Magister, Doktor, arbeitslos

Symbolbild: Hauptuni Wien
Symbolbild: Hauptuni WienDie Presse
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Besser das Falsche als gar nicht studieren, hieß es lange Zeit. Doch jüngste Zahlen zeigen: Die Krise kommt bei den Akademikern an. Auch wegen des Zuzugs aus dem Ausland.

Hauptsache studieren. Techniker brauchen sowieso nicht um ihre Zukunft zu bangen, auch Mediziner und Juristen nicht, aber selbst, wer ein Orchideenfach belegt, kommt auf dem Arbeitsmarkt unter. Unter Akademikern herrschte lange Zeit quasi Vollbeschäftigung. Besser das Falsche als gar nicht studieren, pflegten Arbeitsmarktexperten wie AMS-Chef Johannes Kopf zu sagen.

Aber gilt das noch? Seit einiger Zeit steigt die Akademikerarbeitslosigkeit in Österreich rasant an: Im Jänner waren 27.292 Akademiker arbeitslos gemeldet, 16 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die allgemeine Arbeitslosigkeit erhöhte sich im selben Zeitraum um 3,7 Prozent. Schon Anfang 2015 gab es um 19,8 Prozent mehr arbeitslose Uni- und Fachhochschulabsolventen als Anfang 2014.

Dafür verantwortlich ist zum einen die Flüchtlingskrise. Unter Akademikern aus Drittstaaten schnellte die Arbeitslosigkeit zuletzt um satte 81 Prozent in die Höhe: Die größte Gruppe waren Syrer (635), Russen (265) und Iraner (216). Asylberechtigte, die angeben, einen Hochschulabschluss zu haben, scheinen in der Statistik zunächst als Akademiker auf, auch wenn sie ihren Abschluss nicht nachweisen können. Derzeit überprüft das AMS in Kompetenzchecks, ob die Angaben stimmen („Die Presse“ berichtete). Am zweitstärksten stieg die Akademikerarbeitslosigkeit bei den EU-Bürgern, wobei die meisten aus Deutschland kommen, gefolgt von Ungarn und Polen.


Wettbewerb nimmt zu. Aber auch unter österreichischen Akademikern legt die Arbeitslosigkeit seit einiger Zeit überdurchschnittlich zu, zuletzt mit 7,8 Prozent mehr als doppelt so stark wie die allgemeine. „Die wirtschaftliche Situation ist ungünstig, die Betriebe nehmen nicht so viele Akademiker auf, wie das in einer Hochkonjunktur der Fall ist“, sagt Thomas Wychodil, der das AMS-Akademikerzentrum in Wien leitet. Mit anderen Worten: Die Wirtschaftskrise ist bei den Akademikern angekommen.

Dass es seit Jahren einen Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst gibt, macht die Sache nicht besser. Auch weil immer mehr Junge an die Universitäten und Fachhochschulen drängen. „Es wird definitiv schwieriger, weil der Wettbewerb zunimmt, da muss man realistisch sein“, sagt Wychodil. „Wenn ich mir erst am Ende meines Studiums überlege, wie es weitergeht, muss ich damit rechnen, ein paar Monate arbeitslos zu sein.“

An das Akademikerzentrum in Wien, das Kurse und Coachings für Akademiker ohne Job anbietet, wenden sich laut Wychodil Absolventen verschiedenster Studien, auch Juristen und Betriebswirte, aber die größte Gruppe seien die Geisteswissenschaftler. Interessant sei, dass in den letzten Jahren auch die Zahl der Arbeitslosen im naturwissenschaftlichen und im Technikbereich zugenommen habe. Auch das liege daran, dass es mehr Absolventen gebe und auch Ältere aus dem Bereich ihren Job verlören. Manche Jungakademiker hätten zu hohe Ansprüche, sagt Wychodil, und meint damit die viel zitierte Generation Y: „Vor 20 Jahren hieß es, ich will in den Job hineinkommen und Geld verdienen.“ Heute muss nicht nur das Gehalt stimmen, sondern auch die Work-Life-Balance.


Hilfe zur Selbsthilfe. Auf dem Arbeitsmarkt gelten Akademiker aber nach wie vor als eine sehr unproblematische Gruppe: Sie haben Lernen gelernt, systematisches Denken, werden als durchhaltefähig und engagiert eingeschätzt. Ihr Selbsthilfepotenzial gilt als hoch, weshalb man beim AMS eigentlich wenig für sie tun kann.

So manche Ökonomen haben schon den Abgesang auf die Akademiker angestimmt, ihre Sorge ist, dass neue Technologien qualifizierte Jobs ersetzen: Computerprogramme etwa, die statt Rechtsanwälten Präzedenzfälle suchen, oder solche, die medizinische Diagnosen stellen und damit Ärzte überflüssig machen.

Ausgedient haben Akademiker gewiss nicht, aber der Zwang zur Spezialisierung steigt. Nach Lust und Laune inskribieren und dann schauen, wo man unterkommt, das spielt es immer seltener. Früher war das gang und gäbe, wie Sabine Putz vom AMS sagt: „Viele haben ein Studium begonnen und noch vor ihrem Abschluss eine qualifizierte Arbeit bekommen, weil die Konjunktur so gut war.“

Das mag es kaum mehr geben, aber im Vergleich zu den 250.000 Arbeitslosen, die maximal die Pflichtschule beendet haben, sind 27.000 arbeitslose Akademiker noch immer eine Kleinigkeit. Studieren scheint so wichtig zu sein wie nie zuvor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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