Damaszener Stahl aus dem Weinviertel

Florian Stockinger, der jüngste Schmiedemeister Österreichs, vor einem seiner Schmiedehämmer.
Florian Stockinger, der jüngste Schmiedemeister Österreichs, vor einem seiner Schmiedehämmer.(c) Erich Witzmann
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Entdeckung einer Marktnische: Florian Stockinger gründete eine Werkstatt mit Maschinenhammer, Schmiedeesse und Härteöfen. Die Endprodukte – vor allem Messer – erreichen fast schon Liebhaberpreise.

Er habe immer schon etwas herstellen wollen, näher an der Wertschöpfung und zudem selbstständig sein. Florian Stockinger sagt das eher beiläufig. Wie überhaupt sein nunmehriger Beruf vorgezeichnet scheint. Schon in Jugendjahren habe ihn die Metallurgie interessiert. Seit Februar dieses Jahres erzeugt er hochqualitative Messerklingen aus Edelstahl. Und noch einiges mehr. In diesem Nischenmarkt hat Stockinger Erfolg, die Nachfrage nach seinen Produkten steigt.

Noch ist der 22-Jährige ein Kleinstunternehmer, da darf der Gesamtumsatz des Jahres 36.000 Euro (das ist bereits die Toleranzgrenze) nicht übersteigen. Für 2016 wird sich das mit seinem Betrieb in Ernstbrunn, Bezirk Korneuburg, nicht mehr ausgehen, da will der Jungunternehmer und derzeit allein Produzierende auch einen Praktikanten und vielleicht einen Lehrling aufnehmen. Für den Beruf des Klingenherstellers ist Florian Stockinger bestens ausgebildet: Fachrichtung Maschinenbau am TGM in Wien, dann über das Wifi St. Pölten die Meisterprüfung für Schmiede und Fahrzeugbau. Im Bundesland der erste Schmiedemeister seit 20 Jahren, habe man ihm gesagt.

Vor der Gründung der eigenen Schmiede stand der Weinviertler vor der Hürde der Finanzierungsfrage, die er wie in den von Marketing-Fachhochschulen geforderten Businessplänen meisterte bzw. noch meistern will. Mit Familienunterstützung wurde ein Startkapital von 25.000 Euro aufgebracht, dazu kommen noch inklusive der für 2016 geplanten Investitionen weitere 16.000 Euro. Diese Beträge werden wohl in den nächsten Jahren wieder hereinkommen, ab dem vierten Jahr ist mit einem effektiven Gewinn zu rechnen. Unter den 100 Top-Jungunternehmern des Jahres 2015 befindet er sich bereits.

6,5-Tonnen-Maschine. Nun ist Florian Stockinger also Herr über den eigenen Betrieb Lilienstahl. In Ernstbrunn hat er im Areal der aufgelassenen Eisengießerei Hammerschmied bzw. durch deren Verlagerung nach Wien eine geeignete Betriebsstätte gefunden. In diesen Tagen erst hat er ein 1,70 Meter tiefes Fundament ausbaggern lassen, um künftig mit einem 6,5 Tonnen schweren Lufthammer den Klingenstahl zu produzieren. Der Lufthammer (Kraftübertragung über Luftdruck) verursacht immer noch einen Lärmpegel von 80 Dezibel, der derzeit noch verwendete Federhammer (Kraftübertragung über Federpaket und Reibradantrieb) ist um einiges lauter.

Seine Betriebs- und Lebensphilosophie fasst Florian Stockinger in einem Satz zusammen: „Mich stört total, dass die Wertschöpfung von Produkten in Billiglohnländer ausgelagert wird.“ Und zudem gehe da ja auch das hierzulande erarbeitete Know-how verloren.

Der Standort Ernstbrunn – eine 3100-Einwohner-Gemeinde 45 Kilometer nördlich von Wien – ist für den Jungunternehmer durchaus geeignet. Erstens wohnt er nur 15 Autominuten entfernt in Harmannsdorf-Rückersdorf, zweitens setzt er die Produktion in einem alten Stahlbetrieb fort, drittens kommt es sowieso darauf an, wo er seine Produkte anbietet. Da ist einmal der jährliche Messermarkt in Ybbsitz (NÖ), wo er Geschäfte anbahnen kann, sowie das exquisite Karlsruher Messerforum in Deutschland. Andererseits findet seine Homepage bei den Kunden große Beachtung, und schließlich ist er von der einmal in Gang gesetzten Mundpropaganda selbst überrascht. Beim Gespräch ist es geradezu offensichtlich: Stockinger ruht in sich selbst.

„Man muss immer auf dem Stand der neuesten Technologie sein“, sagt er, „um die Marktnische ausnützen zu können, muss man voll und ganz auf die Wünsche der Kunden eingehen.“ Den Kundenkreis hat der Schmiedemeister schon ausgelotet: Jagdmesser, Fischmesser, Kochmesser, eben für Jäger, Sammler, anspruchsvolle Hobbyköche (bisher männlichen Geschlechts) wie vereinzelt auch Köche in Nobelrestaurants. Da habe er schon ein Stück an den Chefkoch des Grandhotels Lienz geliefert. Schließlich beliefert er auch kleinere Messerhersteller, die nicht selbst den Stahl schmieden, mit Halbzeugen. Für ein Architektenbüro hat er Handläufer und Lampenhalterungen produziert.

Stolz ist der Jungunternehmer auf ein besonders wertvolles Stück, einen Brieföffner um mehr als 2000 Euro, der als Gastgeschenk in den Oman ging. Zudem sind nun zwei bis drei Großkunden an seinen Produkten interessiert, so eine Kärntner Waffenfirma, eine Kunstschmiede und eine Firma, die Bauteile für ihre Sondermaschinen benötigt.

Bezüglich der Prüfung und Anwendung neuer Technologien orientiert sich der Ernstbrunner Jungunternehmer an dem Forschungsstand des Karlsruher Instituts für Technologie (Technische Universität des Landes Baden-Württemberg), darauf aufbauend experimentiert er selbst mit unterschiedlichen Schweißmethoden. Mit seinen Härteöfen, Schleifmaschinen und Härteprüfmethoden fertigt Stockinger die verschiedensten Arten von Messern sowie weitere Sonderanfertigungen an. Am liebsten spricht er aber über den Damaszener Stahl.

Elastizität und Schärfe. Was ist nun das Besondere an seinen derzeit produzierten Lilienstahl-Klingen? Sie sind ausschließlich aus eben jenem Damaszener Stahl. Ausgangsprodukt ist ein niedrig legierter Werkzeugstahl, der in der Schmiedeesse bei bis zu 1150 Grad Celsius feuerverschweißt wird. Dann werden zwei Stahlsorten mit unterschiedlichen Eigenschaften übereinandergelegt und fünf bis sechs Mal mit dem Maschinenhammer „gefaltet“ und neuerlich verschweißt.

Die Kombination des unterschiedlichen Stahlmaterials garantiert die Elastizität und einen scharfen Schnitt. Um die Klinge vor Korrosionsschäden zu schützen, ist noch eine gesonderte Beschichtung erforderlich. Eine Charakteristik des Damaszener Stahls ist die wellenförmige Oberflächenstruktur.

Als wäre die Schweißtechnik nicht schon ein hochspezifisches Verfahren, stellt Stockinger in einem gesonderten Werkraum auch die maßangefertigten Lederscheiden her. Ein vegetabil gegerbtes Leder wird eingeweicht, zurechtgeschnitten und mit einer zweifachen Sattlernaht – d. h. mit zwei gegengleich eingesetzten Nadeln – vernäht. Dabei sei ihm wichtig, dass keine künstlich-synthetischen Stoffe mitverarbeitet werden.

Ein ganz schön hartes Stück Arbeit also. Für ein Messer berechnet Stockinger den Zeitaufwand – abhängig von der Ausstattung – mit einem Tag bis einer Woche. Dann fertigt er aber auch selbst die lederne Umhüllung und den Holzgriff an. Der langwierige Arbeitsprozess ist zugleich eine professionelle Spielerei. Seine Produkte seien gemessen an dem Qualitätsanspruch und der Präzision „Klingen für Generationen“, sagt Stockinger. Also unverwüstliche Einzelstücke.

An der Arbeitszeit orientiert sich auch der Preis. Für ein Messer sind 250 bis 2500 Euro zu bezahlen. Die ungebrochene Nachfrage zeigt, dass Stockinger damit richtig liegt. In diesem ersten Jahr wird sich die Produktion auf rund 150 Stück belaufen, im kommenden Jahr soll mit einer zusätzlichen Kraft und dem dann eingesetzten Lufthammer die dreifache Stückzahl erreicht werden. Und dann werde weiter expandiert.

Apropos Arbeitszeit: Derzeit beläuft sich die Arbeitswoche auf 50 bis 60 Stunden, Kundenbesuche, Angebotserstellung und die Ausfertigung von Kundenentwürfen inklusive. Das sei, so Stockinger, eigentlich eine Selbstverständlichkeit in der Aufbauphase eines Betriebes.

Renommierte Vorfahren. Etwas verhalten rückt er schließlich mit einem Stück seiner Familienchronik heraus. Die Rückschau väterlicherseits reiche bis zur Kaufmannsfamilie der schwäbischen Fugger, also bis ins Spätmittelalter und die frühe Neuzeit, zurück. Aber viel könne er über die Kaufmannsfamilie aus Augsburg nicht sagen, ein Siegelring aus der Blütezeit der Fugger befindet sich jedenfalls in seinem Besitz. „Der Ring wurde von Generation zu Generation an den ältesten Sohn weitergegeben.“ Im 15. Jahrhundert erfolgte die Aufteilung in die Familienzweige „Fugger vom Reh“ und jenen der „Fugger von der Lilie“. Die Weinviertler Stockingers stammen von der zweiten Ahnenreihe ab. Deswegen hat der jüngste Familienspross auch seinem Ernstbrunner Betrieb den Namen Lilienstahl verliehen.

FAKTEN

2015. Im Februar gründete Florian Stockinger den Betrieb Lilienstahl.

41.000 Euro beträgt das Investitionskapital in den ersten zwei Jahren. Im vierten Jahr soll sich ein Gewinn einstellen.

150Messerklingen umfasste die Produktion im ersten Jahr. 2016 wird mit einer Stückzahl von 400 bis 500 gerechnet. Später soll sie weiter steigen.

Stahl aus zwei Metallen

Der Damaszener Stahl ist ein Schweißverbundstahl, der ursprünglich in Damaskus hergestellt und von dort nach Europa importiert wurde. Charakteristisch ist das wellenförmige Muster.

Bei der Herstellung werden zwei unterschiedliche Metalle übereinandergelegt und immer wieder gehärtet, sodass mehrere Faltungen entstehen. Die Verwendung zweier Materialien führt zur Kombination von verschiedenen Eigenschaften wie Elastizität und Schnittfestigkeit.

Die Produktion des Damaszener Stahls wird in Österreich selten durchgeführt. Der jüngste Anbieter: www.lilienstahl.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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