Österreichs Wirtschaft: EU packt die Alarmglocke wieder ein

EU-Präsident Juncker (r.) kann Kanzler Faymann wieder auf die Schulter klopfen.
EU-Präsident Juncker (r.) kann Kanzler Faymann wieder auf die Schulter klopfen.(c) APA/BKA/ANDY WENZEL
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Im Herbst vermutete Brüssel eine gefährliche Schieflage der heimischen Wirtschaft. Jetzt gibt es Entwarnung. Aber die „vertiefte Prüfung“ hat dennoch Schwächen aufgedeckt.

Wien. Die befürchtete Schieflage hat sich bei genauerem Hinsehen gerade gerückt – zumindest in den Augen von Experten der EU-Kommission, die Österreichs Wirtschaft unter die Lupe genommen haben. Im vorigen Herbst hatten die Alarmglocken nicht gerade geschrillt, aber gebimmelt. Dafür gab es zwei Anlässe. Der erste ist allgemein bekannt: das Risiko der heimischen Banken in Osteuropa, das mit dem Hypo-Debakel auf schlimme Weise schlagend geworden ist. Rating-Abstufungen taten ihr Übriges, um Brüssel in Sorge zu versetzen. Der zweite Anlass ist weniger präsent: Die heimische Exportwirtschaft verliert schon seit Jahren Marktanteile. In beiden Fällen gibt es Entwarnung. Die Kontrolleure halten die Banken nun für ausreichend robust. Und der Exportwirtschaft kommt zugute, dass sich ihre Hauptmärkte, Eurozone und Osteuropa, wirtschaftlich erholen.

Also alles gut? Keineswegs. EU-Kommissionsvertreter Marc Fähndrich beklagt den „beschränkten Fortschritt“ bei den Empfehlungen der vergangenen Jahre und zeigt sich „enttäuscht“ über die kargen Ergebnisse des jüngsten Pensionsgipfels. Vor allem aber decken die Ländervergleiche aus der Analyse doch deutliche Schwächen auf.

► Export. Der Rückgang der Exportmarktanteile hängt damit zusammen, mit wem wir Handel treiben. Der Osteuropa-Boom ist seit der Krise von 2008 gebremst, das Wachstum in der Eurozone anämisch. Viel mehr los ist, trotz der aktuellen Abschwächung in China, in den asiatischen Schwellenländern, wo Österreichs Wirtschaft weniger stark als etwa die deutsche Fuß gefasst hat. In den USA, dem drittwichtigsten Markt, sind die heimischen Exporteure in die Defensive geraten. Das bleibt eine strategische Achillesferse.

► Föderalismus. In Österreich hebt der Bund das Steuergeld ein, das Landeshauptmänner und Bürgermeister dann ausgeben. Nicht nur Brüssel hält diese Aufgabenteilung für „inkongruent und ineffizient“. Ideal wäre, wenn jede Gebietskörperschaft ihre Ausgaben durch eigene Steuern vor ihren Bürgern verantwortet. Nicht nur die Schweiz, auch die Mehrzahl der EU-Staaten hält sich viel stärker an diesen Rat. Bei den Deutschen und Schweden heben „subnationale Ebenen“ über 60 Prozent ihrer Einnahmen selbst ein, bei den Franzosen die Hälfte. In Österreich ist es hingegen nur ein Zehntel.

► Preiswettbewerb. Ein negativer Rekord: Keine Wettbewerbsbehörde in den EU ist so schwach mit finanziellen Mitteln und Personal ausgestattet wie die BWB in Österreich. Zudem sind gewerbliche Dienstleister wie Architekten, Rechtsanwälte oder Steuerberater nur im kleinen Luxemburg noch stärker reguliert als hierzulande. Das schafft Hürden für neue – und womöglich günstigere – Anbieter. Aufgefallen ist in Brüssel auch, dass es zu wenige öffentliche Ausschreibungen gibt: mit 2,3 Prozent des BIPs wenig mehr als die Hälfte des EU-Schnitts (4,4 Prozent). Das alles hat aus EU-Sicht eine Folge: zu hohe Preise. Dazu passt die Inflation: In der EU als Ganzes stagnierten im Vorjahr die Preise, in Österreich stiegen sie um 0,8 Prozent – eine Differenz, die Gift für die wirtschaftliche Entwicklung ist.

► Frauen auf dem Arbeitsmarkt. 47 Prozent der Frauen arbeiten nur Teilzeit. Dabei seien sie im Schnitt „besser qualifiziert“, kommentiert EU-Experten Fähndrich nüchtern: „Die Investition in ihre Bildung amortisiert sich also nicht.“ Es fehlen Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder: Von der Vereinbarung von Barcelona, Krippenplätze für ein Drittel aller Kinder unter zwei Jahren zu schaffen, ist Österreich mit 23 Prozent weit entfernt.

► Migranten auf dem Arbeitsmarkt. 76 Prozent aller „echten“ Österreicher haben eine Beschäftigung. Bei den Ausländern aus der EU sind es mit 74 % fast gleich viele, im Fall der Deutschen und Ungarn sogar mehr. Ganz anders bei Migranten von außerhalb der EU, wie Serben und Türken. In dieser Gruppe sind nur 61 % beschäftigt. Was auch die EU-Kommission besonders irritiert: Die zweite Generation, die bereits in Österreich geboren wurde, kommt mit 63 % auf eine kaum höhere Quote.

► Immobilien. Das dürfte manchen überraschen: In keinem anderen EU-Staat sind die Preise für Häuser und Wohnungen so stark gestiegen wie hierzulande. Über 30 Prozent betrug das Plus von 2008 bis 2014. In den meisten Ländern wurden Immobilien sogar billiger. Freilich: Zu den massiven Korrekturen in Spanien und Irland musste es kommen, da dort in der Krise Blasen platzten. In Österreich hingegen war das Ausgangsniveau niedrig. Deshalb – und wegen der relativ geringen Verschuldung der Käufer – sieht Brüssel im starken Preisanstieg kein gröberes Problem. Im Gegenteil: Er zwinge jetzt endlich zu mehr Bautätigkeit, was das Wachstum beleben sollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2016)

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