Arbeit: Soll Österreich Hartz IV einführen?

Immer mehr Arbeitslose sind schon über ein Jahr auf Jobsuche.
Immer mehr Arbeitslose sind schon über ein Jahr auf Jobsuche.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer forderten Ökonomen die Schaffung eines Niedriglohnsektors. Damit können Langzeitarbeitslose leichter einen Job finden.

Wien. Kaum eine Äußerung von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sorgte im Vorjahr für so viel Wirbel wie sein Hartz-IV-Sager. Laut Schelling sei es in Österreich schwer, Arbeitskräfte zu finden. Denn das Arbeitsloseneinkommen sei genauso hoch wie das Arbeitseinkommen. „In Deutschland gibt es mit Hartz IV ein Modell, das offenbar besser funktioniert.“ Die Sozialdemokraten, die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer zeigten sich über Schelling empört.

Damit war die Debatte schnell beendet. Substanzielle Arbeitsmarktreformen wurden in Österreich aber nicht durchgeführt. Mittlerweile ist in Deutschland die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Wert seit 1991 gesunken. In Österreich dagegen sind die Arbeitslosenzahlen auf einen neuen Rekordstand gestiegen.

Am Dienstag hat die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) das Thema wieder aufgegriffen. Die Interessenvertretung lud den früheren IHS-Chef Christian Keuschnigg und den deutschen Ökonomen Christoph M. Schmidt zu einer Diskussionsveranstaltung über den Arbeitsmarkt ein. Schmidt ist in Deutschland einer von fünf Wirtschaftsweisen. Diese haben den gesetzlichen Auftrag, sich wissenschaftlich mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands zu befassen.

Schmidt verteidigte in der Wirtschaftskammer die Hartz-IV-Reform. Damit sei es in Deutschland gelungen, die Zahl der Arbeitslosen von fünf Millionen auf unter drei Millionen zu senken. Im Rahmen von Hartz IV wurde die vorherige Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende zusammengelegt.

Damit erhalten vor allem Langzeitarbeitslose deutlich weniger Geld. Sie sind teilweise gezwungen, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Wer vom Einkommen nicht leben kann, wird als Hartz-IV-Aufstocker weiterhin unterstützt.

Die umstrittene Sozialreform führte in Deutschland zu einem Boom des Niedriglohnsektors. Tatsächlich wurden in Deutschland in den vergangenen Jahren viel mehr Arbeitsplätze geschaffen als in Österreich, wobei es sich nicht nur um schlecht bezahlte Jobs handelt.

Entlastung des Sozialstaates

Schmidt empfahl bei der Veranstaltung der Wirtschaftskammer, dass Österreich zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit die Einführung von ähnlichen Maßnahmen prüft. Laut AMS-Angaben ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen zuletzt deutlich gestiegen. Im Vorjahr gab es durchschnittlich 420.000 Arbeitslose. Davon war ein Drittel über ein Jahr auf Jobsuche.

Auch der frühere IHS-Chef Keuschnigg befürwortet angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Österreich die Schaffung eines Niedriglohnsektors. Ähnlich wie in Deutschland soll es für die Betroffenen eine soziale Absicherung geben, wenn sie für die Arbeit zu wenig Geld bekommen. „Jede Beschäftigung, auch wenn sie noch so klein ist, entlastet den Sozialstaat“, so Keuschnigg. In Österreich seien die Sozialausgaben im internationalen Vergleich besonders hoch.

Keuschnigg forderte die Wirtschaftskammer und die Gewerkschaften auf, sich auf die Schaffung eines Niedriglohnsektors zu einigen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass die Gewerkschaften hier mitmachen. Diese verlangen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit indes die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.

Eine weitere wichtige Herausforderung für den Arbeitsmarkt ist die Integration von Flüchtlingen. Um das Abrutschen in die Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern, sind Schulungen und Deutschkurse notwendig. Gleichzeitig können Flüchtlinge aber auch von einem Niedriglohnsektor profitieren. So empfahl zuletzt Wifo-Chef Karl Aiginger auf einer Pressekonferenz der Caritas, den heimischen Arbeitsmarkt für Minijobs zu öffnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2016)

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