China und die Flüchtlingskrise könnten die Eurozone negativ beeinflussen, warnt die Kommission. Für Österreich prognostiziert die Brüsseler Behörde steigende Arbeitslosenzahlen.
Brüssel. Auf den ersten Blick läuft alles wie gehabt. Um 1,7 Prozent soll die Wirtschaft der Eurozone im laufenden Jahr wachsen – und damit nur ein Zehntelprozentpunkt weniger als im Herbst prognostiziert. In ihrer am gestrigen Donnerstag veröffentlichten Konjunkturprognose geht die EU-Kommission davon aus, dass die wirtschaftlichen Turbulenzen in den Schwellenländern Europa zwar treffen, allfällige negativen Auswirkungen allerdings durch billiges Erdöl, einen schwachen Euro sowie eine hilfsbereite Europäische Zentralbank kompensiert werden. „Europas Wirtschaft kann die Herausforderungen dieses Winters erfolgreich meistern“, wie es EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici bei der Präsentation der Prognose formuliert hat.
Doch hinter dieser grosso modo optimistischen Fassade erstreckt sich ein regelrechtes Minenfeld. „Der wirtschaftliche Ausblick für die Währungsunion ist höchst ungewiss“, heißt es in der 200-seitigen Prognose, und die Wahrscheinlichkeit für negative Überraschungen sei eindeutig höher als die Aussicht auf positive Impulse. Die Gefahrenzone erstreckt sich weltweit, und die größte Unbekannte ist in dem Zusammenhang die Volksrepublik China. In der Brüsseler Behörde geht man offiziell davon aus, dass die Regierung in Peking die Lage im Griff hat und die chinesische Wirtschaft auf nachhaltiges, auf Privatkonsum und Dienstleistungen gestütztes Wachstum (für heuer wird ein BIP-Plus von 6,5 Prozent prognostiziert) umstellen kann – diese Grundannahme ist allerdings „wachsenden Risken ausgesetzt“. Bricht Chinas Wirtschaft weg, hätte dies schwerwiegende Folgen für Exporteure in Europa und Rohstofflieferanten in den Schwellenländern – die ohnehin mit den höheren Leitzinsen in den USA zu kämpfen haben.
Flüchtlinge als Faktor
Ebenso unsicher ist die Lage in der EU selbst. Nicht einkalkuliert wurden in die jüngste Prognose nämlich die Auswirkungen der Flüchtlingskrise. „Sollten politische Herausforderungen nicht auf gesamteuropäischer Ebene gemeistert werden, könnte dies wachstumshemmende Entwicklungen nach sich ziehen“, heißt es in dem Bericht. Soll heißen: Gelingt es der EU nicht, den Menschenstrom aus Nahost in geordnete Bahnen zu lenken, steht die Schengenzone vor dem Aus – und mit ihr das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Prognosen zu den Auswirkungen von Grenzkontrollen haben momentan eine große Bandbreite: Die französische Ideenschmiede France Strategie geht von jährlichen Folgekosten von 100 Mrd. Euro für die gesamte Union aus, in Deutschland wird der Schaden auf zehn Mrd. Euro geschätzt, für die europäischen Frächter geht die Brüsseler Behörde von Zusatzkosten von drei Mrd. Euro pro Jahr aus. Klar ist jedenfalls, dass eine Rückkehr zu der Zeit vor Schengen teuer wird.
Sorgen macht sich die Kommission auch um die Stimmungslage in den europäischen Bevölkerungen: Als Reaktion auf die steigenden Flüchtlingszahlen könnte das Vertrauen in die Wirtschaft und folglich der Privatkonsum negativ beeinflusst werden, heißt es in der Prognose. Das wiegt umso schwerer, als der Privatkonsum angesichts der anhaltenden Investitionsschwäche sowie sinkender Nachfrage aus dem Ausland zum wichtigsten Konjunkturmotor avanciert ist. Und zu guter Letzt könnte eine Neuauflage der griechischen Krise die Konjunktur der Eurozone durcheinanderbringen. Apropos Griechenland: Für das Sorgenkind der Währungsunion haben sich die Aussichten etwas gebessert. Die griechische Wirtschaft dürfte 2015 entgegen anders lautenden Befürchtungen doch nicht geschrumpft sein, für 2016 wird nun eine vergleichsweise milde Rezession von 0,7 Prozent erwartet.
Probleme auf dem Arbeitsmarkt
Trüber sind die Aussichten für Frankreich, das sein Haushaltsdefizit weder heuer noch 2017 unter die Marke von drei BIP-Prozent bringen dürfte – sowie für Österreich, wo die Arbeitslosenzahlen weiter steigen sollen, und zwar von sechs Prozent im abgelaufenen Jahr auf 6,2 Prozent 2016 und 6,4 Prozent 2017. Zum Vergleich: 2012 ist die Arbeitslosenquote noch bei 4,9 Prozent gelegen. Die Kommission geht davon aus, dass heuer anhaltend viele Menschen in Österreich um Asyl ansuchen werden, was gekoppelt mit weniger Frühpensionierungen für ein Gedränge auf dem Arbeitsmarkt sorgen wird. Etwas besser ist die Lage in Deutschland, wo die Arbeitslosigkeit heuer mit 4,9 Prozent nach 4,8 Prozent im Vorjahr annähernd gleich bleiben soll.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)