Budget: Fiskalrat warnt vor zu hohen Fehlbeträgen

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Felderer (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die EU-Vorgabe für das strukturelle Defizit wird zweimal „erheblich verfehlt“. Fiskalrats-Präsident Felderer hält wenig von Kanzler Kerns Investitionsoffensive.

Wien. Grund zum Feiern gab es nur kurz: Der Staat erzielte im Vorjahr zur Überraschung aller ein strukturelles Nulldefizit. Das heißt: Rechnet man Schwankungen der Konjunktur heraus, bilanzierte die öffentliche Hand ausgeglichen. Das verdankte sie freilich vor allem unerwartet starken Vorzieheffekten der Steuerreform (in Summe eine Mrd. Euro). Heuer und nächstes Jahr ist es mit dem Schulterklopfen vorbei: Die Defizite steigen kräftig an. Auch strukturell: Eineinhalb Prozent der Wirtschaftsleistung ist deutlich mehr, als Brüssel toleriert – und eine „erhebliche Abweichung“.

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Der Befund des Fiskalrats ist deshalb brisant, weil er von den Plänen des Finanzministeriums abweicht. Dort erwartet man nur rund ein Prozent. Das liegt zwar auch über der Schranke des Stabilitätspakts (0,45 Prozent), aber gerade noch innerhalb einer Toleranzgrenze, um eine Rüge aus Brüssel zu vermeiden. Ein wenig schöngerechnet wurde offenbar an vielen Ecken und Enden. Aber auch die Schätzung der Wächter über die Staatsfinanzen liegt nicht auf der sicheren Seite: Für das Wirtschaftswachstum stützen sie sich auf die Wifo-Prognose von 1,6 Prozent – der Internationale Währungsfonds erwartet aktuell aber 1,2 Prozent. Einmal mehr zweifeln sie stark am Erfolg der Betrugsbekämpfung, mit der die Regierung jährlich zwei Mrd. Euro zur Gegenfinanzierung der Steuerreform auftreiben will. Aber weil es nun mal „im Gesetz steht“, rechnen sie den Betrag zähneknirschend ein. Weitere Details und Themen:


• Kapitalertragsteuer: Von der KESt-Erhöhung für Erträge aus Wertpapieren erwartet sich der Finanzminister laut Fiskalrat zu viel – um je 700 Mio. Euro für heuer und 2017. Das liege nicht nur an den Vorzieheffekten. Bernhard Felderer, Präsident des Fiskalrates, weiß aus langer Erfahrung: Eine Steuererhöhung bringt nie so viel, wie es auf dem Papier den Anschein hat. „Oft führt sie sogar zu weniger Einnahmen.“ Der Grund: Die Bürger weichen der Besteuerung aus – etwa indem sie das Kapital im Ausland anlegen.


• Flüchtlingskosten: Dass die Regierung die EU-Vorgaben nicht erfüllt, liegt kaum an den Ausgaben für Flüchtlinge. Diese rechnet Brüssel als „außergewöhnliche Belastung“ an, solange sie nur „vorübergehend“ anfallen. Dass die Kosten heuer von 0,8 auf zwei Mrd. Euro steigen, liegt auch daran, dass viele im Vorjahr angekommene Asylwerber heuer einen positiven Bescheid erhalten und damit in die Mindestsicherung fallen. Dort bleiben sie, solang sie arbeitslos sind. Deshalb sieht auch der Fiskalrat eine rasche Integration in den Arbeitsmarkt als oberste Priorität. Aber Felderer fragt sich auch, ob die Anreize zur Arbeit ausreichen – angesichts der niedrigen Löhne, mit denen Migranten rechnen müssen, und der vergleichsweise hohen Mindestsicherung.


• Investitionen: Auch in einem anderen Punkt zeigt sich die EU großzügig: Durch die flexibleren Fiskalregeln ist es möglich, sich staatliche Investitionen anrechnen zu lassen, sofern plausibel ist, dass sie das Potenzialwachstum erhöhen. Felderer denkt dabei vor allem an die Bildung, nicht an die Infrastruktur. Was dort investiert wird, sei schon „durchaus stattlich“. Würde man etwa den Schienenausbau noch mehr forcieren, wären die wenigen heimischen Hersteller überfordert. Entweder müsste man dann im Ausland bestellen, was ein schlechter Deal für die Volkswirtschaft wäre. Oder die Preise würden steigen, womit die Investition den Staat und den Steuerzahler zu teuer käme.

Viel wichtiger ist für den früheren IHS-Chef, dass die privaten Investitionen anziehen, die 85 bis 90 Prozent der Summe ausmachen. Aber sie mit staatlicher Unterstützung anzufeuern, hält er auch nicht für sinnvoll – eine leise Kritik an den New-Deal-Plänen des neuen Kanzlers Kern. Warum gingen die Investitionen zurück? Weil die Firmen von den Bocksprüngen in der Steuerpolitik verunsichert wurden. Felderer erinnert an die „völlige Erodierung“ des Stiftungsrechts. Und fragt sich: „War es schlau, eine Steuerreform zu machen, die genau die schlechter stellt, die investieren sollen?“


• Ungleichheit: Alle steuerlichen Maßnahmen erfolgten mit dem Ziel, von reich zu arm umzuverteilen. Aber der Ökonom sieht eine „bessere Methode“: Die ungleiche Verteilung von Einkommen rühre zum größten Teil nicht von Erträgen aus ungleich verteiltem Kapital, sondern aus Spreizungen bei Lohneinkommen – „und sie korrespondieren sehr eng mit der Bildung“. Vorbild sollte Schweden sein, das seit 60 Jahren massiv ins Schulsystem investieren. „Damit haben sie beides erreicht: weniger Ungleichheit und mehr Wachstum.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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