Wifo-Chef fordert neue Steuerreform

Fordert Reformen: Wifo-Chef Karl Aiginger.
Fordert Reformen: Wifo-Chef Karl Aiginger.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Karl Aiginger diktiert der Regierung strenge Ziele: Die Staatsquote müsse sinken, für Gebühren soll es eine Bremse geben, Niedrigverdiener bei den Sozialabgaben entlastet werden.

Wien. Mit forschen Forderungen an die Regierung startet Karl Aiginger in sein letztes Jahr als Wifo-Chef. Was dem Ökonomen den Rücken stärkt: Sein Institut koordiniert 33 Partner, die an einer neuen Wachstumsstrategie für Europa arbeiten.

Am 25. Februar präsentieren sie die Ergebnisse ihrer vierjährigen Arbeit vor EU-Kommission und -Parlament. Das Projekt soll die Fehler früherer Pläne, von Lissabon bis zur Klimapolitik, vermeiden – vor allem das „Silodenken“ zwischen Wirtschaft, Sozialem und Ökologie. Noch ist der Inhalt geheim. Aber am Montag hat Aiginger im Klub der Wirtschaftspublizisten verraten, was er aus diesem Geist heraus für Österreich fordert – jenem kleinen Land auf Europas „Kriechspur“, wo die Umfragen unter Firmen zur Standortqualität „einfach erschütternd“ ausfallen.

Staatsquote. In Europa hat der öffentliche Sektor einen Anteil von 49 Prozent am BIP – höher als in jedem anderen Wirtschaftsraum. Er müsse sinken, um im Wettbewerb mit den USA bestehen zu können.
Österreich liegt mit gut 52 Prozent nochmals deutlich über dem Mittel. Eine Angleichung an den Schnitt sei notwendig, der Staat sei „einzugrenzen“. Denn „noch mehr kann er nicht machen“. Wer nach neuen Milliarden für Flüchtlinge, Lehrer oder Pflege ruft, solle künftig zwei Vorschläge mitliefern, wo man im Gegenzug einsparen kann.

Etwa bei den Beamten: Ihre Zahl sei, rechnet man Vertragsbedienstete und ausgegliederte Mitarbeiter ein, trotz aller Beteuerungen bis heute nicht gesunken.

Gebühren. Warum ist Österreich beim Wachstum so zurückgefallen? Aiginger sieht einen wichtigen Grund bei den Reallöhnen, die in den letzten Jahren gesunken sind – anders als in Deutschland. Schuld daran seien vor allem Gebührenerhöhungen, die dafür sorgten, dass die Teuerung höher ausfiel als in den meisten anderen EU-Ländern. Das dürfe nicht mehr passieren: „Wenn die Wirtschaft wächst, müssen auch die Reallöhne steigen.“ Sicherstellen könnte das eine gesetzliche Bremse für die Gebühren. Statt diese weiter zu erhöhen, sei die Effizienz der Verwaltung zu verbessern.

Steuerreform. Eben erst ist die lang diskutierte Steuerreform in Kraft getreten. Ein wichtiges Ziel war, Geringverdiener zu entlasten, die bisher unter einem hohen Einstiegssatz bei der Lohnsteuer litten.
Doch diese Entlastung ist für Aiginger „vollkommen unzureichend“, weil die Sozialabgaben gleich hoch geblieben sind. Zur Erinnerung: Von einer anfangs diskutierten Senkung sahen SPÖ wie ÖVP ab und begnügten sich mit einer kleinen Negativsteuer für Niedriglohnbezieher. Gänzlich gefehlt hat eine „Ökologisierung“ des Systems, also eine Verschiebung hin zu Steuern auf fossile Energien – für die stattdessen, wie Aiginger klagt, jährlich weiterhin drei Milliarden Euro an Subventionen fließen.

► Flexibler Arbeitsmarkt. Hohe Löhne und strenge Standards für Umwelt und Soziales: Mit diesen Bedingungen ihrer Region müsse sich Europas Wirtschaft abfinden. Jeder Versuch, hier nach unten zu drücken, um auf dem Weltmarkt billiger anbieten zu können, müsse scheitern. Stattdessen plädiert Aiginger für „soziale Innovationen“. Zum Beispiel: Die Unternehmen forderten zu Recht mehr Flexibilität bei Löhnen, Kündigungsschutz und Arbeitszeit. Aber weil aktuell Beschäftigte darin unmittelbar nur Nachteile sehen, scheitern die Pläne oft an Gewerkschaften und linken Parteien. Aber auch viele Arbeitnehmer wollen flexibler arbeiten: der eine mehr, der andere weniger, oder nach eigenem Wunsch verteilt über das ganze Berufsleben. Aigingers Hoffnung: Wenn man beiden Seiten „symmetrisch“ Vorteile bietet, ließe sich die Blockade beheben.

Energie. Europa rühmt sich, Vorreiter bei der Umstellung auf erneuerbare Energien zu sein. Ein Irrtum, warnt Aiginger. Denn tatsächlich investiere China heute schon mehr in Sonnen- und Windkraft als die EU. Also gelte es aufzuholen, um den Vorteil eines „First Mover“ zu wahren, der seine überlegene Technologie später weltweit exportieren kann. Konkret für Österreich fordert der Wifo-Chef ein Umdenken beim Wohnbau: „Leistbares Wohnen“ dürfe nicht bedeuten, dass bei Material und Wärmedämmung gespart wird. Denn die Folge wäre: Österreich erreicht später seine Klimaziele nicht. Dann muss der Staat zu Umbauten verpflichten, für die dann Wohnbaufirmen wieder zusätzliche Subventionen verlangen. Deshalb sollten Ausschreibungen nicht auf möglichst niedrige Herstellkosten abzielen, sondern auf niedrigste Betriebskosten über die Lebensdauer des Gebäudes. Zudem dürfe der Sanierungsscheck nicht auslaufen, sondern sei zu forcieren.

Flüchtlinge. Zuletzt diagnostizierten viele Ökonomen: Europa fällt beim Wachstum wegen der Alterung der Gesellschaft hinter die USA zurück. Die Flüchtlingswelle habe hier „ein völlig neues Phänomen“ geschaffen: ein stark steigendes Angebot an Arbeitskräften.

Doch der Großteil der Syrer, Iraker und Afghanen hat nur einen Pflichtschulabschluss und ist auf dem Arbeitsmarkt schwer zu integrieren. Aiginger plädiert dafür, Niedrigqualifizierte zu „begleiten“ – durch Lehrausbildungen, oder indem man sie für kleinere Hilfs- und Reparaturarbeiten für ältere Menschen einsetzt. Ein Dienstleistungsscheck könne verhindern, dass sie auf dem Schwarzmarkt landen.

Um das AMS nicht zu überlasten, sollten auch karitative Organisationen diese Begleitung übernehmen. Die Hilfe aus der Zivilgesellschaft habe schon im Vorjahr „das Bewusstsein dafür verändert, was der Staat machen kann und muss“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2016)

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