Erster Fairtrade-Friseur: Der Traum von Kamm und Schere

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Symbolbild FriseurClemens Fabry
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Eniss Agrebi betreibt in der Wiener Innenstadt den ersten Fairtrade-Friseur Österreichs. Sein bisheriger Lebenslauf zwischen Finanzbörsen und Amsterdamer Grachten ist ein bewegter.

Wenn man in Tunesien einen Traum habe, dann bedeute das etwas. Viel stärker würden die Tunesier ihr Leben nach ihren Träumen ausrichten als in Westeuropa üblich, erzählt Eniss Agrebi. Oder zumindest war das in seiner Familie immer so. Da wurde das Geträumte am nächsten Morgen mit Vorliebe gemeinsam gedeutet und beraten.

Agrebi hatte rund sieben Jahren als Börsenmakler für ein großes Schweizer Unternehmen gearbeitet – sein Spezialgebiet war der Rohstoffhandel –, als er den Traum hatte, der seine gesamte weitere Berufslaufbahn über den Haufen werfen sollte: Darin sah er sich als Maskenbilder an einem Theater. Am nächsten Tag schrieb sich Agrebi für eine berufsbegleitende Ausbildung zum Maskenbildner ein, kaufte und verkaufte untertags weiterhin Rohstoffe und studierte abends Schminktechniken. Da ein Maskenbildner an den großen Bühnen Österreichs aber gleichzeitig eine Friseurlehre absolviert haben muss, schloss er noch ein Jahr Ausbildung in diesem Metier an. Nach der ziemlich nackten Theorie „kannst du quasi gar nix“, erinnert sich Agrebi zurück. Damals sei er 27 gewesen – und auf einem handwerklichen Niveau, das sich nicht herzeigen ließ. Zurück an die Börse wollte er aber nicht. Der Traum hatte schon seine Berechtigung: „Ich konnte mich nicht mehr damit identifizieren, eigentlich lief ich davor nur dem Geld hinterher.“

Ein radikaler Bruch musste her: Agrebi verkaufte alles, was er in Österreich besaß, packte das Verbliebene in zwei Koffer und bestieg einen Bus nach Amsterdam. Im Gepäck hatte er zwei holländische Sätze: „Ik wil hier werken“ und „Wie is de Verantwoordelijke hier?“ Mit einem neu zugelegten Rad, Entschlossenheit und dem bedrückenden Gedanken im Hinterkopf, dass seine finanziellen Reserven keiner langen Jobsuche standhalten würden, klapperte er die Friseursalons entlang der Amsterdamer Grachten ab.


Gut für das Karma.
Der Nobelste von allen hatte es Agrebi angetan. Ganz aus Marmor und Glas war er – und mit einem Rezeptionisten, der ihn von oben bis unten musterte und die zwei eingeübten niederländischen Sätze nebst Lebenslauf mit spitzen Fingern entgegennahm. Er erhoffte sich nichts. Am selben Abend war er eingestellt. Der Chef hatte ihn gleich zum Gespräch geladen und ihm eröffnet: „Vor 17 Jahren ging ein Typ da draußen vorbei, der hatte nicht einmal eine Ausbildung. Heute gehört ihm der Laden.“ Diese Erfahrung wolle er nun weitergeben. Ein Jahr lang lernte Agrebi das Friseurhandwerk von Grund auf neu. Der Laden, so stellte sich schnell heraus, war nicht nur bei den Reichen und Schönen Hollands renommiert, sondern auch für seine traditionelle Schnitttechnik, bei der nur mit Schere und Kamm gearbeitet wurde, berühmt.

Heute ist Agrebi 37, betreibt sein eigenes Friseurgeschäft in der Wiener Innenstadt und mit diesem den ersten Fairtrade-Salon Österreichs. Holland hielt ihn nicht lang. Zu groß war die Sehnsucht nach Wien. Folgerichtig heißt sein Laden in der Seilerstätte Nummer 22 nahe dem Palais Coburg auch „Die Wiener Friseure“. „Wir lieben Wien“, sagen er und seine Schwester Feten, die das Unternehmen ihres Bruders managt, wenn man sie auf den weit gefassten Namen anspricht. Direkt von Holland an die Seilerstätte verschlug es Agrebi aber nicht. Zwischen dem Amsterdamer und dem Wiener Nobelviertel lagen einige weitere Lehr- und Wanderjahre in angesehenen Salons der österreichischen Hauptstadt, seine Meisterprüfung und ein weiterer nächtlicher Lehrgang am Wifi, diesmal im Fach Unternehmensführung. „Ich habe mir schon immer den steinigen Weg ausgesucht“, sagt Arebi halb kopfschüttelnd, halb lachend.

Steinig war auch die Suche nach dem passenden Lokal, als er schlussendlich den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. „Dabei waren die zweieinhalb Jahre Suche gar nicht so schlecht, weil in der Zeit das Konzept entstand.“ Zudem waren gerade alle in der nahen Umgebung des Friseurs dabei, sich neu zu orientieren: Als der Fairtrade-Salon vor eineinhalb Jahren schließlich eröffnete, tauschte Eniss' Schwester ihre PR-Agentur gegen das Unternehmensmanagement, sein Freund Christian die Karriere in der Luxusmodebranche gegen den Friseur- und Barbierberuf ein. Heute stehen die drei gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen und ihrem „Zauberlehrling“ hinter den Waschbecken und Schneidestühlen.

Agrebi war auf der Suche nach dem gewesen, was WU-Studenten gern unter dem Schlagwort USP eingebläut wird. Sprich einem Alleinstellungsmerkmal für seinen Laden, wegen dessen die Wiener bei ihm und niemand anderem ihre Haare schneiden lassen wollen. Man will die Kundschaft hier in der Seilerstätte Nummer 22 nicht nur mit beigefarbenen Lederinseln, meterhohen Spiegeln, Jazzmusik und Fairtrade-Kaffee überzeugen. Mit dem natürlich auch. Aber: „Ich wollte das ins Arbeitsleben hineinholen, was ich privat lebe.“ Da sei der Nachhaltigkeitsgedanke nahegelegen, sagt Agrebi. „Verantwortung gegenüber der Umwelt übernehmen – aber trotzdem am Puls der Zeit sein, ohne Ökopatschen“, umreißt er das Konzept. „Birkenstock mit Lifestyle“ nennt es seine Schwester lachend. Dass die Geschwister und ihre Mitarbeiter zur uncoolen Ökopatschenfraktion gehören könnten, fällt einem sowieso recht schwer zu glauben. Dagegen sprechen schon die lässigen, stilsicher inszenierten Fotos der „Wiener Friseure“, die im hinteren Teil des Ladens an der Wand hängen. Auf ihnen durchschreitet die Mannschaft angetan mit Abendroben und Fackeln den Park des Wiener Belvederes oder entsteigt einem Teich im Stadtpark. Als Teil ihrer Vier-Elemente-Kampagne bringen die Bilder ihr selbst kreiertes Image zwischen Coolness und Nachhaltigkeit auf den Punkt.

Zu Ende gedacht bedeutet der Nachhaltigkeitsgedanke aber mehr als schwarz-weiße Fotostrecken: etwa ein längeres Prozedere bei der TÜV-Zertifizierungsstelle, bis man sich als CO2-neutraler Friseurbetrieb bezeichnen durfte. Daneben die zeit- und kostenintensiven Auszeichnungen zum Fairtrade- und Aveda-Friseur. Was in weiterer Folge bedeutet: Agrebi bezieht ausschließlich Ökoenergie. Er benützt rein organische Haarprodukte – selbst die Färbe- und Tönungsprodukte müssen einen möglichst hohen Prozentsatz an natürlichen Inhaltsstoffen haben. Er schenkt seiner Kundschaft nur Fairtrade-Kaffee, Sekt und Saft aus. Und ärgert sich, dass es noch keine nachhaltigen, abbaubaren Färbemäntel gibt – zumindest seien sie bei den „Wiener Friseuren“ aber waschbar, betont der Chef.


Ein Korsett für die Coolness.
Daneben will man mit Unterstützung von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Anwälten demnächst bei gleichem Gehalt auf eine viertägige Arbeitswoche umsteigen. Den Nachhaltigkeitsgedanken wollen die Geschwister auch im Umgang mit ihrer kleinen Mannschaft leben. Dennoch betont Feten Agrebi: „Wir wirken natürlich alle so locker, aber wir haben strikte Regeln. Das Make-up muss sitzen, Zuspätkommen geht nicht, Teammeetings sind alle zwei Wochen Pflicht.“ Ihr Bruder ergänzt: „Das Wohl des Unternehmens steht über allem.“ Erst wenn dieses auf einem wirtschaftlich soliden Fundament steht und alle Zahlen im schwarzen Bereich sind, ließe sich der Nachhaltigkeitsgedanke gegenüber Umwelt und Angestellten voll leben.

Führt er aus – und ist bereits wieder verschwunden, um seinen Mitarbeitern beim ersten Kundenansturm dieses Julivormittags zu helfen. Agrebi hat nicht nur einen Bauchladen an Erfahrungen vorzuweisen, vor allem hat er Disziplin. Dennoch sagt er bescheiden – und ganz der Tunesier mit Hang zum Traumdeuten: „Ich verdanke meine ganze Laufbahn dem Bus, der mich nach Holland gebracht hat.“

Zeit und Raum

Eniss Agrebi verschönert mit seinem (noch) fünfköpfigen Team der „Wiener Friseure“ seit rund eineinhalb Jahren die Häupter der Stadt in der Seilerstätte 22, 1010 Wien.

Das Besondere am Salon ist die Betonung des Nachhaltigkeitsgedankens. Er ist Österreichs erster Fairtrade-Friseursalon, ein CO2-zertifiziertes klimaneutrales Unternehmen und Partner der Naturkosmetiklinie Aveda.

Geöffnet: Dienstag bis Samstag.

www.
diewienerfriseure.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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