getan, um Zielpunkt zu sanieren.“

4. Warum wirft die GPA Zielpunkt vor, Belegschaft und Betriebsrat getäuscht zu haben?

Pfeiffer hat in einem Brief an die Zielpunkt-Belegschaft, der der „Presse“ vorliegt, am 4. November noch die Expansion ankündigt: „Wir werden mit voller Kraft die Entwicklung von Zielpunkt fortsetzen.“ Und: „Neben der strategischen Perspektive war die Sicherheit Ihrer Arbeitsplätze die wichtigste Grundlage für diese Entscheidungen.“

5. Warum nährt ein Immobiliendeal zusätzlich Zweifel an der Vorgangsweise?

Pfeiffer hat die Firma Trei gekauft, die 70 Zielpunkt-Immobilien besitzt. Der Kauf wurde Anfang November fixiert. Die GPA meint, Pfeiffer verschaffe sich Vorteile, wenn einzelne Zielpunkt-Filialen verwertet werden. Pfeiffer hält entgegen, das schon im Frühjahr ausverhandelte Geschäft sei Teil des Sanierungskonzepts. Es habe zum Ziel gehabt, die Mieten für Zielpunkt zu reduzieren.

6. Droht mit Zielpunkt ein Dominoeffekt in der Branche?

Ja. Heute, Dienstag, wird der Fleischlieferant Schirnhofer mit 300 bis 500 Mitarbeitern die Insolvenz anmelden. Auch seine Beschäftigten erhalten wie jene von Zielpunkt ihre Gehälter und anderen Ansprüche ab nun aus dem Insolvenzfonds. Das Geld fließt aber heuer nicht mehr. Deshalb setzen die Banken für sie die Überziehungszinsen aus.

7. Wie wichtig ist die Auswahl des Masseverwalters?

Zum Insolvenzverwalter von Zielpunkt hat das Handelsgericht Wien Georg Freimüller (Kanzlei Freimüller, Obereder, Pilz) bestellt. Er war schon Masseverwalter bei der Pleite des Elektrohändlers Niedermayer. Die Spezialisierung von Freimüller und seinem Partner Alois Obereder auf Rechtsfragen des Insolvenzarbeitsrechts verhalf der Kanzlei dazu, sowohl beim Konkurs der Autozubehörkette Forstinger als auch bei dem der Alpine als Sonderverwalter für alle Belange der Arbeitnehmer beigezogen zu werden. Nicht ganz irrelevant für die Wahl dürfte Freimüllers und Obereders Nähe zum Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) gewesen sein. Die Kanzlei gilt als dessen Vertrauenskanzlei, sie vertritt den ÖGB immer wieder bei Rechtsstreitigkeiten.

8. Ist eine Insolvenzrechtsreform wichtig, um Pleiten wie jene von Zielpunkt zu verhindern?

Solche Fälle müssten jedenfalls dazu genutzt werden, darüber nachzudenken, ob die gesetzlichen Strukturen ausreichten, diese nicht wünschenswerten Umstände zu verhindern, sagt Hannes Jarolim, Justizsprecher der SPÖ, zur „Presse“. Es gebe sehr wohl Fragen, die man erst bei genauer Kenntnis des Sachverhalts beantworten könne: „Hat hier von Anfang an der Plan bestanden, eine Unternehmensgruppe zu übernehmen, um sie zu filetieren, den Rest in Konkurs zu schicken und die Mitarbeiter dem Staat umzuhängen?“ Der Vorstand habe nach §70 Aktiengesetz die Gesellschaft so zu leiten, dass auch dem öffentlichen Interesse Genüge getan werde. „Das kann man daran messen, ob dem Eigentümer erkennbar an einer nachhaltigen Unternehmensführung gelegen ist. Das vermisse ich hier.“ Gerhard Weinhofer von der Creditreform meint, auch das beste Insolvenzrecht könne eine solche Pleite nicht verhindern.

AUF EINEN BLICK

Der oberösterreichische Handelskonzern Pfeiffer stieg 2012 bei Zielpunkt ein, der schon damals defizitär war. 2014 übernahm Pfeiffer den Rest. Alle Zeichen würden nach der Integration „auf Erneuerung und Wachstum“ stehen, verlauteten damals die Geschäftsführer der Pfeiffer-Holding die geplante Strategie. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Eigentümer Zielpunkt in Konkurs schicken. Davon sind insgesamt um die 2700 Mitarbeiter und 500 Gläubiger betroffen. Am Montag wurde das Konkursverfahren am Handelsgericht Wien eröffnet. Die Schulden belaufen sich auf 214 Millionen Euro. Zum Masseverwalter wurde der Wiener Rechtsanwalt Georg Freimüller bestellt. Zielpunkt wird liquidiert, einzelne Standorte werden verkauft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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