Der letzte Sesselflechter

Der Sesselflechter Robert Roth vor seinem aktuellen Werkstück, einem Thonetstuhl aus den 1960er-Jahren.
Der Sesselflechter Robert Roth vor seinem aktuellen Werkstück, einem Thonetstuhl aus den 1960er-Jahren.Die Presse
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Robert Roth war schon 25 Jahre lang Architekt, als er begann, einen Thonetsessel zu restaurieren. Das Hobby wurde zum neuen Beruf, er zum Meister des Wiener Geflechts.

Die Nummer 14 von Thonet ist der meistgebaute Stuhl der Welt. 1859 in Nordhessen erfunden, stand er nicht nur im Weißen Haus oder bei Pablo Picasso, sondern auch in einem Gasthaus in Oberlaa, wo Wien Favoriten schleichend ins ländliche Niederösterreich übergeht. Dort türmte sich die Bestuhlung auf dem Dachboden, teilweise kaputt.

„Möbel herrichten war schon immer mein Hobby“, sagt der gelernte Architekt Robert Roth. Vor 15 Jahren hat er sich einen jener 14er-Sessel aus dem aufgelassenen Gasthaus seines Urgroßvaters geschnappt und begonnen, ihn herzurichten. Er bearbeitet die Oberfläche des gebogenen Buchenholzes, trägt Farbschichten auf, leimt und stabilisiert. Um auch das Geflecht selbst zu erneuern, machte er einen Kurs im oberösterreichischen Kloster Schlierbach ausfindig. „Der Kursleiter, ein Korbflechter, hat sich gewundert, dass mein Sessel im Wochenendkurs fast fertig wurde“, erzählt Roth. „Nachdem ich so flott war, hat er gefragt, ob ich das nicht weitermachen wollte, ich hätte Talent dafür.“ Warum nicht, sagte er sich. „Ich hab mich da ohnehin schon mehr mit den Sesseln beschäftigt als mit der Architektur.“ Nach 25 Jahren als Architekt sei das Geschäft zunehmend schwieriger geworden. „Da hab ich mein Hobby zum Beruf gemacht und mich auf das Wiener Geflecht spezialisiert.“ Robert Roth erinnert sich: „Beim ersten Kunden hab ich immens lang gebraucht.“ Mehr als drei Euro Stundenlohn war damals nicht drin. „Beim zehnten Sessel war ich schon auf fünf Euro und beim dreißigsten auf zehn Euro.“

Der Thonet Nummer 14. Das erste Kunstwerk, der Thonet Nummer14, steht heute noch am Tisch der kleinen Werkstatt. Durch das Fenster blickt Roth in den Hinterhof des Wirtshauses. Jetzt im Winter beginnt er hier meist erst zu Mittag mit dem Restaurieren. Denn der Schwedenofen braucht ein paar Stunden, um eine gemütliche Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Außerdem kann man sich die Flechtarbeit gut mit nach Haus mitnehmen. Mittlerweile gibt Roth auch Kurse, unter anderem in der Bildungseinrichtung des Schlierbacher Klosters, wo er selbst einst das Handwerk erlernt hat. Und wer interessiert sich für so einen Kurs? „Viele Leute kommen aus einem Restaurierkurs und machen dann bei mir das Geflecht dazu.“ Die meisten richten ihren eigenen Sessel her. In jedem Kurs hält er Ausschau nach einem möglichen Nachfolger. „Auf den wart ich halt noch“, seufzt Roth. Aber dann komme etwa ein 70-jähriges Ehepaar oder eine Studentin, die den Sessel von der Oma reparieren will. „Okay, die kann ich dafür einmal weghakerln.“ Mit dem Nachwuchs sieht es also recht mager aus. „Ich hab noch keinen jungen gefunden, der das wirklich machen will.“

Seinen Schülern sagt Roth immer: „Dreißig Sessel muss man machen, bis es wirtschaftlich rentabel wird.“ Und jeder Stuhl hat seine Eigenart. Es gibt eckige, runde oder geschwungene Sitzflächen, und „erst wenn ich von jeder Art einen gemacht habe, weiß ich wirklich, wie ich es angehen muss“. 40 Euro Stundenlohn empfiehlt die Innung. „Ich brauche in etwa zwölf Stunden pro Sessel. Wenn ich da 40 Euro verlange, lässt sich kein Mensch einen Sessel machen, höchstens das Museum.“

Anders als der Name vermuten lässt, ist das Wiener Geflecht in Indien entstanden. „Wenn man bei hoher Luftfeuchtigkeit auf einem Holzbrettl sitzt, ist das nicht angenehm. Da pickt alles“, erklärt Roth. Diese Art der Sitzbelüftung fanden die Engländer hingegen praktisch und hübsch. Sie nahmen die Idee mit nach Europa. Im deutschen Boppard am Rhein experimentierte indes Michael Thonet mit Bugholztechniken. 1842 kam er nach Wien. Hier begann mit dem Wiener Kaffeehausstuhl – jetzt bekannt als Nummer 14 mit dem typischen Flechtmuster – sein wirtschaftlicher Erfolg. „Die Wiener haben gesagt: ,Das ist unser Wiener Geflecht‘“, erzählt Roth. Außerdem gibt es beispielsweise das Davidstern- oder Diamantgeflecht, ein neunlagiges Muster aus England, das für Rückenlehnen von Gartenstühlen verwendet wird.

Bei seiner Restaurierungsarbeit bemüht sich Roth, möglichst den Urzustand wiederherzustellen. Aktuell erneuert er einen Thonetsessel im Bauhausstil. „In mühevoller Recherche habe ich mir Plastikstreiferln herausgesucht und beim Modellbau besorgt. Die waren damals offenbar hoch im Kurs.“ Als Hauptmaterial verwoben wird Rattan, die Rinde einer Lianenpalme, die in südostasiatischen Urwäldern einen Durchmesser von fünf Zentimetern erreicht. Geschält und aufgeschnitten baumeln die Bänder von der Decke.

Wer folgt nach? Robert Roth glaubt, der Einzige zu sein, der dieses freie Gewerbe bei der Wirtschaftskammer angemeldet hat. „Korb- und Möbelflechter“ gehörte früher zur Innung der holzgestaltenden Gewerbe. Vor ein paar Jahren wurde es mit der Tischlerinnung fusioniert. „Da gehören auch die Bürstenbinder, die Pfeifenschnitzer und die Spielzeugmacher dazu.“ Beim Stefflkirtag hat die Innung Roth einen Standplatz zur Verfügung gestellt, um sein Handwerk zu zeigen. „Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich: Das Handwerk soll erhalten bleiben. Deswegen mache ich auch Kurse.“ Und natürlich hat er sich in dieser einsamen Nische schon einen guten Ruf erarbeitet. „Wenn man's g'scheit haben will, dann geht man zum Roth, nicht nach Ungarn“, sagt der 63-Jährige stolz. „In zwei Jahren und einem Monat kann ich in Pension gehen, was nicht heißt, dass ich zu arbeiten aufhöre.“

Wie teuer kommt den Kunden das neue Geflecht? Ein Richtwert sind 2,5 Euro pro Loch. Roth zeigt auf den Thonetstuhl mit der runden Sitzfläche. „Der hat circa 80 Löcher. Da käme man auf 200 Euro.“ Für einen Tag Arbeit, „wenn's mir gut von der Hand geht“. Das rechnet er einem Anrufer vor, der sich erkundigt. „Ich biete aber auch Kurse an“, schlägt Roth dann vor. „Der kostet nur 90 Euro. Sie lernen, wie das funktioniert, und haben auch die Möglichkeit, das daheim fertig zu machen. Die meisten Teilnehmer schaffen das.“ Und wer weiß, vielleicht ist am anderen Ende der Leitung ein talentierter Nachfolger in diesem seltenen Handwerk?

Kurse

Stuhlflechten. Die Kunst des Wiener Geflechts bei Robert Roth lernen kann man an der Wiener Volkshochschule (VHS Polycollege – Margareten/Wieden)oder im Bildungszentrum Stift Schlierbach (Oberösterreich).

Kontakt. www.sesselflechten.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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