Aufgeweckt aus dem Dornröschenschlaf

Thomas Petz vor der Maschine seiner Großeltern. Sie haben sie selbst entworfen, um das Horn im Haus plätten zu können.
Thomas Petz vor der Maschine seiner Großeltern. Sie haben sie selbst entworfen, um das Horn im Haus plätten zu können.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Hinter Efeu und grünem Schmiedeeisen liegt die Werkstatt des letzten Hornkammmachers Österreichs, der mit traditionellen Methoden arbeitet. Thomas Petz hauchte dem Betrieb der Großeltern neues Leben ein.

Nein, dass er seinem Opa schon als kleiner Bub bei der Arbeit über die Schulter geschaut hätte, im Wissen, dass er einmal auch Hornkammmacher wird, so war das nicht. Das würde sich natürlich nostalgisch-rührig lesen, aber damit könne er leider nicht dienen, sagt Thomas Petz entschuldigend lächelnd.

Die Übergabe an ihn, die fünfte aktive Generation, war eine in letzter Sekunde. Großvater Friedrich war damals schon 80. Der Betrieb seit 16 Jahren in einen Dornröschenschlaf versunken, die Maschinen staubig, der Kundenstock in alle Himmelsrichtungen zerstoben. Keines der neun Enkelkinder hatte Interesse angemeldet. Dann kam der damals 21-jährige Thomas zurück aus Tirol, wo er die vergangenen Jahre mit seinem Vater gelebt hatte. Das Einzige, das er sicher wusste: Er will selbstständig arbeiten, sein eigener Chef sein. Heute führt er in einer kleinen Hinterhofwerkstatt im 15. Bezirk, hinter einem efeubewachsenen, grünen Gartentor, den Familienbetrieb fort. Und mit diesem die einzige Hornmanufaktur des Landes, die noch mit traditionellen Methoden arbeitet.


Kindheit in der Luft.
Wer schon einmal in einem der großen Heimwerkermärkte Biodünger gekauft hat, kann sich ungefähr vorstellen, wie es in der Petz'schen Werkstatt riecht. Biodünger besteht aus dem Abfallprodukt Hornstaub. Es verströmt einen strengen Geruch, den man so schnell nicht vergisst, der sich in der Kleidung und in der Nase festsetzt. Petz liebt ihn. Er freut sich jeden Morgen, wenn er kurz nach sieben Uhr seine Maschinen anwirft und der im Zimmer hängende Duft vom Vortag aufgefrischt wird. Für ihn sind es komprimierte Kindheitserinnerungen, die dann in der Luft liegen.

Die Zunft der Hornkammmacher wurde schon vor einem halben Jahrhundert aufgelöst. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte es in Österreich noch etwa 200 gegeben. Die Kammmacher arbeiteten mit Horn, Schildpatt, auch Elfenbein. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie auf 80 Betriebe dezimiert. Die Qualität des Werkstoffs nahm zeitgleich immer weiter ab. Zu klein und schwach wurden die Hörner der europäischen Rinderrassen in der industrialisierten Landwirtschaft. Als dann in den Fünfzigerjahren der Spritzgusskamm aus Kunststoff aus den USA nach Europa kam, versetzte das dem Gewerbe den Todesstoß.

Alles, was der heute 30-jährige Thomas gelernt hat, brachte ihm sein Großvater, der allerletzte Meister auf diesem Gebiet, in seinen zwei letzten Lebensjahren bei. Ohne die spontane Begeisterung des Enkels gäbe es das Handwerkswissen heute nicht mehr. Es war etwas ganz Einfaches, das ihm sein Opa an einem Vormittag vor acht Jahren vorführte, um auszuloten, ob ihm die Handarbeit wirklich gefallen könnte. Er nahm ein kleines Hornplättchen und bearbeitete seine rau-matte Oberfläche so lange mit Feilen und Bürsten, bis es in seiner Hand glänzte und die vielfarbige Naturmaserung zum Vorschein kam.

Thomas Petz führt die exakt gleichen Handgriffe vor, um die Faszination begreifbar zu machen. Drei Jahre habe er gebraucht, um alle Arbeitsschritte vollkommen korrekt ausführen zu können. Nach dem Tod Friedrichs übernahm Großmutter Eleonore die Lehraufsicht. Sie war Jahrzehnte an der Seite ihres Mannes im Betrieb gestanden, war auch ohne Meisterbrief ein Routinier. „Ich habe ihnen sehr viel zu verdanken“, sagt Thomas Petz. „Allein, dass sie sich das in der Pension nochmals angetan haben.“

Heute ist seine Manufaktur eine One-Man-Show. Oma Eleonore hat wieder auf der Bank vor der Werkstatt Platz genommen und genießt die Pension. Petz' Freundin hilft 20 Stunden mit. Aber grundsätzlich steht er allein in der Werkstatt und produziert Kämme, Armreifen, Becher, Salzstreuer, Ketten und vieles andere für seine rund 20 Vertragspartner, die diese wiederum an ihre Kundschaft verkaufen. Unter seinen Abnehmern finden sich Parfümerien, Optiker, Drogerien in Wien, aber etwa auch unter dem Goldenen Dachl in Innsbruck oder auf dem Münchner Viktualienmarkt. „Da ist nach acht Jahren noch viel Luft nach oben“, ist sich Petz sicher. Einen eigenen Verkaufsraum plant er aber nicht. Das würde auch die träge, wie aus der Zeit gefallene Stimmung in seiner Hinterhofwerkstatt zerstören. Da bleibt er wie bei den althergebrachten Mustern dem Konzept der Großeltern treu. „Für ein Geschäft wäre es hier auch viel zu staubig.“ Obwohl er mehrmals am Tag aufwischt, dringt der feine Hornstaub überall hin, setzt sich wie der Geruch in Kleidung und Haaren fest.


Autark in Rudolfsheim-Fünfhaus.
Seine Werkstatt funktioniert autark, auch darin gleicht sie dem großelterlichen Betrieb. Seine Oma habe immer gesagt: „Solange ich niemanden brauche, ist es mir am liebsten.“ Diese Einstellung beobachte er an sich selbst. So importiert er nicht die fertig gepressten Hornplatten, sondern bezieht die riesigen Hörner im Ganzen aus Zentral- und Südafrika, wo sie auf den Schlachthöfen als Abfallprodukt anfallen. Zwei bis drei Mal im Jahr erhält er eine große Lieferung. In seinem Keller warten die fein geschwungenen Rinderhörner auf die Weiterverarbeitung im Haus. Von einer Tonne des Naturprodukts bleiben nach Ausmusterung aller gebrochenen Stellen und Unregelmäßigkeiten zwar nur 500 Kilogramm übrig. Doch das ist ihm die Optimierung seiner Handarbeit wert.

Im ersten Stock presst Petz sie nach einem Bad im 130 Grad heißen Öl mittels einer von den Großeltern selbst konzipierten Maschine anschließend flach. Auch sie ist Ausdruck purer Autarkie – und aus der Not heraus entstanden. Denn mit dem langsamen Sterben der Zunft der Hornkammmacher schlossen in ihrer aktiven Zeit alle Firmen, die sich auf die Weiterverarbeitung der Hörner spezialisiert hatten. Als diesen Arbeitsschritt niemand mehr übernahm, mussten die Großeltern Petz zum Überleben notgedrungen selbst ein Verfahren entwickeln.

Nachdem die fertigen Platten mindestens drei Monate geruht haben und aushärten konnten, sind sie bereit, um an den Schneide-, Polier- und Bürstmaschinen ihre Endform zu erhalten. Wenn einmal die vom Ölbad noch leicht russige Hornplatte fertig ist, braucht Petz nochmals rund eine Viertelstunde routinierte Arbeitszeit pro Kamm. In seinem Online-Shop verlangt er dafür je nach Größe zwischen 18 und 40 Euro. Er verfolge eine „sehr ehrliche Preiskalkulation“. „Man kann davon leben“, sagt er, wenn man ihn nach der Rentabilität des Betriebs fragt. Und er ergänzt zwinkernd: „Eine Autowerkstätte verrechnet einen höheren Stundensatz.“ Kunden, die die Kämme im Geschäft sehen, würden immer fragen, wieso sie so teuer sind. Wer einmal hier war und die vielen einzelnen Arbeitsschritte miterlebte, stelle ihm hingegen meist die gegenläufige Frage: „Warum ist das so günstig?“

Am Ende des Tages ist das für Petz alles Makulatur. Er hat, was er immer wollte: Freiheit. „Ich stehe in der Früh auf – für mich, nicht für jemanden anderen.“

Manufaktur

Adresse. Die Hornmanufaktur Petz, 1862 gegründet, liegt seit mehr als 100 Jahren in der Nobilegasse 13 in Rudolfsheim-Fünfhaus.

Kollektion. Heute führt Thomas Petz den Betrieb in fünfter Generation. Er fertigt für rund 20 Einzelhändler Hornprodukte wie Ringe, Ketten, Brillengestelle, Kämme, Bürsten und Besteck an.

Online-Shop. Auf www.petz-hornmanufaktur.at kann man nicht nur die Verkaufsstellen einsehen, sondern die Einzelstücke auch direkt im Online-Shop bestellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.