Tischlern für den Zeitgeist

Martin Aigner (l.) und Moritz Schaufler müssen ihre Möbel nicht unbedingt aus althergebrachten Materialien bauen. Ihre Kunden schätzen das.
Martin Aigner (l.) und Moritz Schaufler müssen ihre Möbel nicht unbedingt aus althergebrachten Materialien bauen. Ihre Kunden schätzen das.Die Presse/Clemens Fabry
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Drei Männer gründeten eine Tischlerei – und vereinten sie mit einem Büro für Raumgestaltung. Ein Betrieb als Antwort auf den stark wachsenden Do-it-yourself-Markt bei Möbeln.

Abende im Wiener Musikclub Flex können an einer Würstelbude auf dem Schwedenplatz enden. Oder mit der Gründung einer Tischlerei. Martin Aigner und Benjamin Sodemann entschieden sich für Letzteres.

Aigner und Sodemann waren damals selbstständig. Beide hatten einen Designhintergrund: Aigner hatte Innenarchitektur an der St. Pöltner New Design University studiert, Sodemann Design in Münster. Sie kannten sich von der Arbeit in der Szene, hatten sich allerdings aus den Augen verloren. An jenem Abend im Flex stolperten sie sich quasi schicksalhaft wieder in die Arme. „Benjamin hat gesagt: ,Hey, ich hab' ein Atelier!‘ Und ich: ,Hey, ich suche eines!‘“, erzählt Aigner von der Begegnung. Daraus entwuchs „Handgedacht – Büro und Tischlerei für gestalterische Vielfalt“, wenn auch langsam: Im schlussendlich gemeinsam genutzten Atelier in der Grünentorgasse, das bis heute besteht, arbeiteten Aigner und Sodemann noch parallel, Aigner als Innenarchitekt, Sodemann als Möbelmacher. Die Idee entstand, die Bereiche zu verbinden. Den Dritten im „Handgedacht“-Bunde lernten die beiden schließlich ebenso zufällig kennen. Moritz Schaufler war in der Tischlerei eingemietet, in der die Werkstatt des Trios seither beheimatet ist, am Gürtel im achten Wiener Gemeindebezirk. „Wir hatten alle drei Lust darauf, unsere Kompetenzen zusammenzulegen. Was sich sehr gut trifft, ist, dass wir alle als Kernkompetenz das Handwerk haben“, sagt Aigner. Immerhin sind alle drei gelernte Tischler, Aigner und Schaufler Tischlermeister. Aber: „Jeder hat eine andere gestalterische Ausbildung. Das macht unsere Vielseitigkeit aus.“ Denn auch Schaufler studierte Produktdesign – in Aachen.


Malaise des klassischen Tischlers. Mit „Handgedacht“ bieten sie nämlich ein Büro, das Design, Planung, Ausführung, Produktion und Montage von Möbeln beziehungsweise Räumen leisten kann. Alles gut gefächert in verschiedene Kategorien, damit für die potenzielle Kundschaft mit unterschiedlicher Geldbeutelgröße etwas dabei ist. Das sei nämlich die Malaise der klassischen Tischlerbetriebe, meinen Aigner und Schaufler – keine Flexibilität. Sowie der Nachteil, dass Einrichtungsgegenstände recht einfach auch selbst zu bauen seien. Wer jederzeit relativ gut designte Möbel im schwedischen Möbelhaus zu geringsten Preisen holen und dann selbst – glaubt man dem Grundgedanken – kinderleicht zusammenbauen kann, wird wohl nicht zum Tischler gehen. Auch weil er meist nur Entwürfe umsetze und der geneigte Möbelkäufer vielleicht keine Ideen hierfür hat. Dem versucht sich „Handgedacht“ entgegenzustellen. „Unsere Konzepte haben wir schon dem Zeitgeist entsprechend entwickelt. Wir rücken die Mischung aus Design und Handwerk in den Vordergrund“, sagt Aigner.

„Konzepte“ klingt ebenfalls wenig nach Tischler und Handarbeit, sondern mehr nach Meetings und Business – der Name „Handgedacht“ passt richtig gut zu dem, was Aigner, Schaufler und Sodemann anbieten wollen. „Patchwork“ nennen sie etwa eines eben jener Konzepte: „Dabei nutzen wir die vorhandenen Ressourcen des Auftraggebers“, erklärt Aigner. „Ich sage bewusst nicht Upcycling. Wir schauen eher: Ist die Ressource Zeit? Ist es Geld? Sind es alte Möbel? Welche Aufgaben kann der Kunde übernehmen?“

Auf diese Art bauten „Handgedacht“ etwa eine Küche für einen Kunden. Der Masterplan, die Skizze, kam von ihnen, den Hauptteil der Küche kaufte der Kunde auf dem Onlinemarktplatz willhaben.at ein, baute sie ab und bei sich zu Hause wieder auf – „Handgedacht“ positionierte die Küche dann neu und baute in den entstandenen Lücken dann selbst Möbel dazu. „Das ist ein sehr schönes Zusammenspiel aus den Möglichkeiten, die der Kunde hat, und unseren Fähigkeiten“, sagt Aigner, Preisprobleme gebe es so auch nicht. „Was wir aber trotzdem nicht wollen, ist, dass der Kunde dann bei uns in der Werkstatt steht und selbst Material zuschneidet.“

Das Lieblingskonzept der drei ist allerdings jenes mit dem kompliziertesten Namen: „organisch-prozessorientiert“ sagen sie dazu. In Wirklichkeit wird dabei mit dem Auftraggeber besprochen, was er ungefähr gern hätte – dann wird dem Team freie Hand gelassen. Mit Material und Maschinen reisen „Handgedacht“ dann an, drehen die Musik laut auf – und bauen einfach vor Ort und vertrauen dabei ihrem gestalterischen Gefühl für den Platz. So entstand etwa der Schanigarten der „R&Bar“ (gesprochen: Rundbar) in Wien-Neubau, laut Aigner „der schönste der Stadt“. Da dabei klarerweise draußen gebaut wurde, hatten die drei anfangs Angst vor Lärmbeschwerden. Diese kamen dann auch tatsächlich – aber nur, weil die Musik, die das Trio beim Arbeiten hörte, zu laut eingestellt war. „Von der Arbeit selbst waren die Anrainer aber angetan“, meint Aigner, „da sind viele stehen geblieben und haben gesagt: ,Hier riecht es so gut nach Holz!‘“

Der „Handgedacht“-Stil läuft dabei, auch unklassisch für einen Großteil der Tischlereien, nicht über die Oberflächen. Gebaut wird hier am liebsten mit Materialien, an die beim Möbelzimmern selten gedacht wird. Türen können etwa aus Doka-Schalungen entstehen.

Zukünftig. Dass „Handgedacht“ neben einer Geschäftsidee auch ein junges Unternehmenskonzept darstellt, ist seinen Eigentümern vordergründig vielleicht nicht so wichtig. „Damals bei der Gründung war es einfach auch ein Faktor, dass wir Projekte hatten, die wir selbst nicht stemmen konnten“, gibt sich Schaufler pragmatisch. Die Frage nach einer wirtschaftlichen Philosophie des Betriebs können er und Aigner beinah nicht beantworten, auch wenn Schaufler zugibt: „Der Gedanke, ein klassisches Unternehmertum anzustreben, bereitet uns schon Schwierigkeiten.“

Doch selbst die Wirtschaftsagentur Wien zeigt „Handgedacht“ mittlerweile als urbanes, junges Kreativunternehmen her, das die Ressourcen der Stadt, ihre kreative sowie unternehmerische Infrastruktur nutzt und dabei genau das anbietet, was eine neue Konsumentengeneration sucht. Nicht betont öko, aber mit Selbstverständlichkeit nachhaltig, nicht den Kunden bevormundend, sondern ihn als Ressource – was Ideen, Material, Können betrifft – in den kreativen Prozess miteinbeziehend. Der Kunde hat im Gegenzug Vertrauen in das Handwerk des Anbieters – und Verständnis dafür, wenn er beim Montieren des Bestellten die Musik zu laut aufdreht.

Raumgestalt

Büro und Tischlerei.„Handgedacht“, gegründet vor einem Jahr, ist ein Wiener Möbelbaubetrieb, der neben dem tatsächlichen Möbelbau auch Raumkonzepte entwirft. Möglich wird das durch die Mischung der Ausbildungen der „Handgedacht“-Betreiber: Sie sind nicht nur Tischler, sondern können alle auch Qualifikationen im Designbereich vorweisen.

Konzepte. Vier Modelle bieten „Handgedacht“ an: Sie heißen Idea, Classic, Patchwork – und organisch-prozessorientiert; richtig klassisch ist aber selbst Classic nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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