"Der Fluch der Gier: Wer zu viel hat, kriegt nie genug"

Man sollte nicht länger als zehn bis 15 Jahre in einer Führungsposition sein, meint Helmut Pechlaner. Die Politik will er lieber Jüngeren überlassen.
Man sollte nicht länger als zehn bis 15 Jahre in einer Führungsposition sein, meint Helmut Pechlaner. Die Politik will er lieber Jüngeren überlassen.APA
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Helmut Pechlaner war als Zoodirektor in Schönbrunn ein "Liebling der Nation" und immer wieder für höchste Ämter im Gespräch. Politik ist für ihn eher eine Sache der Jungen.

Herr Pechlaner, Sie waren als Direktor des Tiergartens Schönbrunn und Gestalter von Fernsehsendungen sehr populär. Haben Sie keine neuen Pläne? Andere schwingen sich in höherem Alter noch zum Präsidentschaftswahlkampf auf...

Helmut Pechlaner: Eine solche Kandidatur habe ich schon vor zwanzig Jahren abgelehnt. Es ist für mich völlig unverständlich, dass Menschen sich im fortgeschrittenen Alter noch so wichtig nehmen und glauben, sie seien notwendig für die Gesellschaft.

Sollten also nur Jüngere Politik machen? Ist nicht auch die Erfahrung und Weisheit der Alten wertvoll?

Das ist doch großteils nur Routine. Die Weisheit lebt von der Höflichkeit der Jugend, das heißt davon, dass die Jungen den Alten nicht widersprechen. Die Alten sollen sehr wohl mitreden und beraten. Aber die Entscheidungen sollen sie denen überlassen, die sie dann auszubaden haben.

Sie wurden in jüngeren Jahren öfter gefragt, ob Sie politische Ämter übernehmen wollen, etwa als Umweltminister.

Ich war noch für viel mehr im Gespräch. Ich sollte Bundespräsident werden, Landwirtschaftsminister, Innsbrucker Bürgermeister, Landesrat in Tirol, Stadtrat in Wien...

Wieso haben Sie immer Nein gesagt?

Wir waren zu Hause acht Kinder. Mein Vater hat sich in unsere Entscheidungen nie eingemischt – egal, ob es um Beruf, Partnerwahl oder Religion ging. Nur um eines hat er uns dringend gebeten: die Finger von der Politik zu lassen. Als Politiker darf man nur eines nicht tun: die Wahrheit sagen. Gleichzeitig ist man immer der eigenen Partei ausgeliefert. Dafür bin ich viel zu sehr Individualist und ein grader Michel. Ich wär ein Antipolitiker.

Reden wir über ein paar aktuelle politische Themen. Zum Beispiel Steuern: Der Tiergarten bekommt jedes Jahr rund eine Million Euro geschenkt. Sind Sie für eine Erbschaft- und Schenkungssteuer?

Wenn ich einen Vortrag halte, zahle ich Steuer. Wenn mir jemand das gleiche Geld schenkt, zahle ich nichts. Also: Wenn ich ohne Leistung etwas erwerbe, ist es steuerfrei, wenn ich dafür etwas leiste, werde ich Länge mal Breite gemolken. Diese Logik ist mir nicht ganz zugänglich.

Sind Sie für die Registrierkassenpflicht?

Ja! In Wien hat man ja zumindest bis vor Kurzem sogar in sehr guten Restaurants mit bekannten Namen nur einen Papierabschnitt von einer Rechenmaschine bekommen. In Kroatien hab ich vor drei Jahren in der Altstadt von Trogir eine Tüte Eis gekauft. Natürlich hat man mir eine Rechnung gegeben. Weil ich im Südburgenland lebe, bin ich oft drüben in Szombathely auf dem Markt. Wenn ich dort Obst und Gemüse kaufe, gibt mir der Standler selbstverständlich eine Rechnung. Nur bei uns schafft man das nicht.

Was sagen Sie zu den extrem niedrigen und vielleicht bald sogar negativen Zinsen?

Das ist immer noch ein Geschäft im Vergleich zu früher. Wenn die Inflation früher überraschend auf sechs Prozent raufgegangen ist und ich hab drei Prozent Zinsen aufs Sparbuch bekommen, dann hab ich viel mehr verloren. Schon mein Vater hat gesagt: Die Inflation ist die Enteignung der Sparer.

Tiere schnuppern am Futter und lassen es liegen, wenn es verdorben ist. Menschen werfen alles weg, bei dem das Ablaufdatum überschritten ist. Jetzt gibt es Überlegungen, diesen Aufdruck abzuschaffen. Wären Sie dafür?

Selbstverständlich! Wenn man etwas auf die Packungen draufdrucken will, dann bitte nur das Datum, wann die Ware abgefüllt wurde. Die Perversion ist, dass sogar auf Mineralwasser und Hartwurst ein Ablaufdatum steht. Das „Mindestens haltbar bis“ lesen sehr viele so: Ab da muss ich es wegwerfen. Früher hat man Küchenabfälle abgekocht und verfüttert. Heute darf man die Reste auch in Luxusrestaurants, wo sie gerade noch das Feinste vom Feinen waren, nicht einmal mehr den Schweinen geben – das ist doch unfassbar! Wir werden zur Bequemlichkeit genötigt, weil keiner mehr selbstständig denken will. An allem muss jemand schuld sein, nur nie man selbst. Die Eigenverantwortlichkeit wird uns weggezüchtet.

Lässt sich das noch ändern?

Wer sich in Amerika eine heiße Tasse Kaffee aufs Knie schüttet und eine leichte Verbrennung hat, bekommt eine Million Schmerzensgeld. Wir wissen: Was sich in den USA durchsetzt, kommt in den nächsten zehn Jahren meist auch zu uns. Man sollte dagegen vielleicht bei der Judikatur ansetzen, also festschreiben, dass jeder eine Eigenverantwortung hat.

Von den Vögeln heißt es in der Bibel: Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber der himmlische Vater ernährt sie doch. Dann folgt die rhetorische Frage: „Seid ihr nicht viel besser als sie?“ Aber sind wir das im Umgang mit materiellen Gütern wirklich?

Der Übergang vom Tier zum Menschen war vor allem durch das Wachstum der Hirnrinde bedingt. Sie lässt uns erinnern, vorausschauen, planen. Wir sind das einzige Lebewesen, das weiß, dass es einmal sterben wird – schon als Kind. Dieses Bewusstsein macht den Menschen zu einem Angsttier. Wir fürchten uns vor allem. Davon lebt natürlich hervorragend die Versicherungswirtschaft. Und die Religion: Sie verkündet den Menschen etwas Tröstliches und lässt sich dafür bezahlen. Mit der Angst kommt ein Zweites, der Fluch der Menschheit: die Gier. Das potenziert sich gegenseitig: Vor lauter Angst, nicht genug zu bekommen, wird man gierig. Diejenigen, die zu viel haben, kriegen nie genug. Sie akzeptieren nicht, dass der Sarg keinen Dachträger hat. Auch wenn sie schon so viel besitzen, dass selbst ihre Urenkel das Geld nicht verprassen könnten: Sie müssen immer noch ein gutes Geschäft machen.

Sind Sie selbst dagegen immun?

Niemand ist immun. Aber wir können ja unseren Verstand zum Kalkulieren einsetzen. Wenn ich weiß: Ich habe eine Pension, damit komme ich aus, ich bin damit zufrieden – wozu muss ich da noch groß raffen und anhäufen?

Viele antworten darauf: Damit es meine Kinder einmal besser haben, als ich es hatte.

Das ist doch nur eine Ausrede für die eigene zwanghafte Handlung. Das Beste, was ich meinen Kindern geben kann, ist eine gute Ausbildung und die Chance, sich selbst zu verwirklichen. Jeder ist stolz auf das, was er sich selbst geschaffen hat. Natürlich ist er froh über ein wenig Starthilfe. Aber alles, was darüber hinausgeht, macht nicht glücklich.

Verdienen Topmanager zu viel?

Die Managergehälter gehören gedeckelt. Dass Firmen die Gehälter ab einer bestimmten Höhe nicht mehr von der Steuer absetzen können, ist eine sehr gute Regelung. Viele Gehälter sind in der Höhe nicht nachvollziehbar und nicht gerechtfertigt. Auch wenn der Betrieb noch so groß ist: Niemand kann mehr als 80 oder 100 Stunden in der Woche arbeiten. Da stimmen oft einfach die Relationen nicht mehr.

Den Topmanagern geht es ja meist nicht um das Geld an sich, sondern darum, dass sie nicht niedriger bewertet werden wollen als ihre Kollegen und Konkurrenten in anderen Firmen.

Wenn ich jemandem mit meinem Gehalt imponieren muss, dann steckt dahinter ein verkappter Minderwertigkeitskomplex. In der Tierwelt gibt es dieses Imponierverhalten nur in der Paarungszeit – beim röhrenden Hirsch, bei Pfau und Auerhahn, weil es die Weibchen so verlangen. Bei uns gibt es das ganzjährig, auch im Alltag. Das ist eine lächerliche Geltungssucht. Wer das braucht, ist für mich wirklich ein armer Hund.

Was können wir von der Tierwelt für die Organisation von Unternehmen lernen?

Der Mensch ist ein Kleingruppenwesen, so wie Wölfe, Pferde und bestimmte Primaten. Er braucht eine überschaubare Gruppe von acht bis zwölf Leuten – das funktioniert. Man weiß das von Sitzungen: Wenn mehr dabei sind, kommt nichts heraus außer viel Geschwafel. Eine Fußballmannschaft hat elf Spieler, im Neuen Testament gibt es zwölf Apostel: Das ist alles kein Zufall. Um diese Kleingruppe herum gibt es dann noch eine Sippe. In Summe hat der Mensch 150 bis 200 Leute, die er aktiv kennt, mit denen er sich beschäftigen und harmonisch arbeiten kann.

Ist der Manager eine Art Leitwolf?

Bei Wölfen hat jeder seine Funktion in der Hierarchie. Der Vize ist der Mann fürs Grobe, der Chef ist der Gütige. Wenn der Vize in die falsche Richtung geht, verwickelt ihn der Chef in eine Balgerei und gibt dabei spielerisch die neue Richtung vor. So hat der Vize vor dem Rudel nicht das Gesicht verloren. Und: Alle sind unauffällig miteinander in Kontakt, auch der Leitwolf. Das wäre auch gut fürs Management, da können wir durchaus etwas lernen. Zum Manager ist man auch geboren, den kann man nicht machen. Und ein guter Vize ist oft kein guter Chef. Ihn automatisch nachrücken zu lassen, ist sicher falsch. Übrigens: In der Hierarchie unten sein, ist nur aus menschlicher Sicht negativ. Tiere fühlen sich in dieser Position gut geschützt.

Sie haben bei Ihren Posten immer auf alleinige Führung bestanden. Warum?

Haben Sie schon einmal von einem Hirschrudel gehört, in dem es zwei Chefs gibt? Oder bei Löwen, bei Pferden? Aber wir sind überzeugt: Wir brauchen einen roten und einen schwarzen Vorstandsdirektor. Oder wie früher in der DDR: einen, der etwas von der Sache versteht, und einen anderen, der auf ihn aufpasst. Bei einer Alleingeschäftsführung wissen Sie als Eigentümer, wen Sie rausschmeißen, wenn es schiefgeht. Bei einer Zwangsehe zwischen zwei Managern wendet jeder der beiden die Hälfte der Zeit dafür auf, den anderen zu bespitzeln und aufzuschreiben, was der andere falsch gemacht hat, damit man am Tag X sagen kann: Der hat es gemacht, ich war es nicht. Trotzdem sucht unser Kulturminister jetzt wieder Zweitgeschäftsführer für die Nationalbibliothek, das Belvedere und das MAK.

Aber ist ein Vieraugenprinzip nicht wichtig für die Kontrolle in Unternehmen? Das fordert auch der Rechnungshof immer wieder.

Prokuristen, doppelte Unterschrift, Innenrevision, Kontrolle – das ist alles in Ordnung, das muss sich ein Topmanager auch gefallen lassen. Aber einer muss das letzte Wort haben. Sonst heißt es: Du willst das, ich will aber das. Dann wird nur noch gefeilscht, gemauschelt oder einander bekriegt. Das gibt es bei den Viechern nicht, das kann man von ihnen lernen. Das einzig Vernünftige ist eine Alleingeschäftsführung. Nie eine Doppelspitze, das ist gegen unsere natürlichen Anlagen, das ist völlig verrückt!

Sie waren in Ihrer aktiven Zeit in Schönbrunn erfolgreich und in der Öffentlichkeit sehr präsent. Wären Sie nicht gern noch länger Tiergarten-Chef geblieben?

Meine Nachfolgerin, Dagmar Schratter, macht das perfekt. Ich bin heilfroh, dass ich draußen bin. Man sollte maximal zehn bis 15 Jahre im selben Betrieb in der Führungsposition sein. Sonst lebt man nur noch von Routine und Respekt. Man hat dann sein Pulver verschossen. Es müssen dann neue Ideen her. Was die Schratter jetzt macht, das wäre mir bei Gott nicht eingefallen. Ich hätte halt so weitergemacht. Das wäre vielleicht nicht ganz schlecht gewesen. Aber die Sache wäre sehr verflacht.

Was würde wohl Ihr Vater dazu sagen, dass Sie als Tiroler im Burgenland enden?

Wenn man es sich im Leben verbessern kann, muss man es tun. Ich habe dort eine Lebensqualität, die es in Tirol nicht gibt. Die Ruhe, Abgeschiedenheit, ein eigenes Reich auf einem Dreikant-Arkaden-Bauernhof, den ich mir um ein Butterbrot gekauft habe. Und in der Nacht, wenn um zwölf die Straßenlaternen ausgehen, sehe ich die Sterne – so schön wie in Namibia!

Steckbrief

1946
wurde Helmut Pechlaner in Innsbruck geboren.

1966 bis 1972
studierte er an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

1972
begann er seine Tätigkeit im Alpenzoo in Innsbruck und wurde später dessen Direktor.

1992

übernahm er die Leitung des Tiergartens Schönbrunn.

2007

ging er in Pension, ist aber nach wie vor in Funktionen tätig, etwa als WWF-Österreich-Ehrenpräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2016)

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