Die Wirtschaft „schleicht sich nach oben“

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Das Wachstum in Österreich zieht an. Aber ohne Sondereffekte wäre es heuer kaum höher als im Vorjahr. Erst 2017 sollen auch die Exporte einen Beitrag leisten. Die Arbeitslosigkeit steigt nicht ganz so stark wie befürchtet.

Wien. Auf den ersten Blick sieht das ja recht gut aus: Die heimische Wirtschaft wächst heuer und 2017 deutlich kräftiger als in den vier sehr mageren Jahren davor. Auch zur Dynamik der Eurozone kann Österreich nach zwei Jahren Rückstand wieder aufschließen. Aber bei der Präsentation ihrer Halbjahresprognose schütten die großen Institute Wifo und IHS reichlich Wasser in den Wein. Denn die heurige Belebung ist vor allem drei Sondereffekten zu verdanken: der Steuerreform, den Flüchtlingen in der Mindestsicherung und dem Kalender (also der Zahl der Arbeitstage). Jeder dieser Faktoren schlägt mit rund zwei Zehntelpunkten zu Buche. Ohne sie wäre das Wachstum also kaum stärker ausgefallen als im Vorjahr.

Für die „größte Steuerreform aller Zeiten“ (Ex-Kanzler Faymann) sind 0,2 Prozentpunkte Wachstumsschub ziemlich mager, findet auch Wifo-Chef Karl Aiginger. Sein Institut habe sie von Anfang an „kritisch“ gesehen: „Ihr Ausmaß ist nicht hoch, weil die Ausgaben nicht gesenkt wurden.“ Für die Versorgung der Flüchtlinge gibt die öffentliche Hand mehr aus und finanziert das durch neue Schulden. Nachhaltig ist das nicht – so wenig wie die Gunst des Kalenders.

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Insgesamt ist das Wachstum zu schwach, um genügend Jobs für die stark steigende Zahl an Arbeitsuchenden zu schaffen: Frauen, Ältere, EU-Migranten aus Osteuropa und vor allem Flüchtlinge. Immerhin fällt der Anstieg der Arbeitslosigkeit schwächer aus als noch im März befürchtet. Sie wird also nicht an der Zehn-Prozent-Schwelle (nach nationaler Definition) kratzen. Auch die Exportdynamik ist durch die schwache Weltkonjunktur gedämpft. Die gute Nachricht: 2017 sollen die Ausfuhren viel stärker anziehen, den Konsum als Wachstumstreiber ablösen und so die Erholung auf eine solidere Basis stellen.

Wifo und IHS bieten aber auch einen geschärften Blick auf speziellere Themen:

Import schlägt Export. Die Ausfuhr von Waren steigt heuer schwächer als die Einfuhr, liefert also einen negativen Wachstumsbeitrag. Mit anderen Worten: Österreich verliert Anteile im Welthandel. Das klingt aber schlimmer, als es ist, beruhigen die Ökonomen. Die Importe sind vom stark steigenden Konsum getrieben. Bei den Exporten geht es vor allem um Anlagegüter, die noch relativ schwach nachgefragt werden. Das soll sich aber 2017 ändern. Die Leistungsbilanz in Summe ist schon heuer wie gewohnt positiv, weil dort auch die hohen Überschüsse im Tourismus eingerechnet sind.

Zu hohe Inflation. Mit ein bis zwei Prozent Teuerung ließe es sich bestens leben – wenn sie nicht höher ausfällt als im Euroraum. Der gefährliche Abstand besteht schon seit zehn Jahren. Nur kurz sah es zuletzt so aus, als könnte er verschwinden. Woher aber kommt er? Am stärksten steigen die Preise im Handel, bei Gastronomie, Hotels und Mieten. „Nur“ 0,2 Prozentpunkte tragen aktuell Gebühren der öffentlichen Hand bei. Aber in Summe über die vergangenen zehn Jahre betrachtet, erinnert Aiginger, fallen diese Gebührenerhöhungen sehr viel saftiger aus als beim wichtigsten Handelspartner, Deutschland.

Was bremst die Reallöhne? Nur in diesem Jahr sorgen steigende verfügbare Reallöhne für einen Konsumschub. Schon 2017 dürften sie wieder sinken, wie schon in den Jahren davor. Ein Grund ist die neu einsetzende kalte Progression. Als Hauptgrund sieht Aiginger den eben erwähnten Inflationsabstand zum Euroraum: Um nicht durch zu hohe Exportpreise an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, verzichten die Tarifpartner auf Lohnerhöhungen, die höhere Preise voll ausgleichen. Damit sinken die Reallöhne. IHS-Ökonom Helmut Hofer lenkt den Blick auf die nur schwach steigende Produktivität, die keine höheren Abschlüsse zulässt. Doch Aiginger ist skeptisch: Treiben wir die Arbeitsproduktivität, sind wir auch zu starkem Wachstum „gezwungen“ – denn sonst gibt es mehr Arbeitslose. Besser fände es der Wifo-Chef, die Produktivität durch sparsameren Einsatz von Material und Energie anzukurbeln, was auch der Umwelt zugutekäme. Über den Umweg höherer Gewinne entstünde auch so Spielraum für höhere Löhne.

Maschinensteuer. Hier sind sich beide Ökonomen einig: Diese Idee des neuen Kanzlers Kern taugt nichts. Denn sie unterstellt, dass durch mehr Roboter und IT in der Produktion die Arbeitsproduktivität massiv steigt, viele Jobs wegfallen und die sozialen Sicherungsnetze schwerer zu finanzieren sind. Das aber sei allenfalls Zukunftsmusik. Sämtliche Prognosen für die nächsten fünf Jahre gingen von einer schwachen Produktivitätsentwicklung aus. Also wäre eine Maschinensteuer jedenfalls „zu diesem Zeitpunkt“, da die Unternehmen ohnehin zu wenig investierten, „die falsche Maßnahme“.

Japan als Menetekel. Das sehr schwache Wachstum in Japan sehen beide Institute als Warnung. Es sei „sinnlos“ und das „falsche Rezept“, warnt Aiginger, sich in einer alternden Gesellschaft „gegen Migration abzuschotten“ – und die Wachstumsschwäche, zu der es bei einer schrumpfenden Bevölkerung zwangsläufig kommt, durch immer mehr Staatsschulden kurieren zu wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

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