Tourismusforscher: "Menschen sind mediengesteuert"

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Carribean Dominican Republic beach on the Caribbean Island Isla Saona PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHimago/Westend61
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Kriege, Klima, Wirtschaftskrisen – ein Interview mit dem renommierten TourismusforscherEgon Smeral über alte Sorgen und neue Extremsituationen.

Sollte sich Österreichs Tourismus vor dem Brexit fürchten?

Egon Smeral: Der direkte Effekt des Referendums wird sein, dass sich durch die Pfund-Abwertung die Importe verteuern, die Verbraucherpreise steigen. Die Kaufkraft der britischen Gäste sinkt, das schadet dem Tourismus.


Aber Briten machen bei uns nur 880.000 von mehr als 39 Millionen Gästen aus.

Für Österreich sind die Auswirkungen noch gering. Der zweite Effekt wird aber noch dieses Jahr ins Rollen kommen. Die Märkte warten nicht auf die Politik. Es wird eine massive Abwanderung von Finanzfirmen und anderen Konzernen einsetzen. Allein die Deutschen haben 400.000 Beschäftigte dort. Die werden nicht warten, dass sie eine Arbeitsbewilligung bekommen. Österreichs Wirtschaftsverflechtung mit Großbritannien ist sehr gering, aber dafür haben wir die Verflechtung über Drittstaaten. Wenn Deutschland ins Schleudern kommt, wäre das schlecht.

Der Brexit ist nur einer von vielen Unsicherheitsfaktoren.

Er ist der offensichtlichste und aktuellste. Wir haben eine latente ungelöste Wirtschaftskrise in Europa. Die Probleme bei den Sozialsysteme sind nicht gelöst, der Schuldenabbau geht nicht voran. Es wird Jahre dauern, bis etwas in Bewegung kommt. Der leichte Aufschwung in manchen EU-Ländern droht mit dem Brexit zum Stillstand zu kommen. Außerdem passiert immer etwas. Dort ein Krieg, da ein Krieg.

Oder Anschläge, wie wir sie jüngst in der Türkei erlebt haben.

All diese Unsicherheiten bewirken eine Verlagerung der Reiseströme – aber nur kurzfristig, glaube ich. Die Türkei war in den vergangenen Jahren der große Gewinner im Tourismus. Sie konnte ihre Marktanteile mindestens verdoppeln, während die anderen das nicht geschafft haben. Sie verliert jetzt. Aber es war immer schon so, dass alle nach Spanien gefahren sind, wenn die Türken die Kurden gebombt haben.

Kürzlich sagte der Bürgermeister von Antalya, in seiner Stadt herrsche keine Gefahr. Dennoch kommt niemand. Denken Sie, die Angst der Menschen ist übertrieben?

Es ist egal, ob der Bürgermeister in Antalya sagt, er sei weit entfernt von den Krisenherden. Die Leute lesen in der Presse von einem neuen Attentat in der Türkei. Dass das in Istanbul war, interessiert keinen. Die Menschen sind so mediengesteuert.

Denken Sie, das Pendel wird zurückschwingen?

Locker. Wenn sich das in der Türkei beruhigt, gehen nächstes Jahr alle wieder retour. Oder schon im Herbst. Man bekommt von da einen Fußtritt, kurz darauf den nächsten aus der anderen Himmelsrichtung. Durch die rasche Abfolge der Ereignisse vergessen die Menschen schneller. Wenn nur einmal im Jahr etwas passiert, würden sie es sich länger merken. Es ist wie mit dem Wetter, das wird auch immer unberechenbarer und extremer.

Dennoch hat man den Eindruck, die Krisen werden stärker und häufiger.

Sie sind stärker. Aber man kann deswegen nicht zu Hause bleiben. Die Maghreb-Staaten sind auch nicht mehr das, was sie waren. Diese Konkurrenz ist weggefallen. Wir sehen eine Wiederentdeckung des Nahurlaubs. Den kann ich berechnen, da kenne ich mich aus, ich kann mit dem Auto hinfahren, das Benzin ist günstig. Wenn Sie als Deutscher nach Österreich fahren, wissen Sie im Voraus, dass nichts passieren kann außer einem kleinen Stau an der Grenze. Das Gleiche gilt für Franzosen, die nach Spanien fahren. Man hat kein Qualitätsrisiko, keine Flugverspätung, kein verlorenes Gepäck. Vor allem Reisen an die Ostsee werden immer beliebter. Aber nur bei Europäern – Japaner bekommst du nicht an die Ostsee.

Der österreichische Tourismus versucht aber gerade genau das: den asiatischen Markt zu erschließen.

Aber das ist Städtetourismus. Sie bekommen keinen Ferntouristen aufs Land. Nach dem zehnten Mal vielleicht nach Hallstatt oder in die Wachau. Aber das ist schon der erfahrenere Tourist.

Für den weggebrochenen russischen Markt sind die Chinesen also kein Ersatz?

Nein. Aber Wien hat es locker verkraftet, dass die Russen wegbleiben. Mit Wachstumsraten von sechs Prozent besteht hier keine Gefahr.

Die Österreicher machen auch vermehrt daheim Urlaub.

Ja, aber die Einnahmen von inländischen Gästen machen nur rund 20 Prozent der Gesamteinnahmen aus. Österreich ist auch zu klein, um nur im Land zu bleiben. Ein bisschen etwas will man doch sehen, da fährt man nach Grado oder Istrien.

Heute scheint nicht mehr der Sommer, sondern der Winter das Sorgenkind des Tourismus zu sein.

Die Skifahrgeneration will nicht mehr. Die Jungen gehen couchsurfen, fliegen für hundert Euro weg. Die Reise- und Freizeitangebote nehmen immer mehr zu. Dazu kommt der Klimawandel: Der Schnee wird weniger, die Winter dauern kürzer. Ein Langzeiteffekt daraus ist, dass immer weniger Leute Ski fahren lernen oder sich die teure Montur zulegen.

Die Gretchenfrage ist, ob der Wintertourismus schnell genug Alternativen findet.

Das muss er. Nicht so hoch gelegene Orte können auf andere Angebote umsteigen. Aber was wollen Sie mit einem Ort auf 2000 Metern Höhe machen, in dem es keinen Baum und nur Lifte gibt? Die regionale Einkommensumverteilung beginnt bereits. Der Städtetourismus ist der große Gewinner, nicht nur im Winter. Die Städte profitieren von der leichten Erreichbarkeit und der Angebotsvielfalt.

Für einen Strandurlaub ist das aber keine Alternative.

Ich glaube, dass hier die Nachfrage abnimmt. Man muss unterscheiden zwischen den Menschen, die im Jahr nur 14 Tage Urlaub am Stück haben und für die das Ziel noch immer der Strand ist. Und der großen Zahl der Viel- und Kurzurlauber. Für sie ist Strandurlaub nicht mehr das Erste und Einzige.

Ihre Prognose für Europas Tourismus?

Bei den Nächtigungszahlen sieht es nicht so schlecht aus. Da haben wir einen Zuwachs von zwei bis drei Prozent. Aber die Einnahmen sinken. Die Leute sparen. Die wachsende Konkurrenz im Internet schafft einen enormen Preisdruck. Keiner darf mehr zehn Euro teurer sein. Das Angebot wird immer mehr zum Massenprodukt von der Stange. Es gibt so viele Angebote, dass die Touristen das Billigste immer zum billigsten Preis bekommen.

Das ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Markttransparenz erhöht den Wettbewerb, würde der Ökonom sagen. Dabei ist Urlaub ein inhomogenes Produkt. Nur im Kern – bei den Übernachtungen – habe ich diese extreme Transparenz. Nicht aber bei Zusatzleistungen wie den Schuhen in Rom oder den Konzertkarten, die für den Einzelnen nicht auswechselbar sind.

Seit wann geht diese Schere zwischen Übernachtungen und Umsätzen auf?

Für uns Ökonomen war das größte Geschenk die Rezession 2008/09: Da ist endlich etwas passiert. Ich habe damals eine Studie für das Wirtschaftsministerium erstellt, bei der mir das nicht lineare Verhalten der Konsumenten aufgefallen ist: Früher war der Tourismus ein Luxusgut, bei dem der Preis starken Schwankungen unterlag. Damit ist es vorbei. Das heißt, selbst wenn mehr Einkommen zur Verfügung steht, geben die Menschen nicht viel mehr für Konsum und Tourismus aus. Der Grund: Das Vorsichtsparen nimmt seit Mitte der 2000er-Jahre zu. Das schlägt auf die sogenannten Luxusgüter durch, vor allem auf Schmuck, Kleider, aber eben auch Urlaub.

Sind die Klagen der Hoteliers also durchaus berechtigt, wenn sie sagen, man soll sich von den Nächtigungsrekorden nicht blenden lassen?

Sicher. Wobei wir die Gewinnspanne, die noch immer übrig bleibt, nicht im Detail kennen. Die leichte Erholung, die Österreichs Tourismus 2015 verzeichnete, war aber dem Sondereffekt durch den heißen Sommer geschuldet. Der kann kommendes Jahr – oder schon dieses – wieder weg sein.

Steckbrief

Egon Smeral forschte mehr als 40 Jahre am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) auf dem Gebiet Tourismus. Seit seiner Pensionierung 2015 lehrt er weiter an der Modul Privatuniversität Wien, wo er auch seine Forschungstätigkeit fortführt.

Smeral sitzt seit 2010 dem Expertenbeirat Tourismusstrategie im Wirtschaftsministerium vor. Er ist federführend am jährlichen Lagebericht zur heimischen Tourismus- und Freizeitwirtschaft beteiligt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2016)

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