Andreas Treichl: "Wir haben Fehler gemacht"

Andreas Treichl
Andreas Treichl(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Erste-Group-Chef Andreas Treichl spricht über eigene Fehler, die Fehler der EZB und über "dumme" Fremdwährungskredite. Der eingeschlagene Weg hin zum gläsernen Bürger bereitet ihm Sorgen.

In jüngster Zeit bekommt man den Eindruck: Den Banken ginge es gut, hätten sie die Privatkunden nicht. Ist der Eindruck richtig?

Andreas Treichl: Der Eindruck ist natürlich falsch. Es gibt unterschiedliche Banken mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Der UniCredit ist offenbar zur Ansicht gelangt, dass für ihn das Privatkundengeschäft in Österreich nicht attraktiv ist. Weil er keine Möglichkeit sieht, das Massengeschäft gewinnbringend zu bestreiten. Soll so sein. Wir sind mit unserem Retailgeschäft in Österreich sehr zufrieden und freuen uns, wenn wir Kunden dazugewinnen können. Uns kann nichts Schöneres passieren, als wenn Banken sagen, dass sie keine Privatkunden mehr wollen. Wir wollen so viele wie möglich.

Ist für die Erste Bank das Geschäft mit den Kleinkunden rentabel?

Ja, denn das ist schließlich Teil unserer Aufgabe und unserer Strategie. Wir sind gegründet worden, um für die Privatkunden da zu sein.

Aber auch die Erste spart beim Filialnetz, weil es sich sonst nicht rechnet?

Das bedeutet aber nicht, dass man mit dem Retailgeschäft nicht zurechtkommt. Die Filialstrategie ist keine Frage der Kosten. Es geht vielmehr um Kundenbedürfnisse. Da gibt es große Unterschiede zwischen Stadt und Land, das hängt stark von der Altersstruktur, vom Bildungsniveau und von der Affinität zu digitalen Medien ab. Das ist von Land zu Stadt sehr verschieden. Selbst in Österreich gibt es regionale Unterschiede. Es gibt kleine Filialen auf dem Land, die geringe Kosten aufwerfen. Und es gibt die Filiale am Graben, einen der teuersten Plätze Wiens, wo man eine hohe Frequenz braucht, um rentabel zu sein.

Die Frequenz nimmt ab. Irgendwann wird sich eine Bank nicht mehr von einem Online-Anbieter unterschieden.

Das glaube ich nicht. Wir betreuen ja nicht nur Privatkunden, sondern auch Klein- und Mittelbetriebe. Ich kenne aber keinen Banker, der heute genau sagen kann, welche Kunden in Zukunft für welche Geschäfte in eine Filiale gehen wollen. Das hängt auch davon ab, wie die Filiale der Zukunft aussehen soll. Da haben wir ein ganz klares Konzept. Wir wollen die digitale Welt mit der Filialwelt verknüpfen. Es geht ein bisschen in Richtung Apple-Shop.

Aber wer einen Apple-Shop will, geht in einen Apple-Shop, dort kann er in den USA schon längst Bankgeschäfte tätigen. Müssten Sie den Apple-Shop nicht eher fürchten?

Ich fürchte mich nicht, halte es sogar für wahrscheinlich, dass digitale Anbieter den Zahlungsverkehr effizienter abwickeln können. Aber wir werden über das digitale Angebot hinaus noch immer einen Menschen als Berater haben, dem unsere Kunden vertrauen. Diesen haben digitale Anbieter nicht. Außerdem bieten wir neben Krediten auch die Verwaltung des Vermögens und andere Services unter einem Dach an.

Vertrauen ist gut, Wettbewerb ist besser. Der Kunde könnte – bei einem Kredit – verschiedene Angebote einholen. Es muss nicht immer die Hausbank zum Zug kommen.

Sehr richtig. Wenn Sie so mündig sind, gratuliere ich Ihnen. Wenn Sie nicht mehr darauf angewiesen sind, dass Ihnen jemand einen Bezug zu Ihren derzeitigen Vermögensverhältnissen, Ihren zukünftig zu erwartenden Einkommen und dem Kredit herstellt. Aber wenn da niemand mehr ist, der sagt: „Den Kredit sollten Sie jetzt aber nicht mehr aufnehmen.“ Wenn das keiner mehr sagt, dann geht eine der wesentlichen Funktionen des Bankgeschäfts verloren.

Ist diese Tugend, dieses Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Kunden, den Banken nicht längst verloren gegangen?

Wir können darüber diskutieren, ob diese Tugend je bestanden hat. Ich bin mir nicht so sicher, ob Banker vor 50 Jahren viel anständiger waren. Da sind wir jetzt auf einem besseren Weg.

Kein Autohändler würde sagen: „Mit Ihrer Sehschwäche sollten Sie sich kein Auto kaufen.“ Genauso wird ein Bankberater am Ende auch den Geschäftsabschluss suchen.

Ich glaube, das Vertrauen in einen Autohändler hat schon eine andere Dimension als das Vertrauen, das man in einen Bankberater steckt. Die Erste wickelt dieses Geschäft auch deshalb profitabel ab, weil die Kunden ihren Beratern vertrauen und ihnen auch verzeihen, wenn sie ihnen einmal einen falschen Rat geben. Wenn ein Banker heute noch immer nicht weiß, was in den letzten Jahren im Bankgeschäft schiefgelaufen ist, und nicht weiß, dass es am allerwichtigsten ist, dass uns unsere Kunden vertrauen, sollte er sowieso besser Autoverkäufer werden.

Wie wollen Sie einem Kunden Vertrauen abringen, der heute noch auf einem Schweizer-Franken-Kredit sitzt?

Vielleicht erinnern Sie sich: Bevor es in Österreich die Schweizer-Franken-Kredite gegeben hat, hat es die Yen-Kredite gegeben. Österreich hat etwa zwei Prozent des Kreditvolumens in der EU und hatte über einen Zeitraum von zehn Jahren 50 Prozent des Yen-Kreditvolumens der gesamten EU. Jeder, der ein Finanzbuch aufschlägt, liest spätestens auf Seite zwei: Nimm nie einen Fremdwährungskredit auf, wenn du keine Fremdwährungseinnahmen hast. Das war also dumm, trotzdem haben alle davon profitiert. Es gibt hunderttausende Österreicher, die lange Zeit ein gutes Geschäft mit Yen-Krediten gemacht haben. Auch mit dem Schweizer Franken sind viele bei ihrer Finanzierung gut gefahren. Jetzt gibt es aber tausende, die damit unter Wasser sind. Als wir vor sieben Jahren geraten haben, in den Euro zu konvertieren, waren es die Verbraucherschutz-Organisationen, die gesagt haben: „Macht das ja nicht, bleibt im Franken.“ Das alles jetzt den Banken in die Schuhe zu schieben, ist nicht okay. Klar ist, dass die Fremdwährungskredite ein spekulatives Produkt waren. Aber manchmal funktionieren selbst dumme Produkte sehr, sehr gut. Das ist der Reiz, aber auch das Problem von spekulativen Produkten.

Was halten Sie übrigens von der Idee, das Bargeld restlos abzuschaffen? Viele Finanzminister würden das sofort unterschreiben.

Ich denke als Geschäftsmann. Alles, was für unsere Kunden schlecht ist, ist schlecht.

Ihnen geht es um den praktischen Nutzen des Bargelds. Gibt es keine ideologischen Referenzen?

Natürlich ist das eine Frage der Ideologie. Es ist eine der schwierigsten Fragen. Nämlich: Will man in einer Welt leben, in der alles völlig transparent ist? Wo es nicht mehr möglich ist, einen kleinen Teil des Einkommens in der Tasche zu haben und damit nicht nachvollziehbare Transaktionen zu tätigen? Das kann negativ und positiv gesehen werden. Ich glaube, das Vertrauen der Menschen in die Politik ist so gering, dass die Mehrheit den gläsernen Bürger ablehnt. Ich würde das auch nicht wollen. In einer idealen Welt, in der ich mir sicher sein kann, dass diese Transparenz vom Souverän nicht zu meinem Nachteil ausgenutzt wird, wäre das okay.

Aber wir sind von einer idealen Welt noch ein gutes Stück entfernt. Und der Staat will immer mehr von seinem Bürger wissen. Vor allem, wenn es um dessen Finanzen geht.

Das ist die klare Absicht des Souveräns. Ich bin davon überzeugt, dass der Souverän – ich spreche nicht nur vom österreichischen Staat – bei Weitem nicht die Reife erreicht hat, dass er mit dieser unfassbaren Macht über die Menschen auch wirklich sorgsam umgehen kann.

Aber unter dem Deckmantel „Kampf der Terrorfinanzierung“ ist vieles möglich. Wir diskutieren in Österreich darüber, wie wir einen Ausnahmezustand verhängen können.

Das ist ziemlich absurd. Denn Geldwäsche und illegale Finanzierung sind heutzutage unendlich schwieriger geworden als vor zehn Jahren. Die Sicherheit und Transparenz des Finanzsystems im Jahr 2015 ist im Vergleich zu 1975 oder 1985 wesentlich höher.

Offenbar hat die Regulierung des Finanzsektors auch zur Stärkung der Moral beigetragen. Womit wir unter anderem bei der Rolle der Europäischen Zentralbank wären.

Die Regulierung hat gute und schlechte Seiten. Problematisch wird es, wenn die EZB völlig in die Entscheidungsprozesse der Banken eingreift. Das geht so weit, dass alle Kundengespräche aufgenommen werden sollen. Große Sorgen macht mir, dass die EZB uns in eine Standardisierung des Kreditgeschäfts drängt. Wir müssen im Rahmen von AnaCredit der EZB jeden Kredit über 25.000 Euro melden. Im Endeffekt geht es nicht um Datenerfassung, sondern um ein System, bei dem die EZB den Banken vorschreibt, welchen Kredit sie vergeben dürfen und welchen nicht.

Wird es am Ende noch rigorosere Richtlinien bei Krediten geben?

Wir sehen die Entwicklung doch jetzt schon. Warum wird nicht investiert? Zum einen, weil die Leute kein Vertrauen in die Zukunft haben. Aber vor allem auch, weil die Banken zwar billigste Kredite geben, aber im Gegenzug persönliche Garantien, Sicherheiten und 25 Dokumente einfordern. Und da lassen dann viele die Finger davon.

Mit anderen Worten: Die Regulierung bremst die Investitionen und somit das Wachstum.

So wie wir einst risikoreiche Yen-Kredite vergeben haben, haben wir Hotels und Skilifte mit Krediten finanziert, die eigentlich mit Eigenkapital hätten finanziert werden sollen. Einige sind pleitegegangen. Aber tausende Tourismusbetriebe in Tirol, Salzburg und Vorarlberg haben investiert und nicht nur ihre Konkurrenz aus Deutschland, Italien und der Schweiz hinter sich gelassen, sondern auch Handwerk und Kommunen in ihrer Region zu Wohlstand verholfen. Mit unseren risikoreichen Kreditentscheidungen. Banken sollten weiterhin sagen können: „Dieser hat zwar nicht genügend Kapital, aber ich vertraue ihm, ich glaube, er ist ein guter Unternehmer, und ich gebe ihm das Geld.“ Wenn man uns diese Möglichkeit nimmt, schaut es schlecht aus.

Aber einige Banken haben sich auch ordentlich übernommen. Siehe Hypo Alpe Adria oder Volksbank. Auch die Erste Group steckte in Schwierigkeiten. Die Sorge der EZB ist also nicht ganz unberechtigt.

Die Probleme der Erste Group hatten mit der Finanzkrise sehr wenig zu tun. Wir haben einfach Fehler gemacht, für die wir gebüßt haben. Diese Fehlentscheidungen waren im Wesentlichen schlechte Kredite und zu teure Einkäufe. Wenn man schnell wächst, macht man auch Fehler. Das gehört dazu. Aber so, wie wir heute dastehen, haben wir doch wesentlich mehr richtig als falsch gemacht. Und den Steuerzahler haben wir nichts gekostet, ganz im Gegenteil, er hat ein sehr gutes Geschäft mit uns gemacht.

Trotzdem: Unter dem Strich haben die Banken die Steuerzahler einiges gekostet. Die Regulierung ist eine Folge davon.

Ja. Und ich halte etwa die wesentlichen schärferen Kapital- und Liquiditätsvorschriften für richtig und gut. Wo die Regulierung allerdings aufhören muss, ist dort, wo man den Banken die Möglichkeit nimmt, Risikoentscheidungen zu übernehmen. Banken sind dazu da, Risiko zu übernehmen. Und dabei macht man auch Fehler. Eine Bank, die keinen Fehler machen kann, braucht kein Mensch. Natürlich muss sichergestellt sein, dass Fehler von Aktionären und nicht von Einlegern getragen werden.

Fazit: Als Regulierer hemmt die EZB die Kreditvergabe, als Zentralbank betreibt sie eine Nullzinspolitik, um Investitionen anzukurbeln. Was werfen Sie der EZB vor?

Die EZB verkennt das Problem. Das Problem ist nicht, dass die Leute keine Kredite bekommen. Das Problem ist vielmehr, dass sie die Kredite nicht in der Form bekommen, wie sie diese gern hätten. Deshalb schafft die Nullzinspolitik keine zusätzlichen Investitionen. Auf der anderen Seite nimmt die EZB den Menschen die Chance, mit relativ risikoarmen Einlagen bei Banken Geld zu verdienen. Die Entwicklung ist dramatisch. Denn wenn man den Menschen die Möglichkeit nimmt, mit Spareinlagen einen Ertrag zu erzielen, zerstört man die Mittelklasse und erzeugt Altersarmut. Negative Realzinsen hat es allerdings auch in Zeiten von hoher Inflation und Normalzins gegeben. Aber emotionell haben Nullzinsen einen viel deprimierenderen Effekt für Sparer.

Seit Langem kämpft Ihre Branche vergeblich gegen die Bankensteuer. Haben die Banker mittlerweile so deprimierend wenig Macht?

Es werden zwar viele bestreiten, aber ich persönlich glaube, dass die Zeit vorbei ist, in der die Banken wirklich mächtig waren. Das ist auch gut so.

Herrscht bereits Ohnmacht gegenüber der Politik?

Nein, natürlich haben Banken noch immer einen Einfluss. Aber die größten Fehler in der Bankenbranche sind bei ein paar wenigen Instituten gemacht worden, diese Fehler sind oft aufgrund von Verquickungen mit der Politik passiert. Es gibt auch sehr gute Banken in Österreich. Und was die Bankensteuer betrifft: Da bin ich zuversichtlich, dass etwas passieren wird. Irgendwann.

Steckbrief

Andreas Treichl
wurde 1952 in Wien geboren. Seit 1997 ist er Generaldirektor der Erste Bank. Seit 2008 ist er CEO der Erste Group. Treichl ist verheiratet und hat drei Söhne.

Die Erste Group
ist mit einer Bilanzsumme von knapp 193 Milliarden Euro und 46.000 Mitarbeitern eine der größten Banken in Zentral- und Osteuropa. In Österreich hat die Erste Bank mehr als 12.000 Mitarbeiter.

Katharina Roßboth

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

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