Standort: Wifo weist Weg zurück zur Spitze

Wifo-Chef Karl Aiginger.
Wifo-Chef Karl Aiginger.(c) APA/HANS PUNZ
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Mit einer Reformagenda bis 2025 will das Forschungsinstitut den Abstieg Österreichs ins Mittelfeld stoppen. Die Empfehlungen sollen in den Neustart der Regierung einfließen.

Wien. Was bringt es, wenn Wirtschaftsforscher den Politikern Tipps geben? Mehr als man gemeinhin denkt, behauptet Wifo-Chef Karl Aiginger – vor allem, wenn sie Gesamtkonzepte liefern. Sein Institut versuchte das schon vor zehn Jahren mit dem „Weißbuch“. Es habe doch einiges bewegt: das verpflichtende Kindergartenjahr, die Reform des AMS und (anfangs) eine offensive Forschungsstrategie. Wohl auch deshalb, weil Aiginger „mit einer gewissen Penetranz“ in den Ministerien nachgehakt hat.

Seit einem Jahr arbeiten seine Ökonomen an einer Reformagenda für den Zeitraum bis 2025. Fertig ist sie noch nicht. Der designierte neue Institutsleiter, Christoph Badelt, ist eingebunden, er soll das Ergebnis im Dezember präsentieren. Doch wegen des Kanzlerwechsels wurde nun ein Zwischenbericht erstellt, der in den Neustart der Regierung einfließen soll. Anzupacken gäbe es genug. Denn Österreich droht ins schwache Mittelfeld der Industriestaaten abzusteigen. Aus der Analyse ist vieles bekannt, einiges lässt aber aufhorchen:

► Die Zahl der öffentlich Bediensteten ist in den vergangenen zehn Jahren nicht gesunken, sondern gestiegen (darüber täuscht hinweg, das viele Beamte durch Vertragsbedienstete ersetzt wurden und oft nur der Bund, nicht aber Länder und Gemeinden im Blick sind).

► Von seiner ökologischen Vorreiterrolle hat sich Österreich verabschiedet. Im Index der Universität Yale ist das Land – „kaum bemerkt“– vom weltweit siebenten Rang im Jahr 2012 auf den 18. Platz (2016) zurückgefallen, wegen Verschlechterungen bei der Klimapolitik und der Luftqualität.

► Die Investitionsschwäche betreffe vor allem immaterielle Investitionen in Forschung und Software. Gerade in diesem Zukunftsbereich liegt Österreich mit vier Prozent des BIPs zurück: hinter großen EU-Ländern (fünf Prozent), den USA und der Schweiz (je sechs Prozent).

Was ist zu tun? Die Empfehlungen des Wifo sind wie immer sehr breit gefasst und wenig fokussiert. Für jede Zielgruppe ist etwas dabei: Weniger Bürokratie für die Wirtschaft, ökologische Exzellenz für die Grünen, sozialer Ausgleich für die Gewerkschaften. Sogar Kapitalismusgegner mögen sich angezogen fühlen: von der Forderung, das BIP-Wachstum als Ziel durch den Indikator Lebensqualität abzulösen. Aber das Wifo verkauft diese Breite als Vorteil: Nur durch eine Gesamtstrategie, nicht durch isolierte Einzelmaßnahmen lassen sich alle ins Boot holen.

Deshalb seien kleine Reformen bei Pensionen und Bildung missglückt, im Gegensatz zu den radikalen Gesellschaftsreformen, die skandinavische Länder in den Neunzigerjahren umgesetzt haben. Jede Reform habe Gewinner und Verlierer, zumindest kurzfristig. Das gälte es offen auszusprechen und die Verlierer in anderer Form besserzustellen. Dafür skizziert das Wifo beispielhaft zwei Vorschläge:

► Die Unternehmen brauchen flexible Arbeitszeiten, um ihre Produktion an Schwankungen der Nachfrage anzupassen. Die Mitarbeiter fürchten Überlastung, Gewerkschaften legen sich quer. Das Patt müsste aber nicht sein. Denn auch den Arbeitnehmern geht es um mehr Flexibilität: Sie wollen in einigen Lebensphasen weniger arbeiten – während der Familiengründung, zur Weiterbildung, zur Pflege von Angehörigen oder kurz vor der Pension. Packt man das in einem gesetzlichen Anspruch zusammen, hat jeder gewonnen.

► Höhere Steuern auf fossile Brennstoffe provozieren fast kollektiven Widerstand: Unternehmer sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit bedroht, Arbeitnehmer fürchten Reallohnverluste, besonders die Pendler. Doch der Aufschrei verstummt, wenn der Staat zeitgleich entlastet. Vor allem beim Faktor Arbeit, auf den 25 Prozent aller Abgaben entfallen (im EU-Schnitt sind es 20 Prozent). Die energieintensive Industrie wäre durch Mittel für Forschungszwecke zu entschädigen. In Summe könnte die Entlastung wegen positiver Folgeeffekte sogar überwiegen. Eine solche ökologische Steuerreform, gesteht Aiginger, schlug er schon 1980 in einem Artikel vor: „Aber das heißt ja nicht, dass die Idee falsch ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2016)

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