Keine Sozialbeiträge: Millionenhilfe für Österreichs Bauern

APA/BARBARA GINDL
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Die Milchbauern werden mit Millionen Euro unterstützt: Sie müssen für ein Quartal keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen.

Wien. Ein Liter stilles Mineralwasser kostete gestern bei einer Supermarktkette in Österreich 54 Cent. Ein Bauer bekommt von der Molkerei für einen Liter Milch aktuell weniger als 30 Cent. Für jeden, der nicht unter einer Laktoseintoleranz leidet und einen Milchbauern in seiner Nähe hat, sind das gute Nachrichten. Für die Bauern selbst ist es eine Katastrophe: Kostendeckend ist ein Betrieb im Schnitt erst ab 35 Cent – wenn der Bauer seine Arbeitszeit nicht einkalkuliert.

Seit der Freigabe der Milchquote im vergangenen Jahr und der daraus folgenden Überproduktion geht der Milchpreis kontinuierlich nach unten. Gestern trafen sich in Wien Politiker, Interessen- und Handelsvertreter, um über Maßnahmen für die unter Druck gekommenen Landwirte zu beraten. Tatsächlich hat man sich auf umfassende Förderungen in Millionenhöhe geeinigt – eine dauerhafte Lösung für die Krise hat man aber nicht gefunden.
Als wichtigsten Schritt plant Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) den Erlass der Sozialversicherungsbeiträge im vierten Quartal dieses Jahres für alle Landwirte in Österreich. Ein durchschnittlicher Betrieb erspare sich damit 1500 bis 2000 Euro. Die Aktion wird insgesamt 170 Millionen Euro kosten und könne aus den Rücklagen der Sozialversicherung der Bauern bezahlt werden.

Die Maßnahme muss freilich noch im Parlament abgesegnet werden. Rupprechter meinte gestern, er habe positive Signale aus dem Ministerrat bekommen. Die SPÖ-nahe Arbeiterkammer kritisierte jedoch den Vorschlag. Silvia Angelo, Leiterin der AK Wirtschaftspolitik, meinte, Förderungen müssten aus den Agrarfördertöpfen fließen und nicht aus dem Sozialsystem genommen werden. „Die Steuerzahler sehen nicht ein, warum jährlich rund zwei Milliarden Euro an Agrarsubventionen in Österreich verteilt werden, und die offenbar nicht dort ankommen, wo sie gebraucht werden.“

Als eine weitere finanzielle Erleichterung ist die Stundung von Agrarkrediten für einen oder zwei Monate geplant. Von den Bundesländern sollen acht Millionen Euro an Sonderunterstützung für Milchbetriebe in Bergregionen fließen.

Keine Mengenbeschränkung

Das Landwirtschaftsministerium stellt den Molkereien 50 Millionen Euro zur Verfügung, sie sollen damit Export- und Marketingmaßnahmen finanzieren. Weitere Schwerpunkte: ein Ausbau der Qualitätsprogramme (für Bio- und Heumilch werden deutlich höhere Preise bezahlt) und Milchmarketing, das den Konsum stärken soll.

Rupprechter machte aber klar, dass „europaweite Krisen auch europaweite Lösungen brauchen“. Doch auf europäischer Ebene ringt man um eine einheitliche Linie.
Diskutiert wird etwa über eine Beschränkung der Milchproduktion. In Deutschland ist dies vorübergehend auf freiwilliger Basis möglich, auf EU-Ebene gibt es dazu keine einheitliche Linie. Der heimische Molkereiverband betonte gestern, ein „Mengendeckelungssystem“ sei nur auf europäischer Ebene denkbar. Eine Begrenzung nur in Österreich habe keinen Sinn, weil Österreich zwei Prozent der Milchmenge in der EU produziere, sagte Helmut Petschar, Präsident der Österreichischen Milchverarbeiter. Wenn die Molkereien in Österreich weniger Milch verarbeiteten, dann würden eben ausländische Molkereien verstärkt die Nahrungsmittelindustrie beliefern.

Bauernbund-Präsident Jakob Auer betonte, dass es nicht nur den Milchbauern schlecht gehe. „In der Marktkrise stecken neben den Milchbauern auch Schweinebauern oder Obstbauern, die Millionenschäden durch Frost verkraften müssen.“ Die Bauern hätten heuer das fünfte Einkommensminus in Serie zu erwarten. (red./ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)

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