14-Klassen-System in der Medizin

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Ob bei Kontaktlinsen, Schutzimpfungen, Zahnersatz, Hörgeräten oder Elektrorollstühlen: Trotz gleicher Beitragssätze gibt es bei den Leistungen der Krankenkassen Unterschiede von bis zu 100 Prozent.

Wien. Die Regierung hat Anfang Juli beschlossen, eine Effizienzstudie über die vielen Sozialversicherungsträger in Auftrag zu geben. „Ein wichtiger Schritt wäre es, die Leistungs- und Honorarkataloge zusammenzulegen“, sagt Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer im „Presse“-Gespräch. Schließlich verfügt jedes Bundesland über eine Gebietskrankenkasse. Hinzu kommen vier große überregionale Versicherungsanstalten (für die Beamten, Bauern, für Eisenbahnen/Bergbau und für die gewerbliche Wirtschaft). Auch die Betriebskrankenkassen (wie bei Austria Tabak, Voestalpine Bahnsysteme) haben eigene Tarife. „Somit gibt es in Österreich mindestens 14 unterschiedliche Leistungs- und Honorarkataloge“, kritisiert Pichlbauer.

Dazu seien jedes Jahr Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Verhandlungen notwendig. Denn jede Kasse führt mit den Ärztekammern in den Bundesländern eigene Verhandlungen. Daher werden die Leistungen von Ärzten in Kärnten anders honoriert als in Wien. Zu beachten ist, dass es bei den Ärzten viele Gruppen gibt, wie Allgemeinmediziner, Psychiater, Augenärzte oder Zahnärzte mit unterschiedlichen Tarifen.

Im Regelfall bekommt ein Arzt mehr Geld, wenn er einen Beamten behandelt, als bei Behandlung eines Angestellten; denn die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) ist finanziell besser ausgestattet. Dieses historisch gewachsene System „gehört dringend reformiert“, sagt Pichlbauer. Denn das Ganze sei nicht mehr durchschaubar.

Auch die Patienten leiden darunter. Zwar sind die monatlichen Beitragssätze für alle Versicherten in Österreich de facto gleich hoch. Trotzdem erhalten die Patienten teilweise völlig unterschiedliche Leistungen und Zuschüsse. Diese hängen von der jeweiligen Krankenkasse ab. Im Gegensatz zu anderen Ländern können sich die Österreicher aber die Kasse nicht aussuchen.

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Auch unterschiedliche Selbstbehalte

Angesichts der Vielzahl an Tarifen ist ein Vergleich der Krankenkassen schwer möglich. Gerald Loacker, Sozialsprecher der Neos, hat dazu mehrere parlamentarische Anfragen ausgewertet. „Es fällt auf, dass die Wiener Gebietskrankenkasse in der Regel am unteren Ende der Leistungen liegt“, sagt Loacker. Bei den Kassen gibt es Unterschiede von bis zu 100 Prozent. Dazu einige ausgewählte Beispiele.
• Kontaktlinsen: Bei einigen Krankenkassen (Salzburg, Oberösterreich, SVA, BVA, SVB) liegt die Höchstgrenze für Zuzahlungen bei 1296 Euro, in der Steiermark sind es maximal 342 Euro pro Linse, in Vorarlberg sind es bis zu 287 Euro pro Stück. Bei den Gebietskrankenkassen in Niederösterreich und im Burgenland erhalten Versicherte maximal 162 Euro pro Linse. Die Selbstbehalte machen das Ganze noch komplizierter. In Niederösterreich liegt der Selbstbehalt bei Kontaktlinsen bei 32 Euro, in Wien sind es 97 Euro.
• Kieferregulierung: Bei festsitzenden Zahnspangen liegt die Kostenübernahme durch die Wiener Gebietskrankenkasse bei 347 Euro pro Behandlungsjahr. In der Steiermark sind es 434 Euro. Die Versicherten in Vorarlberg können sich über 608 Euro freuen. Bei der VAEB (Eisenbahnen und Bergbau) sind es 968 Euro. Spitzenreiter ist die Beamtenversicherung mit 3500 Euro pro Behandlung.

Der „Presse“ liegen die Daten für zahlreiche weitere Leistungen und Heilbehelfe wie Schutzimpfungen, Hörgeräte, bewilligungsfreie Sehbehelfe und Zahnersatz vor. Auch hier zeigen sich massive Unterschiede. Dies hängt mit der unterschiedlichen Risikostruktur zusammen. So müssen die Gebietskrankenkassen beispielsweise auch alle Arbeitslosen und alle Bezieher der Mindestversicherung versorgen. Sie können daher weniger leisten als die Beamtenversicherung und die Krankenfürsorgeanstalten der Landesbediensteten.

Dabei ist eine Vereinheitlichung der Tarife und Leistungen durchaus machbar. Denn auch bei Medikamenten verhandelt nicht jede Krankenkasse, sondern nur der Hauptverband der Sozialversicherungsträger mit den Pharmafirmen. Daher gibt es einen für ganz Österreich einheitlichen Erstattungskodex für Medikamente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2016)

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