25 Jahre ATX: Die wilde Jugend eines Index

Wiener Börse. Vor einem Vierteljahrhundert ging der österreichische Leitindex an die Öffentlichkeit. Was es für Aktionäre zu jubeln und beklagen gegeben hat, welche Rendite er auf lange Frist liefert und warum er für Fondsmanager unverzichtbar ist.

Wien. Ein guter Tag endet mit einem höheren Schlusskurs. „Der ATX hat heute leicht zugelegt“, „sich kaum bewegt“ oder „deutlich ins Minus gedreht“: Solche Meldungen sind längst Fixpunkt unseres Feierabends geworden. So sehr, dass die Jüngsten der Illusion erliegen mögen, den Leitindex der Wiener Börse gäbe es schon ewig. Aber nein, er feiert selbst erst seinen 25. Geburtstag: Am 13. Mai 1991 ging er erstmals an die Öffentlichkeit. Heimische Zeitungen meldeten von nun an täglich die neuartige Fieberkurve vom Börsenparkett. Berechnet wurde sie schon seit Beginn desselben Jahres. Damals hatten die 17 Werte, die der ATX anfangs umfasste, fast exakt eine Marktkapitalisierung von hundert Milliarden Schilling – was es nahelegte, ihn mit einem Startwert von 1000 Punkten zu lancieren.

Für sein junges Alter hat der Eliteverein der heute 20 größten börsenotierten Unternehmen des Landes schon erstaunlich viel erlebt: die Goldgräberstimmung während der Ostexpansion, als die Kurse in den Himmel gestiegen sind, die harte Landung in der Finanzkrise, als sie ins Bodenlose fielen, und schließlich die nervösen Ausschläge in den Schicksalsjahren des Euro. Nur eine Art von Krise beschäftigt die Händler seltsamerweise heute ebenso wie zu Beginn der ATX-Geschichte: eine Rezession in Russland.

Terminbörse als Anstoß

Warum aber überhaupt eine neue Benchmark? Der Wiener Börsenkammer-Index existierte ja schon seit 1967. Aber dieser WBI umfasste sämtliche gelisteten Titel, darunter viele kleine und nicht gehandelte Werte. Der ATX war da „ein Meilenstein“, rühmt Peter Brezinschek, Research-Leiter bei der Raiffeisen Bank International. Denn er „ermöglichte erst die Terminbörse“, die im Sommer 1991 startete.

Um mit ihren oft recht starren Portfolios auf Marktschwankungen reagieren zu können, sichern sie sich über Indexkontrakte ab – und diese benötigen einen repräsentativen Index mit wirklich liquiden Werten.

So kam es zum ATX. Immerhin vier Unternehmen blieben ihm über all die Jahre erhalten: OMV, Verbund, Wienerberger und – damals noch als Radex-Heraklith – die RHI. Die Schwergewichte heute sind die Erste Group, OMV, Andritz und Voestalpine. Sie haben gemeinsam schon über 50 Prozent Gewicht.

Hauptkriterium für die Aufnahme in den ATX ist nicht der gesamte Börsenwert, sondern der Streubesitz. Eine Rolle spielt auch, wie eifrig er gehandelt wird, also ob er zu relevanten Umsätzen führt.

Blue Chips der frühen Jahre waren Generali, Universale und die Creditanstalt. Firmen kamen und gingen: AUA, Jungbunzlauer, Constantia, Libro, Head und Wolford – verkauft, gespalten, gescheitert oder von Großaktionären von der Börse genommen. Neue stießen dazu. So bildet der Eliteindex auch ein spannendes Stück österreichischer Wirtschaftsgeschichte ab.

Der Lohn der Treue

Richtig reich konnte werden, wer in den „Jahren der Übertreibung“, von 2003 bis 2007, auf ihn setzte. Damals jagte die Ostfantasie, der Glaube an unbegrenzte Expansion in den früheren kommunistischen Planwirtschaften, den Index in ungeahnte Höhen: von 1000 auf fast 5000 Punkte. In dieser Phase, erinnert sich Brezinschek, war auch die Liquidität „sehr hoch“ und der Wiener Marktplatz „in ausländischer Hand“.

Viel Geld verlor, wer zu spät einstieg und miterleben musste, wie der ATX bis 2009 auf 1400 Punkte absackte. Seitdem hat er sich in mehreren Anläufen wieder erholt und pendelt nun um die 2500 Punkte. Eine Achterbahnfahrt für Menschen mit eisernen Nerven?

Der nüchterne Blick zeigt: Wer dem ATX von Anfang an treu geblieben ist, also über ein Vierteljahrhundert in österreichische Aktien gemäß ihrer Gewichtung investiert war, hat auf diese Weise eine sehr brauchbare mittlere Jahresperformance von 3,6 Prozent erzielt. Das ist aber noch nicht alles. Denn wie die meisten Indizes (aber anders als der DAX) ist der ATX als reiner Preisindex konzipiert, enthält also keine Dividenden. Rechnet man die Ausschüttungen hinzu, liegt die mittlere Rendite per anno schon bei stattlichen 5,8 Prozent.

Maß der Dinge für Anleger

Um derartige Richtwerte vorzugeben, sind Indizes in der Finanzbranche unverzichtbar. „Ich brauche eine Benchmark, um den Erfolg eines Fondsmanagers messbar zu machen“, erklärt Monika Rosen, Chefanalystin bei Bank Austria Private Banking.

Für alle Fonds mit Österreich-Bezug ist das der ATX. Die Anlageprofis trachten dann danach, eine bessere Performance als der Index zu schaffen, etwa indem sie zusätzlich auf Werte setzen, die in ihm nicht enthalten oder schwach gewichtet sind.

Freilich: In Jahren mit steigenden Kursen schaffen das die Wenigsten. Was zum Boom der ETFs geführt hat, jener passiven Fonds, die einen Aktienindex eins zu eins nachbilden. Die fünf Exchange Traded Funds auf den ATX haben mittlerweile ein Gesamtvolumen von fast 400 Mio. Euro erreicht. Das macht den Streubesitz eines ATX-Mitglieds liquider. Schon deshalb ist es für ein börsenotiertes Unternehmen wichtig, in der Gruppe der Großen vertreten zu sein.

Aber Rosen gibt zu bedenken: „Wenn es eine längere Phase der Korrektur gibt, schlägt die Stunde der Alpha-Fondsmanager“, die es dann gut schaffen, den Index zu schlagen – teils durch geschickte Absicherungen, teils einfach durch den Cash-Anteil, den sie halten dürfen.

So ist der ATX ein wichtiges Werkzeug der Orientierung für Anleger geworden. Eines aber kann er nicht sein: ein repräsentatives Abbild der kleinen österreichischen Volkswirtschaft. Dazu sind in ihm Finanztitel und Immobilien mit mittlerweile 46 Prozent zu stark gewichtet. Freilich: Eine wirklich umfassende Abbildung von Branchen bietet nur der S&P500 für die USA.

International ist die Wiener Börse geblieben, vor allem durch institutionelle Investoren aus den USA und Großbritannien. Nur ist es ruhiger um sie geworden, und vom früheren Hoch ist der Leitindex noch weit entfernt.

Man kann es aber auch positiv sehen: Dieser Markt hat Potenzial. Heimische Banken entwickeln sich seit vorigem Jahr besser als die europäische Konkurrenz. „Auch die gute Entwicklung in Osteuropa bringt den ATX wieder in den Fokus“, gibt Brezinschek zu bedenken. Wichtig wären aber Neuzugänge, die ihn auf eine breitere Basis stellen: mehr Industrie, Technologie, Konsumgüter.

Voraussetzung dafür ist, dass sich „die Einstellung von Öffentlichkeit und Politik gegenüber Aktien“ verbessert, damit „private Champions den Gang auf die Börse nicht mehr scheuen“. Dann sollte es auch keinen Grund mehr geben, mit Wehmut auf die wilden Jugendjahre zurückzublicken – weil der ATX seine besten Zeiten noch vor sich hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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