Wo Österreich leider kein Schwein hat

A pork butcher packs a pig´s head at a market in Beijing
A pork butcher packs a pig´s head at a market in Beijing(c) REUTERS (Jason Lee / Reuters)
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Deutschland feiert Rekorde bei der Fleischproduktion, vor allem dank boomender Ausfuhren nach China. Hierzulande aber sinken die Exportumsätze. Hat die heimische Viehwirtschaft eine einmalige Chance verschlafen?

Schon acht Jahre ist es her, da kam eine Delegation aus China nach Österreich. Ihr Ziel war nicht etwa Hallstatt oder die Altstadt von Salzburg, sondern waren weit weniger stimmungsvolle Orte: Die Gäste aus Fernost besuchten einige größere Schlachthöfe, auf der Suche nach potenziellen Fleischlieferanten. Und sahen etwas, was ihnen gar nicht gefiel: dass Ohren und Schwänze der Schweine, in China eine begehrte Delikatesse, wie Abfall abgezweigt wurden und in einem Container landeten. Verärgert zogen die Prüfer von dannen, der Kontakt brach ab.

Was wiederum Helmut Öller ärgert. Der kleine Schweinehalter und Fleischhauer im Weinviertel blickt weit über seinen Tellerrand hinaus. Als engagierter Wirtschaftskammerfunktionär hat er sich vor Kurzem die riesigen Schlachtfabriken im Norden Deutschland angesehen: „Wenn man man bei Tönnies ankommt, fühlt man sich wie bei der OMV in Schwechat.“ Dieser Marktführer beim großen Nachbarn tötet und verarbeitet in seinen fünf Betrieben pro Jahr 17 Millionen Schweine – dreimal mehr als ganz Österreich. Und das Tönnies-Hauptwerk hat, wie auch andere deutsche Großbetriebe, die Lizenz zum Export nach Asien.

Die kleinen Eindrücke bestätigen sich in den großen Zahlen. In dieser Woche durfte die deutsche Viehwirtschaft jubeln: Mit 4,1 Millionen Tonnen hat die Branche im ersten Halbjahr mehr Fleisch produziert denn je. Dabei haben die Deutschen selbst immer weniger Appetit auf Schnitzel und Steak: Der Inlandsabsatz sank um 1,4 Prozent. Aber das wurde wettgemacht durch Exporte. Vor allem ein Markt boomt: Im vorigen Jahr haben sich Chinas Importe von Schweinefleisch aus der EU verdoppelt. Auch Japan, Südkorea, Taiwan und die Philippinen lassen sich immer mehr Fleisch aus Europa schmecken. Ein willkommenes neues Absatzgebiet. Auch die Spanier, Italiener und Ungarn sind mit dem fernen Asien gut im Geschäft.

Vegetarier auf dem Vormarsch. Österreich aber bleibt auf Heim- und Nachbarmärkte angewiesen, wo der Bedarf im besten Fall stagniert. Die Zahl der Vegetarier und Veganer steigt, Ernährungsexperten raten zu mehr Gemüse und Fisch. Das bleibt nicht ganz ohne Wirkung: Mit 65 Kilo pro Kopf verzehrten die Österreicher 2014 um knapp zwei Prozent weniger Fleisch als noch fünf Jahre davor. Ein Rückgang, der sich durch aktiven Export leicht wettmachen ließe, ist Öller überzeugt. Stattdessen haben die österreichischen Bauern und Schlachter größte Mühe, wenigstens die Einbußen durch die Russland-Sanktionen auszugleichen. Das Embargo hat den Wettbewerb auf den europäischen Märkten weiter verschärft. Die Preise sind verfallen, auch durch die hoch effiziente deutsche Massenproduktion. Die Folge: Wertmäßig gehen die heimischen Exporte von Schweinefleisch seit Jahren zurück, bei Rind und Wurst sind die gewohnten Zuwächse gestoppt.

Im neuen China-Geschäft nicht mitzuspielen, ist doppelt bitter. Denn die Chinesen sind sehr dankbare Abnehmer. Nicht nur, weil sie die Qualität schätzen und für Schweinefleisch gut bezahlen. Sie nehmen auch alles ab. Was tiefgefroren in Rotterdam verschifft wird, beschränkt sich keineswegs auf Filet und Lungenbraten. So ein Schwein besteht aus 100 Teilen. Pfoten, Rüssel, Fett – alles kommt in den chinesischen Topf. Schwarten dürfen im Laden in Peking oder Shanghai gleich viel kosten wie ein mageres Karree. Hierzulande ging die große Zeit von Gerichten wie Klachelsuppe und Blunzen schon vor 50 Jahren zu Ende. An Beliebtheit verloren damit auch die Schlachtnebenprodukte. So will die Branche das genannt wissen, was lang einfach Abfall bedeutete und bei der Tierkörperverwertung landete. Heute verkauft man wieder mehr, freilich zu Spottpreisen: Knochen werden zu Mehl, Ohren dienen als Hundefutter. Die Krallen der Hühner aber bleiben bei uns echter Abfall – während sich Italiens Exporteure ihretwegen die Hände reiben: In China lässt sich die Köstlichkeit nämlich um umgerechnet sechs Euro pro Kilo verkaufen.

Darob seufzt auch Adolf Marksteiner: „Eine ideale Ergänzung der Wertschöpfung“ wären solche Nebenprodukte für Fernost. Der Marktpolitikstratege in der Landwirtschaftskammer zieht kritische Bilanz: „Die Deutschen haben viel früher auf Internationalisierung und Drittländer gesetzt. Schon vor 15 Jahren waren ihre Politiker in China unterwegs – wo unsere noch gesagt haben: Das brauchen wir nicht.“ Der Aufbau der Geschäftsbeziehungen braucht Zeit. Es geht um Handelsabkommen, Qualitätszertifikate und Lizenzen von Veterinärbehörden. Österreich hat hier „drei bis fünf Jahre Rückstand“, schätzt Marksteiner.

Weckruf Russland-Krise.
Aufgerüttelt hat die Branche die Russland-Krise. Durch das Embargo für Schweinefleisch fiel ein wichtiger Abnehmer weg. Noch dazu einer, der für andere Nebenprodukte ordentlich zahlte: für Innereien wie Zunge, Herz, Darm und Leber. Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter reist zwar viel, um als Ersatz neue Märkte zu erschließen, aber Erfolge in Fernost bleiben bisher aus. In Südkorea und Japan ging bereits gewonnenes Terrain wieder an die Deutschen verloren. Und mit China will es einfach nicht klappen. Dabei waren Delegationen in diesem Frühling bei Audits in sechs Betrieben durchaus angetan. Allein die Aufträge bleiben bisher aus. Freilich haben die Deutschen auch einen strukturellen Vorteil: ganz andere Betriebsgrößen. Deutsche Bauern, die von der Schweinemast leben, halten im Schnitt 3000 Tiere, bei ihren österreichischen Kollegen sind es nur 600. Auch die Schlachthöfe sind meist deutlich größer. Statt mit einer Schicht fahren sie mit zwei oder drei. Da lassen sich Container zum Verschiffen weit rascher füllen. Die Dynamik verstärkt sich von selbst: Wer schon groß ist und dadurch Kostenvorteile hat, wird immer größer und effizienter – und setzt die Kleinen dadurch stärker unter Druck.

Doch die Agrarmarkt Austria (AMA) hat aus der Not geschickt eine Tugend gemacht. Ihr Motto: Klein ist schön – und steht für Qualität. Mit dem Gütesiegel hat das AMA-Marketing ein Österreich-Bewusstsein geschaffen, das anderswo kein Pendant hat: „Die deutschen Konsumenten haben kein Deutschland-Bewusstsein“, erklärt Marksteiner. Der Stärke der Marke Heimat beugen sich bei uns auch die Handelsketten: Sie drücken zwar die Preise, halten aber den heimischen Produzenten die Treue. Ob tatsächlich mehr Qualität dahintersteht, spielt keine so große Rolle. Beim Tierschutz und dem Einsatz von Antibiotika sind die Standards zwar deutlich strenger als in Drittländern, aber nicht wesentlich anders als sonst in der EU (mit einer Ausnahme: der Käfighaltung für Hühner).

Die deutschen Schlachthöfe machten lang böses Blut in Europa – mit ihrem (gesetzlich weitgehend gedeckten) Lohndumping. Sie engagierten Leiharbeitsfirmen aus Osteuropa (zuweilen eigene Tochterunternehmen). Diese entsandten Mitarbeiter nach den dortigen Mindestlöhnen. Sozialabgaben fielen keine an, weil die Trupps schon nach vier bis sechs Wochen wechselten. „Ich hab dort keinen über 50 gesehen“, erzählt Besucher Öller: „Wie die dort schuften, das hält auf Dauer keiner aus.“ Auf öffentlichen Druck hin haben die deutschen Schlachter vorigen Oktober versprochen, die Entsendung durch sozialversicherungspflichtige Werkverträge zu ersetzen. Dennoch bleibt ein Kostenvorteil: Der deutsche Mindestlohn beträgt 8,60 Euro pro Stunde, der Kollektivvertrag in Österreich ist deutlich höher.

Träge Jungbauern.
Bei all dem geht es vor allem um den Preiskampf innerhalb der EU. Die Chinesen dürften weniger preissensibel sein, weil Schweinefleisch für sie ein Luxusprodukt ist. Das gilt auch anderswo in Asien: „Japan zahlt heute Höchstpreise für Fleisch aus Europa. So viel könnten wir gar nicht liefern, wie die kaufen würden“, sagt Stratege Marksteiner.

Auch Fleischer Öller will sich nicht auf kleine Betriebe und Kostennachteile rausreden: „Viele Jungen bei uns wollen gar keine größeren Höfe, weil sie gern von der Förderung leben. Das sind keine Unternehmer, sondern Unterlasser.“ Was er auch als 64-Jähriger nicht nachvollziehen kann und will: „Wenn ich einen Sechser im Lotto hätte, würde ich einen Maststall mit 6000 Schweinen aufbauen.“

Schweinereien

Der deutsche Fleischmarkt profitiert von großen Betrieben, langfristig aufgebauten Kontakten zum asiatischen Markt, aber auch (bisher) von Dumpinglöhnen auf den Schlachthöfen durch Entsendungen von Leiharbeitern aus Osteuropa.

In Österreich dominieren kleinere Bauern und Schlachthöfe. Die Strategie zielt auf eine starke Marke auf dem Heimmarkt (AMA-Gütesiegel etc.). Exporte gehen meist nur in nahe Länder. Die Russland-Krise hat hier zu einem späten Umdenken gezwungen.

in Zahlen

65Kilo Fleisch essen die Österreicher pro Kopf und Jahr. Der Verzehr macht aber nur zwei Drittel vom Verbrauch (inkl. Knochen, Reste etc.) von 98 Kilo aus.

1,70Euro bekommen Bauern aktuell vom Schlachthof für ein Kilo Schwein. Bei einem Gewicht von 115 Kilo macht das knapp 200 Euro pro Mastschwein – vor Abzug aller Kosten.

600Tiere haben im Schnitt heimische Schweinehalter, die auch davon leben. Auf deutschen Höfen sind es 3000.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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