Wolfgang Eder: "Wir erleben das Ende eines Systems"

Voestalpine CEO Eder addresses a news conference in Vienna
Voestalpine CEO Eder addresses a news conference in ViennaREUTERS
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Österreich habe ein System kultiviert, an das sich das Land zu lang geklammert habe. Dieses System des Verwaltens und Machterhalts stehe vor dem Ende, sagt Voestalpine-Generaldirektor Wolfgang Eder.

Heuer geht die größte Einzelinvestition der Voestalpine in den USA, die Direktreduktionsanlage in Corpus Christi in Texas, mit einer Investitionssumme von mehr als einer halben Milliarde Euro in Betrieb. Ist zeitlich und finanziell alles im Plan?

Wolfgang Eder: Die Produktion startet im Lauf des Sommers, bis Dezember könnten wir in Vollbetrieb sein. Bei den Kosten gibt es – abgesehen von kleineren Zusatzinvestitionen – inflationsbedingte Steigerungen. Wichtig ist, dass die Internal Rate of Return von zwölf Prozent gut abgesichert ist. Sie könnte im aktuellen Aufschwung sogar noch besser werden.

Fühlen Sie sich angesichts der veränderten politischen Verhältnisse bestätigt, in den USA die Investition getätigt zu haben?

Faktum ist, dass die wesentlichen Voraussetzungen dort halten werden. Und zwar egal, wer in den USA Präsident wird. Wir können davon ausgehen, dass die Rahmenbedingungen langfristig eine wirtschaftlich attraktive Produktion gewährleisten. In Europa dagegen fehlt der politische Wille, die Industrie als Rückgrat der Wirtschaft zu halten.

Hat ein Standort wie Linz in 30 Jahren noch eine Chance?

Das ist die Gretchenfrage in der Diskussion über unsere Österreich-Standorte. Wir werden für die Entscheidung darüber sicher noch zwei bis drei Jahre brauchen. Wir bauen ja Anlagen, die 50 Jahre in Betrieb sein sollen. Man möge das nicht als Drohung verstehen, aber von den zwei Quadratkilometern in Corpus Christi nutzen wir derzeit nur 25 Prozent. Das wäre eine Reserve, wenn es in Europa nicht mehr weitergeht.

Wäre das dann der Abschied des Kerns der Voestalpine?

Das will ich mir so gar nicht vorstellen. Die Frage ist, ob sich der aktuelle industriekritische Denkansatz wieder dreht. Allein von unseren österreichischen Standorten hängt das wirtschaftliche Fortkommen von rund 200.000 Menschen ab. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass dies künftig wieder mehr geschätzt wird. Aber derzeit investiert die Industrie in Österreich aufgrund der Rahmenbedingungen weniger, als die Abschreibungen ausmachen. Das ist ein schleichender Abschied.

Fühlen Sie sich in den USA geschätzt und in Europa gegängelt?

Als Manager ist man immer auch ein Mensch. Und wenn Barack Obama die Voestalpine im Fernsehen öffentlich willkommen heißt, ist das ein Signal, eine Wertschätzung, die in Europa undenkbar ist.

Der US-Wirtschaftsminister hat Sie zum Dinner eingeladen.

Stimmt. Ich war perplex, als ich den Brief bekam, und dachte zunächst an einen Scherz. Bei allem Bemühen ist in den USA dennoch nicht alles eitel Wonne, etwa, was die Qualifikation der Mitarbeiter betrifft. Da müssen wir auch einiges dazutun. Aber wenn wir sagen, was wir brauchen, werden wir sehr flexibel unterstützt.

Wann wurden Sie zuletzt von einem österreichischen Regierungsmitglied zu einem Gespräch eingeladen?

Vor rund zwei Monaten, da ging es unter anderem um Forschung und Forschungsförderung, die noch unter der Regierung Schüssel in die richtigen Bahnen gelenkt und seither konstruktiv weiterentwickelt wurde.

Warum äußert sich das nicht im Wirtschaftswachstum?

Weil es einige Jahre dauert, ehe Forschungsergebnisse in Unternehmen umsatz- und ergebniswirksam werden. Um beim Positiven zu bleiben, dazu gehört auch die Initiative von Wirtschaftsminister Mitterlehner, sich zweimal pro Jahr mit Vorstandschefs zu treffen. Es gibt da so etwas wie eine Bewusstseinsbildung in Richtung Attraktivierung des Wirtschaftsstandortes. Allerdings ist bei der Regierung insgesamt noch viel Potenzial nach oben.

Und wo sehen Sie die kritischen Punkte?

Letztlich zählen die Fakten. Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, Rekordstaatsschulden, eine noch nie da gewesene Steuerquote und überbordende Bürokratie, den stärksten Anstieg der Lohnstückkosten der westeuropäischen Industriestaaten seit dem Jahr 2000. Und besonders schlimm ist, dass wir seit 2009 sinkende Realeinkommen haben. Die Menschen können sich immer weniger leisten, weil der Staat immer mehr braucht. Stünde ein Unternehmen so da . . .

. . . brauchte es einen neuen Vorstand?

Wahrscheinlich nicht nur das.

Sie waren eine von 66 Persönlichkeiten, die bei unserer Aktion „Aufbruch“ ihre Meinung zur Lage des Landes kundgetan haben. Sind wir noch reformierbar?

Wir erleben in Österreich das Ende eines Systems, an das sich die Menschen viel zu lang geklammert haben. Die Sozialpartner, die sich historische Verdienste erworben haben, sind zu Hütern überkommener Strukturen geworden. Niemand sollte über die aktuellen Entwicklungen überrascht sein. Die Menschen spüren, wenn etwas aus dem Lot läuft. Es reicht einfach nicht, Jahr um Jahr nur zu verwalten und Macht zu horten.

Die Bürger sind weiter als die Politiker?

Sie werden unterschätzt. Ich ärgere mich, wenn uns Vertretern der Industrie vorgeworfen wird, wir würden alles schlechtreden. Schöngeredet wurde in den vergangenen Jahren genug. Es braucht Wahrheit, Offenheit und Führung, um unseren jungen Menschen eine Zukunft zu verschaffen.

Trauen Sie Faymann und Mitterlehner zu, die Probleme zu lösen?

Das müssen andere beurteilen.

Wie geht es Ihnen persönlich mit dieser Situation?

Ich will nicht pathetisch werden. Aber mir geht es vor allem um die Zukunft der Jugend in unserem Land. Es ist viel Substanz verloren gegangen. Wirtschaftlich, aber auch intellektuell. Wir diskutieren 25 Jahre über Bildung, aber de facto geht es nur um die Machtverteilung.

Sie haben die Sozialpartner angesprochen. Was haben sie falsch gemacht?

Sie müssen endlich ihre Rolle neu definieren. Weg vom innerösterreichischen Nachkriegsverständnis, hin zur Frage der Positionierung unseres Landes in der Welt der Globalisierung und Digitalisierung.

Kann es Österreich schaffen?

Wir werden es. Wer hätte 1985 gedacht, dass eine Voestalpine wirklich Zukunft hat. Österreich hat gute Voraussetzungen, wenn man Kompetenz und Glaubwürdigkeit vor das triviale Organisieren von Macht stellt.

AUF EINEN BLICK

Das Gespräch führten Vertreter von Bundesländerzeitungen und „Presse“. Mit Voest-Generaldirektor Wolfgang Eder sprachen Andreas Koller („Salzburger Nachrichten“), Hubert Patterer („Kleine Zeitung“), Gerold Riedmann („Vorarlberger Nachrichten“), Alois Vahrner („Tiroler Tageszeitung“), Gerald Mandlbauer sowie Dietmar Mascher („OÖ Nachrichten“) und Gerhard Hofer („Die Presse“).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2016)

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