Der Lehrer als sozialer Absteiger

Symbolbild: Lehrer.
Symbolbild: Lehrer.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wenn über Chancengerechtigkeit und Bildungsmobilität geredet wird, meint man immer die Schüler. Aber was ist mit den Lehrern? Sind auch sie sozial aufgestiegen? In Österreich nicht.

Lang hielt sich hartnäckig die Ansicht, dass wir in Österreich ein Problem mit der Bildungsmobilität haben. Dass Kinder nur selten einen höheren Bildungsgrad erreichen als ihre Eltern. Viele OECD-Studien legten dies in den vergangenen Jahren nahe. Für ein Industrieland seien die Chancen auf einen sozialen Aufstieg mau, hieß es.

Der Thinktank Agenda Austria räumte vor Kurzem mit diesem Trugschluss auf. Tatsächlich schaut es mit den Aufstiegschancen in Österreich gar nicht so schlecht aus. So kommen etwa 67 Prozent der Studenten aus einem Elternhaus ohne akademischen Abschluss. Nur in Malta, Italien und Rumänien schicken mehr Nichtakademiker ihren Nachwuchs an die Universität.

So weit, so gut. Wenn also Bildung und Karriere doch nicht „vererbt“, sondern erlernt und gelehrt werden, dann müssten wir doch auch unser Urteil über das Schulsystem und über die Lehrerinnen und Lehrer revidieren. „Die Lehrer machen einen sehr guten Job. Österreichs Schulen sind wesentlich besser als in den meisten europäischen Ländern“, konstatiert auch Studienautor Wolfgang Feller von Agenda Austria.


Lehrer aus bildungsfernen Schichten. Pädagogen tragen nicht nur dazu bei, dass ihren Schülern der soziale Aufstieg gelingt. Früher war der Lehrer selbst der Prototyp des Aufsteigers. Zu diesem Schluss kommt die deutsche Erziehungswissenschaftlerin Eva Treptow in ihrer Auswertung von Lehrerbiografien. An Volks- und Hauptschulen unterrichteten bis in die 1990er-Jahre überproportional viele Männer aus bildungsfernen Familien. Die Ausbildung war relativ kurz, das Gehalt relativ bescheiden, der gesellschaftliche Status aber hoch. So war es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich.

Mittlerweile hat sich die Situation völlig geändert. Heute ist der Lehrerberuf weiblich, besser bezahlt, genießt aber hierzulande viel weniger Anerkennung in der Gesellschaft.

Hängt es gar damit zusammen, dass der „Frauenberuf“ durch die „Macho-Brille“ nicht mehr als so attraktiv gesehen wird? Schwingt in der gesellschaftlichen Betrachtung unterschwellig Frauenfeindlichkeit mit? Feller glaubt das nicht. „Die Volksschullehrerin genießt noch immer ein höheres Ansehen als etwa der HTL-Lehrer“, sagt er. Er glaubt vielmehr, dass der Imageschaden zwei andere Ursachen hat. Zum einen sei er auf die „negative Propaganda der Gewerkschaft“ zurückzuführen. Diese habe die Lehrer so lang in eine gesellschaftliche Opferrolle gedrängt, bis sie diese tatsächlich eingenommen haben. Darüber hinaus hielten die Pädagogen an ihren Privilegien und ihrem Dienstrecht noch fest, als die gesellschaftliche Akzeptanz dafür nicht mehr vorhanden war, sagt Feller.


Lehrerinnen aus Oberschicht. Ab den 1970er-Jahren drängten immer mehr Frauen in den Lehrberuf. Sie kamen plötzlich im Gegensatz zu ihren älteren Kollegen nicht mehr aus bildungsfernen Elternhäusern, sondern mehrheitlich aus der Oberschicht. Und ihnen ging es bei der Berufswahl nicht mehr um einen sozialen Aufstieg, sondern vor allem darum, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Aber bis heute entscheidet der soziale Background darüber, in welchem Schultyp die Lehrerinnen und Lehrer unterrichten. Iris Schwarzenbacher vom Institut für Höhere Studien (IHS) wertete Ende vergangenen Jahres den sozialen Hintergrund von Lehramtsstudierenden aus und bezog sich auf Daten aus dem Jahr 2011. Demnach gehören 62 Prozent aller Lehramt-Studenten einer gehobenen Bildungsschicht an. Sie stammen aus einem Elternhaus, in dem Vater oder Mutter zumindest Matura, wenn nicht gar ein Studium absolviert haben. Hingegen haben nur etwas mehr als 50 Prozent der angehenden Volks- und Hauptschullehrer Eltern, die über eine Matura verfügen. Nur noch Sonderschul- und Religionslehrer stammen auch heute noch größtenteils aus einem eher bildungsfernen Elternhaus.

Der „Herr Lehrer“ hat sich vielerorts fast ganz aus dem Schulbetrieb verabschiedet. Immerhin: An der HTL und an Berufsschulen unterrichten noch mehr Männer als Frauen. Die Männerquote bei den Uni-Lehramtsstudien liegt bei 35,6 Prozent. Dramatisch wird es bei den Volksschullehrern. Da liegt die Männerquote mittlerweile bei gerade einmal 8,7 Prozent.

Übrigens: In den meisten europäischen Ländern unterrichten an Volksschulen mehr als 80 Prozent Frauen. Doch nicht überall. In Ländern wie Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen liegt der Frauenanteil deutlich darunter. Warum unterrichten dort mehr Männer an Grundschulen?

Am Gehalt könne es nicht liegen, sagt Wolfgang Feller und verweist darauf, dass Lehrer seit einigen Jahren in Österreich überdurchschnittlich gut verdienen. Auch an Volksschulen, aber vor allem am Gymnasium. „Wer heute Gymnasiallehrer wird, kann bis zu seiner Pensionierung mit einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 3800 bis 4000 Euro brutto rechnen“, sagt er.

In Finnland oder Norwegen verdienen Lehrer nicht besser. Allerdings genießen sie im Gegensatz zu ihren österreichischen Kollegen hohes Ansehen in der Gesellschaft. Sozialer Aufstieg hat nämlich nicht nur mit familiärem Background und Verdienst zu tun, sondern auch mit Anerkennung.

Lehrer

Das Elternhaus. Es ist nicht nur für Schüler, sondern auch für Lehrer von großer Bedeutung: 29,5 Prozent der Lehramtsstudenten an der Universität kommen aus einem Akademikerhaus. 20 Prozent der Volksschullehrer haben einen Elternteil mit abgeschlossenem Studium.

Das Geschlecht. Der Frauenanteil bei Lehramtsstudien an Universitäten liegt bei 64,4 Prozent, in der Volksschulausbildung hingegen bei
91,3 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2016)

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