200 Jahre OeNB: Geprägt von Krieg, Inflation und Privilegien

(c) Bloomberg (Akos Stiller)
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Die Nationalbank hat die Österreicher durch vier Staaten und acht Währungen begleitet, durch Triumphe und Niederlagen. Aber vor allem hat sie eines erreicht: Sie ist nach 200 Jahren immer noch da.

Sicher ist sicher, haben sich die Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank EZB wohl gedacht, als sie im April 2012 auf die medialen Barrikaden gestiegen sind – und lauthals den Schutz ihrer Gehälter vor der Inflation gefordert haben. „Unglücklicherweise sind die Pensionen der EZB-Beschäftigten nicht gegen Inflation geschützt“, sagte Carlos Bowles, ein Sprecher der EZB-Personalvertretung, damals der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Die Logik der Belegschaft war wasserdicht: Man verstehe nicht, warum die EZB sich weigere, die Gehälter der eigenen Mitarbeiter gegen die Inflation abzusichern – wenn doch die EZB selbst die Kontrolle der Inflation garantiert. Denn tatsächlich ist die „Wahrung der Preisstabilität“ die allerwichtigste Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Was die EZB-Mitarbeiter nicht wissen konnten: Sie waren beileibe nicht die Ersten mit diesem Problem.

Schon im Jahr 1873 wandte sich die Mitarbeiterin Maria Hainy gemeinsam mit vier anderen sogenannten „Hausweibern“ an die Führung der damaligen „National-Bank“ in Wien. Ihr Ziel: „Bei der enormen Theuerung der Wohnungsmiethe und Lebensmittel, eine hochlöbliche Bankdirektion kniefälligst um Aufbesserung ihres Taggeldes von täglichen 52 1/2 Kreuzern zu bitten.“ Anders als ihre Kollegen knapp 150 Jahre später sah Frau Hainy aber davon ab, die National-Bank vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen – auch weil es einen solchen damals noch nicht gab. Sie sollte trotzdem erfolgreich bleiben. Ihr Gehalt wurde erhöht. Die EZB-Mitarbeiter hingegen scheiterten 2014 an den EU-Richtern.

Vier Epochen. Kann man diese Episoden überhaupt vergleichen? Ja, denn der Kampf gegen die Inflation stand stets im Mittelpunkt der gelinde gesagt abwechslungsreichen 200-jährigen Geschichte der Oesterreichischen Nationalbank, die am 1. Juni 1816 durch eine Unterschrift von Kaiser Franz I. als „priviligirte oesterreichische National-Bank“ ins Leben gerufen wurde. Auf die Schreibweise mit „Oe“ besteht die Bank, die seit 1923 am Wiener Otto-Wagner-Platz residiert, bis heute.

Im Laufe ihrer Geschichte sollte sie nicht weniger als sieben Währungen verantworten: drei verschiedene Varianten des Guldens, die Krone, den Zwischenkriegs-Schilling, den Nachkriegs-Schilling und den Euro. Unter den Nazis war die Nationalbank für sieben Jahre aller Ämter enthoben – und rasch ihrer Goldreserven entledigt. Unter bisher ungeklärten Umständen vergaß Berlin aber darauf, die bereits eingeleitete Liquidation der Bank abzuschließen. Offiziell existierte die OeNB also weiter, auch wenn die Berliner Reichsbank das Sagen über die Reichsmark hatte.

Auch deswegen darf sie heuer ihren 200. Geburtstag feiern. Grob teilt sich ihr Leben in vier Epochen: Monarchie, Zwischenkriegszeit, Nachkriegszeit und Eurozone. Und die jeweiligen Währungen waren – zumindest am Anfang – gar nicht das Wichtigste. Notenbanken wurden nämlich oft für einen Zweck gegründet, der heute als verpönt gilt: die Finanzierung von Staatsschulden.

Davor hatten sich die Monarchen direkt bei privaten Bankiers verschuldet. Das hatte unangenehme Folgen. So drohte dem Habsburger Kaiserhaus nach dem Tod des Hoffinanciers Samuel Oppenheimer im Jahr 1703 der Staatsbankrott. Aber der Kaiser wäre nicht der Kaiser, hätte er nicht eine rasche Lösung gefunden. Nicht der Staat ging in den Bankrott, sondern posthum Oppenheimer – per kaiserlicher Verfügung. Ein Nachspiel hatte die Sache trotzdem. 1705 wurde das Wiener „Stadtbanco“ gegründet, sozusagen die Mutter der Nationalbank.

Die wurde dann 1816 ins Leben gerufen, weil der Kaiser eine Lösung für – wie könnte es anders sein – das Inflationsproblem gebraucht hat. Dieses ist so entstanden, wie es zu dieser Zeit meist entstanden ist: durch Krieg. Zur Finanzierung des Siebenjährigen Krieges gegen Preußen wurde das Stadtbanco 1762 angewiesen, massenweise Papiergeld zu drucken. Die folgenden Jahre verbesserten die Situation kaum. Nach dem Krieg gegen Preußen folgten Kriege gegen Frankreich. Und immer mehr Geld wurde gedruckt.

Nach dem Sieg gegen Napoleon 1815 schien der Zeitpunkt günstig, das Geldwesen zu reformieren. Es war wohl keinen Tag zu früh. Im Jahr 1816 lag fast schon eine Revolution in der Wiener Luft, weil das Geld immer rascher an Wert verlor. Am 16. August 1816 meldete ein Wirt der Wiener Polizei, ein Gast hätte lautstark damit gedroht, sich notfalls „mit Steinen und Prügeln Einlass zur National-Bank zu erzwingen“, um sein Papiergeld in werthaltige Silbermünzen zu tauschen.

Mal wieder Inflation. Der Staat war der neuen Notenbank von Anfang an keine Hilfe. Tatsächlich begann praktisch am Gründungstag der Nationalbank ein Kampf zwischen den Bankern, die eine stabile Währung im Sinn hatten, und der jeweiligen Staatsführung, die ihre eigenen Ziele verfolgte. Ziele, die viel Geld kosten. Dieser Kampf hält bis heute an – auch wenn er inzwischen in aller Öffentlichkeit geführt wird.

In der Monarchie war das natürlich anders. Da bestand der Konflikt anfänglich darin, dass die Bank versucht war, ihre Vorschüsse an die Staatskasse gering zu halten. Bis Metternich eingreifen musste und die Banker an ihre „patriotischen Pflichten“ erinnerte. Die Folgen sind bekannt: Inflation. Mal wieder. Die Silberdeckung der neuen Währung verschlechterte sich von fast 75 Prozent im Jahr 1818 auf zehn Prozent 1831. Das „Zweite Bankprivilegium“ von 1841 aus der Feder von Ferdinand I. schränkte die „Unabhängigkeit“ der Notenbank zusätzlich ein – und stärkte den Einfluss des Staates.

Aber immerhin: Die Nationalbank konnte überleben. Bis 1847 gelang es ihr sogar, das gesamte inflationierte Papiergeld der Napoleonischen Zeit einzuziehen und „geordnete Geldverhältnisse zu schaffen“, wie es im offiziellen Buch zum 200. Geburtstag der Nationalbank heißt.

Einzig: Gedankt hat es den Bankern niemand. Es ist nämlich ein gut gehütetes Geheimnis unter Ökonomen, dass nicht etwa die Geldmenge allein eine katastrophale Inflation auslöst. Der Vertrauensverlust in die Währung kommt meist vor der extremen Ankurbelung der Notenpressen. Zum Beispiel im Revolutionsjahr 1848, als die Menschen sozusagen in vorauseilendem Misstrauen die Nationalbank stürmten, um ihre Noten in Silber umzutauschen. Dass die Notenbank reagierte, indem sie die Türen schloss und statt Silber immer mehr Papiergeld verteilte, entschärfte die Situation freilich nicht.

Negativzinsen. Und dann erlaubten sich die Ungarn im Wirrwarr der (letztlich niedergeschlagenen) Revolution auch noch, das Privileg der Wiener Notenbank einfach zu untergraben und eigene Banknoten herauszugeben. Nach dem blutigen Ende der Revolution erfand die Nationalbank den sogenannten Silberagio. Der definierte einen beim Umtausch von Banknoten in Silber zu bezahlenden Aufpreis, der wiederum von der National-Bank bestimmt wurde. Seine Funktionsweise ähnelt den von der EZB heute eingesetzten Negativzinsen. Er bestrafte Marktteilnehmer, die mit ihren Banknoten etwas taten, was der Nationalbank nicht passte – sie bat zur Kasse.

Unter Franz Joseph wurde der Bank 1862 dann das „dritte Privilegium“ erteilt, das die Unabhängigkeit der Bank erneut stärken sollte. Bis 1866 beim erneuten Krieg gegen Preußen (und Italien) wieder das Geld ausging und der Staat die Bank zur Ausgabe zusätzlicher Banknoten zwang. Das Ergebnis? Inflation. Aber die war bei den Menschen kaum angekommen, da brach schon das nächste Unglück über sie herein. Just während der Wiener Weltausstellung im Jahr 1873 kam es an der Wiener Börse zu einem Schwarzen Freitag – die Kurse brachen dramatisch ein. Die ganze Bevölkerung war betroffen, viele Existenzen wurden vernichtet. Die Notenbank spielte damals erstmals Krisenfeuerwehr, wie es die modernen Zentralbanken derzeit fast monatlich tun. Sie beteiligte sich an einem Bankenrettungsfonds – und druckte Geld, wieder einmal. Trotzdem sollte es sechs Jahre dauern, bis die österreichische Wirtschaft sich erholen konnte.

Freilich übersieht diese Konzentration auf Krisen in der historischen Betrachtung die vielen guten Jahre. Aus ihrem ersten Quartier Ecke Bankgasse/Herrengasse und den folgenden (etwa dem Palais Ferstel gegenüber, das extra für die National-Bank erbaut wurde), konnte die kaiserliche Notenbank bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein bis dahin nicht gesehenes System entwickeln.

Bedingt durch die besondere Konstruktion der Habsburger-Monarchie entstand so etwas wie die erste internationale Notenbank. Anders als etwa die heutige EZB hatte die National-Bank ab 1878 sogar zwei gleichwertige Hauptstellen: eine in Wien und eine in Budapest. Aus der National-Bank wurde für knapp 40 Jahre die Oesterreichisch-ungarische Bank, kurz OeUB.

Privilegien. Was 1818 mit 45 Mitarbeitern in Wien gestartet war, wuchs binnen 100 Jahren zu einer Organisation mit fast 3800 Mitarbeitern an (1619 Beamte, 425 Diener, 1635 Arbeiter). Ende 1918 unterhielt die OeUB im ganzen Habsburger-Reich zwei Hauptanstalten, 104 Filialen und 179 Nebenstellen, die sich um die Abwicklung des Bargeldverkehrs und andere Aufgaben kümmerten. Neben dieser Verflechtung, die sich von Bregenz bis Lemberg in Galizien (heutige Ukraine) und von Prag bis Südkroatien zog, nimmt sich das moderne Eurosystem mit seinen 19 nationalen Notenbanken fast schlank aus.

Manche Innovationen haben sich bis heute gehalten – und sorgen inzwischen für Unmut. Im 19. Jahrhundert galt die Nationalbank als vorbildlicher Arbeitgeber, kümmerte sie sich doch um die Gesundheitsversorgung und Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter. Zu Zeiten, in denen ein staatliches Sozialsystem noch nicht mal angedacht war, galt das als eine Sensation. Rund zwei Jahrhunderte später haben sich diese Grundleistungen der damaligen „privilegirten oesterreichischen National-Bank“ längst zu nicht mehr zeitgemäßen Privilegien für die Mitarbeiter ausgewachsen, die regelmäßig für kleine Skandale und offizielle Kritik sorgen – etwa vom Rechnungshof.

Das OeNB-Pensionssystem wurde seitdem mehrmals reformiert. Andere Privilegien hat man gestrichen, auch das Pensionsalter wurde erhöht. Aber die aktuell rund 1080 Mitarbeiter der Nationalbank genießen weiterhin ziemlich einzigartige Privilegien. Manchmal werden diese durch peinliche Geschichten enthüllt.

So kündigte die Nationalbank im Sommer 2015 medienwirksam an, dass auch sie Flüchtlinge aufnehmen wolle. Was nicht dazugesagt wurde: Die insgesamt 78 Asylwerber wurden in einem Containerdorf untergebracht, das direkt an ein riesiges Freizeit- und Sportareal grenzt. Dieses Areal betreibt die OeNB am Wiener Stadtrand für ihre Mitarbeiter. Als der Erholungs- und Sportverein der Nationalbank, dem laut Magazin „News“ jährlich 400.000 Euro an öffentlichen Geldern zufließen, davon Wind bekam, wurde flugs die Badeordnung geändert. Seitdem dürfen die Flüchtlinge das Areal nicht unbeaufsichtigt betreten. Ordnung muss sein.

Immerhin haben wir es hier mit einer Organisation zu tun, die zwei Weltkriege und den Zusammenbruch des Habsburger-Reichs überlebt hat. Die Nationalbank ist eine Firma, deren Produkt mehrmals völlig versagt hat – und die doch immer wieder eine neue Chance bekommen hat. Auch wenn es ab und zu ein Rebranding gebraucht hat. So wie nach der Hyperinflation der 1920er-Jahre. Da war es mal wieder so wie immer: Krieg, Gelddrucken, Inflation. Nur dass diesmal der Kollaps der Donaumonarchie dazukam. Das Ergebnis war katastrophal.

Im Chaos der Nachkriegsjahre verschwanden gleich zwei Kronen. Die der Habsburger – und die Währung ihres Reichs. Nur eine neue Währung konnte das Vertrauen der Menschen in die junge Republik stärken: der Schilling. Seine Einführung hat die Hyperinflation beendet – und dem Schilling für lange Zeit einen Platz im kollektiven Herzen der Österreicher gesichert. Auch wenn die wirtschaftlichen Probleme in der Zwischenkriegszeit nicht aufhören wollten.

Nach dem Börsencrash von 1929 folgte das Ende der Creditanstalt 1931. Im Ständestaat heizte dann eine extreme Hartwährungspolitik die Konflikte zwischen links und rechts weiter an. Bis die Nazis kamen und erst einmal das Gold abtransportierten.

In der OeNB fanden sich – dazu gibt es eine Studie – prozentuell mehr Nazis als in der Gesamtbevölkerung. Mindestens 50 Bankmitarbeiter waren schon vor 1938 in der NSDAP. Das in den 1920er-Jahren bezogene und bis heute genutzte Haus am Otto-Wagner-Platz wurde schon am 13. März 1938, dem Tag des Anschlusses, sozusagen von innen besetzt: durch die Mitglieder der Betriebs-SA, einer paramilitärischen NS-Zelle innerhalb der Nationalbank, die sich schon vor dem Anschluss gebildet hatte.

Euro: Nummer acht. Nachdem die Nazis das Währungsgold und die Devisen nach Berlin abtransportiert hatten, wurde der Schilling rasch durch die Reichsmark ersetzt und die Nationalbank zur Zweigstelle der Deutschen Reichsbank degradiert. Nach dem Krieg fanden dann die Amerikaner Gefallen am Sitz der Nationalbank und ließen ihn kurzerhand als Hauptquartier beschlagnahmen. Erst 1952 war die Oesterreichische Nationalbank wieder voll einsatzfähig.

Ähnlich wie nach den Kriegen gegen Napoleon musste die Notenbank erst einmal die verschiedensten im Umlauf befindlichen Währungen einsammeln und durch den neuen Schilling ersetzen. Der wurde dann zu einer echten Erfolgsgeschichte und stand, Hand in Hand mit der D-Mark, Pate für das Wirtschaftswunder nach dem Krieg. Bis auch er 2002 eingezogen und durch den Euro ersetzt wurde. Der ist Währung Nummer acht in der 200-jährigen Geschichte der Nationalbank. Er soll die letzte sein. Aber das galt natürlich für seine Vorgänger auch.

Auf einen Blick

200 Jahre Oenb

Die Oesterreichische Nationalbank
feiert am 1. Juni 2016 ihr 200-jähriges Bestehen. Zur Markierung der Feierlichkeiten wird der regelmäßige EZB-Rat diesmal in Wien stattfinden, weshalb auch die traditionelle EZB-Pressekonferenz am Donnerstag in Wien abgehalten wird.

Ein Bildband über die Geschichte der Nationalbank erscheint zudem im Brandstätter Verlag.

In Zahlen

45 Mitarbeiter hatte die „National-Bank“ nach ihrer Gründung im Jahr 1818, darunter 28 Beamte.

3679 Bedienstete waren es im Jahr 1918, als die „Oesterreichisch- ungarische Bank“ ihre größte Ausdehnung hatte.

1084 Menschen arbeiten heute in der OeNB. Sie gibt als Teil des Eurosystems keine eigene Währung mehr heraus. Aber sie erfüllt andere Aufgaben wie Bankenaufsicht, Bargeldlogistik und Statistik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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