"Wer jammert, ist hier fehl am Platz"

Mehr als acht Millionen Menschen werden heuer einem der 24 Wiener Adventmärkte die Ehre erweisen. Neben Umsätzen von mehreren hundert Millionen Euro und der Sicherung mehrerer hundert Arbeitsplätze trotzen die Standler vor allem aus einem Grund der Kälte: Spaß am Kontakt mit den Kunden.

Für Planer von Einkaufszentren muss sich das wie Hölle auf Erden anfühlen. Eiseskälte, überfüllte Stände, fröhliches Durcheinander bei den Angeboten. Marketingstrategisch sind Adventmärkte eine ziemliche Katastrophe mit ihrem bunten Krimskrams und unübersichtlichen Verkaufsflächen. Die Konsumenten kümmert das recht wenig, sie stürmen ungebrochen die ubiquitären Freiluft-Malls und lassen ungerührt große Portionen ihres Weihnachtsgeldes dort liegen. Die Standler freut's – auch wenn das Geschäft schon einmal besser lief.

„Die ersten zwei Wochen waren hart. Das lag sicher auch an der Terrorangst, Paris hat keinen kalt gelassen“, sagt Georg Lehner. Er ist so etwas wie die graue Eminenz am Weihnachtsmarkt Am Hof mitten in der Wiener Innenstadt. Er organisiert den Markt mit seinen 76 Hütten, außerdem betreibt er selbst seit 20 Jahren einen Speckstand. 20 Jahre, in denen er so einen kollektiven Schock noch nie erlebt hat. „Es hat einen Tag gedauert, bis die Ereignisse von Paris in den Köpfen der Leute angekommen sind. Wir haben am Freitag dem 13. aufgesperrt und waren überdurchschnittlich gut besucht. Auch am Samstag noch, erst mit Sonntag ist das Geschäft massiv eingebrochen. Da ist den Leuten erst richtig klar geworden, was passiert war.“


Erholung nach Paris. Der extreme Umsatzrückgang hat sowohl das Kunsthandwerk sowie die Gastronomie am Markt erwischt. Die Geschäfte haben sich erst langsam erholt, es brauchte bis zum Marienfeiertag am achten Dezember, bis an alte Höhenflüge angeknüpft werden konnte. „Der Achte markiert immer den Höhepunkt der Umsätze, ab da gibt es keine Steigerung mehr, man kann die Einnahmen maximal halten“, sagt Lehner. Von diesen Einnahmen lasse sich übrigens durchaus leben, weiß der Langzeitstandler zu berichten. „Wenn da einer jammert, der ist im Weihnachtsgeschäft fehl am Platz. Es darf sich keiner beschweren“, sagt er mit voller Überzeugung. Fast scheint es so, als wäre diese „Nicht jammern“-Direktive Gesetz hier beim Weihnachtsmarkt am Hof. Wenn man sich bei den Standlern so umhört, könnte man rasch verleitet sein, sich selbst in eine der Hütten zwischen den Gebäuden des Platzes zu stellen. „Mir macht es hier einfach riesigen Spaß mit den Menschen zu arbeiten, ein gutes Produkt anzubieten und zu sehen, wenn die Leute wieder gerne zurückkommen“, sagt Veronika Huber, die scheinbar im Akkord eine Waffel nach der anderen herausgibt. Die junge Waldviertlerin ist bereits das fünfte Mal mit von der Partie, sie hat sich auf Vollkornwaffeln spezialisiert, die von den Eiern bis zu den Gewürzen durchwegs bio sind. Dazu gibt es Zwetschkenröster, Vanillesauce, Mohn und vieles mehr zum Drüberstreuen. Die Leute reißen ihr die warmen Kalorienbomben regelrecht aus der Hand. „Waffeln passen einfach perfekt auf den Weihnachtsmarkt, es zahlt sich schon aus, hier zu stehen“, sagt Huber. Auch wenn das Standlerleben zwischen Minusgraden und 14-Stunden-Tagen nicht so einfach sei, wie es sich viele vorstellen würden, die positive Energie, mit der die 31-Jährige jeden Abend vom Markt heimgeht, wiege einiges von den Strapazen wieder auf.

Strapaziert sind auch manchmal die Nerven von Marktchef Lehner, der sich nicht nur um das reibungslose Funktionieren der Technik am Markt kümmern muss – immerhin sind hier 1000 Meter Starkstromkabel verlegt – er trägt auch die Entscheidungsgewalt in sicherheitstechnischen Belangen. Als ein Sturm Anfang Dezember durch die Stadt brauste, musste er sich frühmorgens gegen das Aufsperren des Marktes entscheiden. „Ab 80 km/h Windstärke übernimmt dir kein Statiker mehr die Verantwortung dafür, dass die Standln halten. Im Radio war in der Früh von 120 km/h die Rede. So schnell hab ich gar nicht schauen können, war ich schon aus dem Bett heraußen und im Auto zum Markt.“ Der Markt blieb an dem Tag geschlossen, wie auch die Kassen der Standler. Keine Tragödie, die heurige Saison ist trotzdem auf Rekordkurs. Laut Wirtschaftskammer Wien rechnet man mit mehr als acht Millionen Besuchern auf den Wiener Adventmärkten in diesem Jahr.

Mehr als die Hälfte der Bummler stammt aus Wien: 4,6 Millionen Hauptstadtbewohner geben sich zumindest einmal die Ehre, ein Drittel der Wiener geht durchschnittlich auf drei bis vier Märkte. So generieren sie nicht nur fleißig Umsatz bei den Marktbetreibern, sondern würden mit ihren Einkäufen auch „einige hundert Arbeitsplätze“ sichern, ist in einer Aussendung der WK zu lesen. Diese hat auch eine Umfrage bei der KMU Forschung Austria in Auftrag gegeben, laut welcher Wiener pro Besuch auf einem Markt im Schnitt 22 Euro ausgeben. 2014 waren das noch 19 Euro, die Wiener Brieftaschen sitzen heuer also etwas lockerer. Noch spendabler geben sich Angereiste aus den Bundesländern, sie lassen 36 Euro auf den Holztheken liegen. So lässt sich eine Größenordnung von ein paar hundert Millionen Euro Umsatz bei den Weihnachtsmärkten errechnen – die 400.000 internationalen Besucher noch gar nicht mitgezählt.


Weltreise zum Christkindlmarkt.
Und die zieht es immer stärker auf die Wiener Adventmärkte (siehe auch Artikel unten). Das bunte multikulturelle Treiben ist einer der Gründe, warum sich Martina Nikolić am Hof so wohl fühlt. Die Verkäuferin von selbst gemachten Biokerzen hat eben erst eine Einladung nach Australien erhalten, von einem Kunden mit dem sie in ein angeregtes Gespräch vertieft war. „Jetzt habe ich sogar schon eine Bleibe, wenn ich mal dorthin fliege, man hat mir schon eine Visitenkarte gegeben“, sagt die Standlerin. Genau das liebe sie so am Standlerleben: das internationale Publikum, die vielen netten Leute, und vor allem die Fans ihrer Kerzen. „Inzwischen gibt es schon einige, die sagen, super, dass das wer macht. Aber manchmal kriegt man schon auch zu hören: Biokerzen? So was braucht ja keiner!“

Offenbar doch, denn die aus nachhaltigen Rohstoffen wie Raps, recycelten Altölen oder Bienenwachs getauchten Stabkerzen werden kiloweise davongetragen. Nikolić betreibt ihr Geschäft in der Lerchenfelderstraße erst seit einem Jahr und ist dementsprechend „frischgefangen“ am Adventmarkt. Die wichtigsten Regeln für einen effektiven Verkauf hat sie sich aber schon angeeignet: Präsentation, das richtige Produkt zur richtigen Zeit, aktives Ansprechen der Bummler – im Konkurrenzkampf der Standler darf nichts dem Zufall überlassen werden. Ihre Kerzen produziert Nikolić seit vier Jahren, aber erst heuer hat sie sich den Ruck gegeben, daraus ein professionelles Geschäft zu machen: „Ich dachte mir, alles oder nichts, habe alles investiert, was ich hatte, und hatte Glück.“ Die Umsätze am Markt seien nicht schlecht, allerdings zu wenig, um sich einen Mitarbeiter zu leisten. Den würde Nikolić aber dringend brauchen, die Auftragslage kann sie kaum allein bewältigen. Besonders ihre Teelichter, die dank einer speziellen Wachsmischung bis zu sechs Stunden leuchten, sind bei ihrem Stand die großen Renner.

Mit diesen Dauerbrennern hat sich Nikolić mittlerweile ein kleines, aber feines Stammpublikum herangezüchtet. Dieses kommt wegen der Christbaumkerzen wieder, aber auch wegen der gravierten und naturgefärbten Leuchtkerzen. Von deren Licht werden Kunden aller Generationen angezogen: „Die älteren Leute kaufen gern bei mir, weil sie das Handwerk schätzen. Zu mir kommen aber auch viele junge Leute, die auf alles stehen, was nachhaltig und bio ist“, sagt Nikolić. Die Jugend ist offenbar weniger Paraffin-affin.

Lavendel zieht da schon wesentlich besser. Wer dabei jetzt an Großtantchens klassisches Lavendelsackerl als Mottenkiller im Kleiderschrank denkt, ist weit daneben. Auf Ingrid Trabesingers Stand findet man allerlei Produkte, die man landläufig nicht so schnell mit dem wohlriechenden Kraut in Verbindung bringen würde. Honig, Zucker, Rosinen, Liköre, Cremen oder Gelees, alles mit Lavendel verfeinert, hat Trabesinger im Angebot. Die studierte Kunsthistorikerin hat ihre Diplomarbeit über die Kulturpflanze verfasst und so ihre Begeisterung für den Anbau entdeckt. Inzwischen produziert sie saisonal mit zwei Lavendelfeldern in der Steiermark. Dass sie die jetzt am Adventmarkt verwerten kann, musste sie sich erst hart erarbeiten.

„Ganz am Anfang bin ich hier im Freien gestanden, teilweise bei minus 15 Grad, ich habe mir den Standplatz selbst freischaufeln müssen. Nach einiger Zeit haben meine Standlerkollegen gesagt, das ist ja kein Zustand mehr, und dann hat Georg Lehner mir eine Zwei-Meter-Hütte zugewiesen“, sagt Trabesinger. Als „Lavendelfrau“ konnte sie ihr Angebot mittlerweile ausbauen, heuer wechselte sie in eine größere, drei Meter messende Hütte. Aber auch diese Expansion verschafft ihre keine wirtschaftliche Sicherheit – „bis Ende des Jahres weiß ich nie, ob ich positiv bilanzieren werde. Die eigene Arbeitszeit darf ich jedenfalls nicht einrechnen. Mir geht es vor allem um die Liebe zum Produkt.“


Kostenfaktor Standgebühr.
Ob Liebhaberei oder nicht – das Standlstehen am Adventmarkt muss finanzierbar sein. Die Aussteller haben auf der Kostenseite vor allem die Standgebühr wieder hereinzuholen. Laut Georg Lehner beträgt die am Hof zwischen 2500 und 4000 Euro für die Saison. Damit würden „seine“ Standler noch relativ günstig fahren, Standplätze an anderen gut gelegenen Orten in der Stadt sollen bald einmal das Doppelte kosten. „Und die sind sicher nicht so gut isoliert wie unsere Hütten hier, die ganz schön komfortabel sind. Anderswo geht ohne Moonboots und Thermohosen gar nichts, da friert man bitterlich.“

Aber auch am Hof kann es frisch werden, wenn der Wind anfährt. Was einen trotz der manchmal widrigen Umweltbedingungen durchhalten lässt? „Das Standln hier macht unheimlich Spaß. Ich komme aus einer Sportler-Familie, und wir sind Wettkampf immer schon gewöhnt gewesen. Das führe ich jetzt am Adventmarkt einfach fort. Wer hat den größeren Weihnachtsbaum, wer hat die bessere Geschichtenerzählerin für die Kinder, da misst man sich schon immer wieder mit den anderen Märkten.“

AM HOF

76 Hütten buhlen dieses Jahr am Weihnachtsmarkt Am Hof in der Wiener Innenstadt um die vorweihnachtliche Laufkundschaft.

Unter der Obhut des Marktorganisators und Speckstandlers Georg Lehner haben sie täglich von 13.11. bis 23.12.2015bis 22 Uhr geöffnet.

MArkttreiben

Die Wirtschaftskammer Wien rechnet dieses Jahr mit mehr als acht Mio. Besuchern auf Wiens 24 Adventmärkten. 4,6 Mio. davon sind Wiener, die laut einer Studie der KMU Forschung Austria pro Besuch im Schnitt 22 Euro ausgeben. Die angereisten Besucher aus den Bundesländern lassen sich Punsch, Duftkerzen und Co. durchschnittlich sogar 36 Euro kosten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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