Lebensmittelhandel: "Irgendwann gibt es vier ähnliche Modelle"

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Die Insolvenz der Zielpunkt-Gruppe ist symptomatisch für den österreichischen – und vor allem den Wiener – Lebensmittelhandel, der mit Marktkonzentration, Standortdichte und Preispolitik die Auslese beschleunigt.

„Jetzt ist schon wieder was passiert“, würde Wolf Haas an dieser Stelle schreiben. Kein Todesfall, ein Insolvenzfall. Nicht der erste in der Geschichte des österreichischen Lebensmittelhandels, in dem die Marktkonzentration so stark wie fast nirgendwo sonst in Europa auf die Wettbewerber drückt. Motivforscherin Helene Karmasin sprach jüngst gar vom österreichischen Hyperwettbewerb, der drohe, seinen Erzeuger, den Kapitalismus, Schachmatt zu setzen. Zielpunkt heißt die Leiche. Ende November wurde Konkurs angemeldet. 2700 arbeitslose Mitarbeiter, 229 teils vermittlungsresistente Standorte und 11,7 Millionen Verlust sind, was unter dem Strich vom seit Jahrzehnten sanierungsbedürftigen Wackelkandidaten unter Österreichs Supermärkten übrig bleibt, der zuletzt unter den Fittichen der oberösterreichischen Pfeiffer-Gruppe war.

Schön ist das alles nicht. Aber doch symptomatisch für den heimischen Lebensmittelhandel. Die Konsum-Pleite 1995 mit 775 Filialen und über 15.000 direkt betroffenen Arbeitnehmern und 2000 der Rückzug der Meinl-Kette verschoben dessen Architektonik nachhaltig. Spar, Hofer und die später von Rewe übernommene Billa-Gruppe, die 1995 gemeinsam auf einen Marktanteil von knapp 44 Prozent kamen, waren die Profiteure dieser Umstürze. Sie herrschen heute über mehr als 83 Prozent des Marktes.


Methodischer Wahnsinn?
„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“, könnte man hier mit Shakespeare anmerken. Aber was ist in den vergangenen Jahrzehnten in Österreich tatsächlich passiert? Methodischer Wahnsinn mit seinen Söhnen Preiskampf und Verdrängungswettbewerb, oder doch eine „normal“ fortschreitende Monopolisierung wie auch jenseits der Landesgrenzen? Um zu verstehen, wie die österreichische Greißlerseele tickt, muss man in die Achtziger zurückblicken. Als einen Grund der fortschreitenden Wettbewerbskonzentration macht Wolfgang Richter vom Marktforschungsinstitut Regioplan die extreme staatliche Reglementierung vor dreißig Jahren aus. Damals war der Verkauf von pasteurisiertem Käse und Fleisch aus dem Ausland verboten. Es gab eine Brotpreisbindung, und wenn im Burgenland die Tomaten erntereif waren, wurde der Import gestoppt. „Wenn alle alles gleich haben, kann ich mich nicht profilieren“, erklärt Richter die kommunistisch anmutende Stimmung. In den Achtzigern war schlicht jener Sieger, der die größten Mengen einkaufen konnte. Den kleinen und mittleren Lebensmittelhändlern ging schnell die Luft aus.

Mit dem Liberalisierungsschub des EU-Beitritts 1995 wurde der Staatseinfluss zurückgedrängt. Doch der Grundstein für die Vormacht der Großen war da schon längst gelegt. Ob sie wie Spar und Rewe ihren Vorsprung ausbauen konnten oder wie Zielpunkt erfolglos von Hand zu Hand weitergereicht wurden, steht auf einem anderen Blatt.

Ein weiterer Faktor für die hohe Marktkonzentration wirkt banal: Österreich ist ein kleines Land. Wenn jemand gut ist, hat er schnell ein flächendeckendes Filialnetz aufgebaut. Die Alpenrepublik mit dem deutschen Nachbarn zu vergleichen, ergebe daher wenig Sinn. Ebendieser Nachbar war aber für den Wettbewerbsdruck mitverantwortlich: So kaufte der Rewe-Konzern 1996 die BML-Gruppe, zu der Billa, Merkur und das Heimtextilunternehmen Litega gehörten. Tengelmann probierte sich einige Jahrzehnte an der Neupositionierung von Zielpunkt. Der Diskonter Hofer wurde bereits 1967 von der deutschen Aldi Süd übernommen und mit Lidl drängte 1998 sein direkter Konkurrent auf den Heimatmarkt.

Durchaus vergleichbar ist die geografisch-wirtschaftliche Lage hingegen mit der Schweiz, betont Unternehmensberater Andreas Kreutzer von Kreutzer Fischer Partner Consulting. Doch selbst dort, wo sich zwei Konkurrenten ein noch größeres Kuchenstück teilen als hierzulande Spar und Rewe, kommen auf eine Million Einwohner 200 Supermärkte – in Österreich sind es 441. Davon stehen allein auf dem heiß umkämpften Wiener Pflaster rund 860 Stück. Gleich viele also wie in ganz Oberösterreich, wo die besiedelte Fläche zwanzigmal größer ist. Nun könnte man sagen, die Oberösterreicher leiden unter einem Supermärktemangel. Oder die Wiener haben zu viel Auswahl. „Wenn man die Zahlen betrachtet, bleibt nur der zweite Schluss“, so Kreutzer. Dieses heiße Pflaster war es, das die Pfeiffer-Gruppe mit ihrer Zielpunkt-Übernahme erobern wollte – und das ihr schlussendlich das Genick brach. „Man hat den Wettbewerb unterschätzt.“ Schlauer mache es Pfeiffer bei der Tochter Unimarkt, die von Oberösterreich aus überall dort aufsperre, wo kein Konkurrenzdruck bestehe.

Jetzt, da der Mitbewerber hinausgebissen ist, wächst in Wien jedoch die Gefahr der Kannibalisierung. Sprich: Irgendwann ist es – kartellrechtliche Hürden beiseite – nicht mehr von Vorteil, Standorte zuzukaufen, da sie den alten die Kunden wegfischen. „Das ist ähnlich wie bei den Bankfilialen. Nur traut sich im Lebensmittelhandel noch keiner, in diese Richtung zu denken“, so Kreutzer. Er verweist auf die „atemberaubende Irrationalität“ im Handel, bei dem keiner dem anderen eine gute Lage schenkt und ein Filialabbau als Eingeständnis der Schwäche gewertet wird. Man muss an diesem Punkt hinzufügen: Der österreichische Käufer ist ein umhätscheltes Pflänzchen. Nicht nur hat er die Qual der Wahl, in welchen Supermarkt er zuerst spaziert, auch sind die Filialen im Europavergleich besonders herausgeputzt. „Da lassen sich die Österreicher – auch Hofer und Lidl – nicht lumpen“, so Richter. Die Rendite ist dementsprechend niedrig bei ein bis zwei Prozent des Umsatzes. Was tut man nicht für eine gute Show!

Zu den schönen, frischen Waren in den attraktiven Geschäften gesellt sich eine lange österreichische Rabatttradition. Auch das knabbert am Gewinn. „Der Konsument ist das gewohnt. Und die Supermärkte nützen den sehr hohen Preisaktionsanteil als Mittel zur Kundenbindung“, sagt Kreutzer. Mittlerweile haben alle vier bundesweiten Player den Standort-Beautycontest und die Aktionspreise entdeckt: Während Hofer und Lidl ihre Filialen aufhübschen, Backshops und Frischebereiche einbauen, werben die Platzhirsche Rewe und Spar mit Aktionspreisen und billigeren Eigenmarken. Richters Resümee: „Irgendwann haben wir vier ähnliche Modelle auf dem Markt.“

Dass der Onlinehandel das Geschäft mittelfristig revolutionieren wird, glauben beide Experten nicht. Es habe einen Grund, warum Ware im Supermarkt nicht blickdicht verpackt ist. Und der Prozess vom Log-in bis zum Absenden der Bestellung sei mitunter umständlicher als der Gang zum Supermarkt. Andere Experten argumentieren, dass der Onlinekauf aufgrund der Lieferkosten vorerst etwas für Besserverdiener bleibt, für die Zeit wichtig ist. Der Onlinehandel macht bei Lebensmitteln aktuell rund 1,8 Prozent des Umsatzes. aus. In den Augen Richters könnte der Anteil noch auf zehn Prozent anwachsen. Dort sei aber vorerst die gläserne Decke erreicht.

Der Regioplan-Chef sieht den maßgeblichen Zukunftstrend vielmehr in der notwendigen Neuausrichtung des klassischen Supermarkts. Denn Marktkonzentration hat auch immer ihre positiven Seiten: Kleine entdecken ihre Nischen wie Bionahrung, die Großen neue Kundengruppen und Einkaufssituationen. Etwa den Trend hin zur integrierten Gastronomie. Das Profil des herkömmlichen Supermarkts wird sich grundlegend verändern, ist Richter sicher. Der Lebensmittelhandel ist tot – lang lebe der Lebensmittelhandel.

Damals und heute

Marktanteile 1995
Billa-Gruppe
(heute Rewe): 19%
Spar: 17,3%
Hofer: 7,5%
Löwa
(heute Zielpunkt): 6,6%

Marktanteile 2015
Rewe: 33,7%
Spar: 30,4%
Hofer: 19,2%
Lidl: 5,8%
Zielpunkt: 2,5%

Standorte 1995: 9265
Standorte 2015:5533

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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