Milchbauern: „Verdienen tun wir nichts“

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Milchbauern(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit 1711 betreibt die Familie Steiner einen Bauernhof in Schwechatbach in Niederösterreich. Bei den derzeitigen Milchpreisen lautet die banale Frage: Wie lang noch?

Schwechatbach. Saftig grüne Wiesen, dunkelgrüne Wälder, grasende Kühe, das nächste Haus steht weit weg auf einem Hügel: Würde nicht hin und wieder Flugzeuglärm das Vogelgezwitscher stören, man käme nie auf die Idee, dass man hier gerade einmal 40 Minuten von Wien entfernt ist.

Gutental in Schwechatbach im niederösterreichischen Alland. Am Ende der Straße liegt seit dem Jahr 799 der Gruenachhof, seit 1711 ist er im Besitz der Familie Steiner. Auf der Chronik im Gang des Bauernhauses stehen ganz unten Johann Steiner und seine Frau Leopoldine, Besitzer seit 1985. Mehr Platz ist auf der gerahmten, handgeschriebenen Hauschronik nicht mehr, dabei führt mittlerweile der 29-jährige Sohn Christian den Hof.

Die Gesichter der Milchkrise

Man sollte es nicht als schlechtes Omen interpretieren, obwohl die aktuelle Situation des Hofs wirklich nichts Gutes für die Zukunft verheißt. „Es ist derzeit schon a bissl schwer“, sagt Christian Steiner. „Verdienen tun wir nichts.“ Nichts dafür, jeden Morgen, 365 Tage im Jahr, um fünf Uhr aufzustehen, um die 45 Kühe zu melken. Nichts dafür, jeden Abend, 365 Tage im Jahr, um 17 Uhr wieder im Stall zu stehen. Und nichts dafür, jedes Wochenende, jede freie Minute der Landwirtschaft zu widmen und kaum einmal Urlaub machen zu können.

Mit Christian Steiner und seinem Vater Johann bekommt die Milchkrise ein Gesicht. Was die nüchterne, kühle Zahl von 27 Cent für einen Liter Milch im Alltag der Bauern bedeutet, sieht man hier auf dem Gruenachhof in Schwechatbach.

„Wenn wir alle Kosten zusammenrechnen und jede Arbeitsstunde, die wir in die Landwirtschaft stecken, nur mit elf Euro berechnen, dann müsste der Milchpreis bei 60 Cent pro Liter liegen“, sagt der 29-jährige Christian. Davon ist man weit entfernt. Beim aktuellen Preis kommt man nicht einmal auf einen Stundenlohn von fünf Euro.

300.000 Kilogramm Milch pro Jahr

Die 300.000 Kilogramm Milch, die die Kühe jedes Jahr liefern, reichen nicht für die drei Generationen, die am Gruenachhof leben. „In den vergangenen Jahren hat der Verkauf von Zuchtvieh geholfen, den Betrieb über Wasser zu halten“, sagt Johann Steiner. 400 bis 500 Euro werden für ein Kalb mit einem Gewicht von etwa 100 Kilogramm bezahlt. Doch auch das genügte nicht. Christian Steiner arbeitet jetzt zusätzlich als Spezialbaumfäller – er schneidet in Städten die großen Bäume, die in verwinkelten Innenhöfen oder nahe bei Häusern stehen. Das Geld, das er damit verdient, steckt er zum Großteil in den Hof.

Auf Dauer kann das keine Lösung sein. Das wissen Christian und Johann Steiner. Aber über die Alternative will man nicht allzu intensiv nachdenken. „Wir lassen das einmal auf uns zukommen“, meint Christian. Vater Johann wirft ein: „Wenn sich aber nächstes Jahr nicht etwas tut beim Milchpreis . . .“ Er lässt den Satz offen. Jeder am Tisch in der Küche weiß, was dann ist.

26.900 Milchbetriebe haben in Österreich seit dem Jahr 2000 zugesperrt. 1990 gab es noch 99.000 Landwirtschaften mit Milchkühen, 2014 (aktuellste Zahlen) waren es gerade einmal 31.500. Mit einem Durchschnitt von 17 Kühen pro Betrieb hat man kaum eine Chance gegen die riesigen Landwirtschaften in Norddeutschland, den Niederlanden, Dänemark oder Irland. Vor allem, seit im Frühjahr vergangenen Jahres die Milchquote gefallen ist, die jedem Hof und jedem Land der EU nur die Produktion einer bestimmten Menge Milch erlaubt und so einen relativ stabilen Preis garantiert hat. Die Iren produzieren seither, was ihre Kühe hergeben: Aktuell liefert das Land 20 Prozent mehr Milch auf die Märkte, als zu Zeiten der Milchquote.

Das Überangebot drückt den Preis, in Deutschland erhalten Bauern teilweise schon weniger als 20 Cent für einen Liter Milch (siehe auch nebenstehenden Bericht). Große Betriebe können solche Preise mit der Masse wettmachen, kleine nicht.

Punkten mit Spezialmilch

Haben österreichische Bauern auf Dauer überhaupt eine Chance gegen die europäische Konkurrenz? Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) glaubt schon: „Mittelfristig steigt die Nachfrage nach Milch – und zwar stärker als die weltweite Produktion.“ Vor allem mit Spezialmilch könnten die heimischen Bauern punkten. Für Heumilch werden beispielsweise 34 Cent pro Liter bezahlt, für Biomilch 41 Cent, für Bio-Heumilch sogar 47 Cent.

Die Familie Steiner liefert konventionelle Milch, daher der niedrige Literpreis. Eine Umstellung auf Bio? „Ja, das wäre schon etwas“, sagt Christian. Nur kostet das: Einerseits wegen des notwendigen Umbaus, andererseits im täglichen Betrieb, weil man nur teureres Futter verwenden darf. Vor allem aber muss man bei der Umstellung eine Durststrecke von zwei Jahren finanzieren, weil es so lange dauert, bis ein Hof als Biohof zertifiziert ist und mehr Geld für den Liter Milch bekommt. „Und das geht sich bei uns derzeit einfach nicht aus.“

Rupprechter glaubt, dass kleine Landwirtschaften mit zusätzlichen Einnahmequellen – wie bei den Steiners eben mit Christians Spezialbaumfällungen – über die Runden kommen. Damit wird die Landwirtschaft freilich mehr zu einem Hobby, das man mit einem Beruf finanzieren muss.

„Flächendeckende Landwirtschaft“

Ob es nicht ehrlicher wäre, offen zu sagen, dass Österreichs kleine Vollerwerbsbauern keine große Zukunft haben? Das stimme nicht, meint Andrä Rupprechter. „Wir bekennen uns zu einer flächendeckenden Landwirtschaft.“ Aber kann die nach marktwirtschaftlichen Kriterien tatsächlich erhalten werden? „Würde man den Bauern alles bezahlen, was sie für die Allgemeinheit leisten – beispielsweise mit der Landschaftspflege –, würden sie sehr gut verdienen“, antwortet der Landwirtschaftsminister. Das macht natürlich niemand, auch wenn von der EU teilweise bereits Prämien dafür bezahlt werden, dass Bauern bestimmte Wiesen mähen. Aber damit werden die Bauern am Ende zu Gärtnern.

Johann und Christian Steiner hat noch nie jemand etwas dafür bezahlt, dass sie 90 Hektar Land bewirtschaften und dafür sorgen, dass die Fläche hinten in Schwechatbach nicht verwaldet. Seit 1711.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2016)

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