Schelling: „Man muss auch in den Köpfen etwas ändern“

MINISTERRAT: SCHELLING
MINISTERRAT: SCHELLING(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Finanzminister Schelling (ÖVP) kommt dem Koalitionspartner bei der Abschaffung der kalten Progression entgegen, will die Österreicher zu Risikokapitalgebern machen und spricht über Schwung und Leidensfähigkeit.

Die Presse: Die Registrierkassenpflicht ist gerade erst in Kraft getreten, jetzt wird sie schon entschärft. Lernt man daraus, dass man in Österreich nur lange und laut genug schreien muss, und die Politik geht in die Knie?

Hans Jörg Schelling: Wir als Finanzministerium nicht. Die einzigen Änderungen, die wir durchgeführt haben, betreffen vor allem die Ausweitung der Kalte-Hände-Regelung (etwa durch eine vereinfachte Abrechnung bei Almen). Und es gab Anpassungen bei Vereinen. Alles andere kommt von anderen Ressorts.

Wäre es nach Ihnen gegangen, hätte es keine Änderungen gegeben?

Ich habe vor einigen Wochen welche vorgeschlagen, viel hätte man nicht gebraucht. Die Vereinslösung war beispielsweise akzeptiert, man hätte nur den Erlass lesen müssen, da waren die Vergünstigungen schon drinnen. Als wir den jenen erklärt haben, die sich aufgeregt haben, haben alle gesagt: Das ist eigentlich kein Problem. Die anderen Änderungen sind politische Entscheidungen.

Sehr glücklich war diese ganze Diskussion um die Registrierkasse nicht.

Die Diskussion lief von Beginn an in die falsche Richtung. Da waren einige beteiligt, die unter dem Schlagwort Interessenvertretung agieren. Ich habe nicht verstanden, warum man eine Maßnahme, die dem Schutz der redlichen und ehrlichen Unternehmer dient, so bekämpft. Die Diskussion über die Registrierkassen hat das positive Image der Steuerreform ziemlich angekratzt. Die lange Debatte war auf jeden Fall energievernichtend.

Ein anderes Thema: Es gibt eine neue Initiative zur Finanzierung der mittelständischen Unternehmen mit weitgehenden Steuerbefreiungen. Ist das in der Regierung akkordiert?

Details werden noch verhandelt, aber ich bin zuversichtlich. Wir wollen es mit Mittelstandsfinanzierungsgesellschaften für Privatpersonen attraktiver machen, Risikokapital für Klein- und Mittelbetriebe zur Verfügung zu stellen. Bisher gab es die Hürde, dass man sich mit mindestens 100.000 Euro einbringen muss. Das wollen wir auf 10.000 Euro senken und zudem steuerliche Vorteile schaffen, Ausschüttungen bis zu einem bestimmten Betrag sollen von der Kapitalertragsteuer befreit werden.

Sind die Österreicher finanziell nicht zu konservativ und zu wenig risikobereit, um in Unternehmen zu investieren?

Man muss auch in den Köpfen der Menschen etwas ändern, keine Frage. Wir haben kaum einen Markt für Private Equity, kaum einen für Risikokapital. Dieses neue Modell ergibt Sinn, wir müssen schauen, dass das Pflänzchen Konjunktur weiter wachsen kann. Dafür braucht man Kapital, und wir wissen alle, wie schwierig es aufgrund der vielen regulatorischen Maßnahmen ist, Geld von den Banken zu erhalten. Mit dem Crowdfunding und den Mittelstandsfinanzierungsgesellschaften haben wir dann zwei alternative Finanzierungsinstrumente zur Verfügung.

Hat die Politik mit den Vorschriften für die Banken übertrieben? Unternehmen klagen, dass sie keine Kredite mehr bekommen.

Nicht unbedingt. Die Banken haben ihr Eigenkapital seit 2008 verdoppelt, das ist gut. Man muss aber aufpassen, dass man die Banken nicht überreguliert, teilweise hat man das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Jetzt geht vieles in den Schattenbereich mit alternativen Finanzierungen ohne irgendwelche Regelungen. Wenn dort eine Blase entsteht, werden wir uns noch wundern. Daher muss die EZB überlegen, ob alles, was sie gemacht hat und noch plant, so klug ist.

Zur Arbeit der Bundesregierung: Es gibt seit Ende vergangenen Jahres einen Vorschlag vom Finanzministerium zur Abschaffung der kalten Progression. Seither ist – was genau passiert?

Es war in der Regierung vereinbart, dass das Finanzministerium bis Ende 2015 einen Vorschlag liefert. Das haben wir auch getan. Es gibt keine große Eile, weil die Steuer- und die Tarifreform die kalte Progression abfedern. Es gibt Widerstand gegen die automatische Anpassung der Steuerstufen (wenn die Inflation fünf Prozent übersteigt, sollen laut Vorschlag die Steuerstufen um diesen Prozentsatz angepasst werden, Anm.), daher diskutieren wir jetzt eine Verknüpfung mit dem Wirtschaftswachstum: Sollte das Wachstum unter ein Prozent fallen, kann die Regierung die Anpassung temporär aussetzen. Dann kann man sagen, um mehr Wirtschaftswachstum zu generieren, ist das Geld besser angelegt, wenn wir es als Steuereinnahme verwenden und die Einnahmen in die Wirtschaft investieren. Wenn das Wachstum über einem Prozent ist, gibt es wieder eine Anpassung. Meine Wunschvorstellung wäre, dass die kalte Progression ab 2018 abgeschafft ist.

Ist das der neue Schwung in der Regierung?

Mein Schwung war nie beeinträchtigt. Wir haben uns ein klares Arbeitsprogramm vorgenommen, und das arbeiten wir jetzt systematisch ab. Der Schwung in der Regierung wird kommen, wir haben Arbeitsgruppen mit klaren Zielvorgaben eingesetzt. Man muss das wie bei der Steuerreform machen: klare Ziele, klare Terminvorgaben – dann wird geliefert.

Drehen die zuletzt kritisierten Interessenvertreter am Schwungrad mit oder bremsen sie?

Das hängt vom Thema ab. In manchen Bereichen drehen sie mit, in anderen Bereichen bringen sie keine Lösung zustande – etwa bei der Arbeitszeitflexibilisierung. Die Menschen erwarten von uns Resultate. Die Geduld der Wähler ist strapaziert, weil wir das, was erwartet wird, nicht liefern. Wobei die Regierung auch selten für das gelobt wird, was man umsetzt. Wir haben beispielsweise die Lohnnebenkosten um eine Milliarde Euro gesenkt, aber der große Applaus ist ausgeblieben. Man wird eher für Dinge kritisiert, die man nicht macht.

Sie scheinen aber sehr leidensfähig zu sein.

Sonst könnte man den Job nicht machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2016)

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